100 Meter Reißverschluss für ein Kleid

Von Beatrice Uerlings |
Erst machte sie Kleider aus Kresse, heute sind es Mäntel aus Reißverschlüssen und Kostüme für Independent-Film-Produktionen: Swinda Reichelt kommt ursprünglich aus Babelsberg, ihr neues Zuhause ist allerdings schon länger in Los Angeles. Es sei ein bisschen so wie früher im Osten, sagt sie.
Ein kurzer Griff zum Ölfläschchen und schon lässt sie den Reisverschluss wieder durch ihre flinken Finger rasseln. Swinda Reichelt ist eine Schneiderin mit Feinmechanikerqualitäten. Ihre Reisverschlussklamotten sitzen nur, wenn sie richtig geschmiert sind.

"Also es gibt hier Downtown, das ist wie so eine Art Bangkok, was die da verkaufen, unheimlich billig. Und da hab ich einfach irgendwann mal 20 Pakete Reisverschlüsse mitgenommen, die aneinandergenäht und alle schrieen auf: Oh mein Gott, das ist so eine tolle Idee! Jetzt mache ich ein Reisverschlusskleid - das ist aus einem 100 Meter Reisverschluss."

Swindas Kreationen kosten um die 3000 Dollar - von so viel harter Währung konnte die gelernte Gewandmeisterin damals in der DDR nur träumen. Nach der Wende machte sie in Kreuzberg eine kleine Boutique auf und kellnerte nachts in einer Kneipe am Görlitzer Bahnhof. 1992 kam sie zum ersten Mal nach Kalifornien, um bei einer Brieffreundin Kinder zu hüten. Außer "Hallo" und "Thank you!" sprach sie kein Wort Englisch. Doch mit der Kommunikation hatte Swinda eh schon abgehakt.

"Als die Grenze öffnete, fand ich mich in einem Deutschland wieder, wo wir die gleiche Sprache sprachen, aber uns nicht verstanden. Ich musste gehen. Im Prenzlauer Berg hab ich gewohnt, hab da auch meine Karriere aufgebaut, fühlte mich auch wohl, aber die Leute sind nicht verrückt genug."

Swinda übte mit den Kindern kleine Stücke im Kindergarten ein und bastelte dazu die passenden Bühnenbilder. Dann ging alles sehr schnell. Schon bald machte sie Kostüme für Halloween und die Gay Parade in San Francisco. Und entschied sich, in ihrer neuen Wahlheimat zu bleiben.

"Ich bin ein Kind der Sonne. Aber nicht nur der Sonne draußen. Ich mag das Lachen und ich bin sehr leicht verletzbar, wenn die Leute unfreundlich sind. Das trifft man doch sehr in Deutschland, speziell Berlin, das kann mir 'nen Tag verderben, wenn eine Verkäuferin unfreundlich ist. Das hat man hier wenig. Erst mal ist es ein Ja-Sagen zum Leben, einfach ein positives Rangehen an den Tag. Da bin ich zu Hause."

Swinda lebt und arbeitet in Venice Beach, der kunterbunten Hippiehochburg von Los Angeles. Ihr Haus ist kaum größer als eine Datsche, aber dafür wehen Palmen im Vorgarten, zum Pazifik sind es fünf Minuten zu Fuß.

Der Coffeeshop am Eck ist zugleich Swindas Stammlokal und Schaufenster: Die Wände sind übersäht mit eingerahmten Textilskulpturen aus schillerndem Organza.

"Es liegt halt immer daran, wie man es präsentiert. Das man Mode in Kunst umwandelt, Kunst trägt und also die Wertigkeit erhöht. Das ist immer so schön, wenn ich ins Kaffeehaus komme, viele gucken dann unter die Röcke, weil sie darunter etwas finden wollen ..."

Ob Kleider aus Reisverschlüssen oder Röcke in Bilderrahmen: Für all das gibt es in Los Angeles ein Publikum. Bei Swinda klingeln ständig die Drähte heiß. Sie zu erwischen ist jedoch gar nicht so einfach. Oft schiebt die Designerin 12-Stunden-Schichten an einem Filmset: Bislang hat sie die Kostüme für ein Dutzend Independent Movies und noch mehr Kurzfilme entworfen.

Dreh in einem viktorianischen Zuckerbäckerhaus. Das Team ist sichtlich angespannt, weil Jonathan rebelliert: der neunjährige Hauptdarsteller fühlt sich schon zu sehr Mann, um in einem Spitzenachthemd vor die Kamera zu treten. Doch Swinda lässt sich nicht reinreden. Sie erklärt, dass Kostüme tiefere Bedeutungen haben und dass das Nachthemd die Trauer um ein verstorbenes Filmschwesterchen symbolisiert.

Der Film erzählt eine Familiensaga aus dem 19. Jahrhundert. Swinda sitzt ein wenig abseits. Auch sie schwelgt in der Vergangenheit. Schon damals im Osten entwarf sie kunterbunte Röcke und Mäntel, um etwas Farbe in den grauen Alltag zu bringen.
"Das war doch sehr begrenzt was wir hatten. Und das hat es hier wieder für mich. Amerika ist ein Land des Überflusses, aber auch ein Land der Uniform. Die Jugendlichen hier in Los Angeles sehen alle gleich aus, es gibt ganz wenig für individuelle Leute. Ich merke, dass ich eine Nische befriedige von Frauen, die eben nicht uniform sein wollen. Das gefällt mir an Amerika. Ich kann mich erfinden!"