100 Jahre Zionistisches Zentralarchiv

Die Suche nach Antworten auf die Probleme der Zeit

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Unzählige Rollen mit Karten und Plänen liegen in einem Regal im Zionistischen Zentralarchiv in Jerusalem.
Gedächtnis in Jerusalem: Das Zionistische Zentralarchiv ist der wichtigste Sammlungsort für Schriften und Dokumente zum Zionismus. © Imago / David Vaaknin
Von Carsten Dippel · 12.07.2019
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Vor 100 Jahren wurde das Zionistische Zentralarchiv in Berlin gegründet. Mittlerweile ist es in Jerusalem beheimatet und bildet nicht nur die Geschichte ab. Noch immer werden hier aktuelle Angelegenheiten bearbeitet.
Wenn es Orte in Israel gibt, die etwas von Jeckischkeit in ihrem Wesen tragen, dann zählt das Zionistische Zentralarchiv in den Hügeln von Jerusalem zweifellos dazu. Der markante Steinbau ist ein wesentlicher Teil der Erinnerungskultur Israels. Es ist der wichtigste Sammlungsort für Schriften und Dokumente zum Zionismus und damit auch der Entstehung des jüdischen Staates. Ein Ort der Identität stiftet, sagt die Kuratorin des Archivs, Susanne Berns.
"Das Archiv heute ist eine Erinnerung an den Zionismus, und es hilft uns diese Geschichte beizubehalten. Von dem her ist es eine wichtige historische Hilfe für das heutige Israel."
Das Zionistische Zentralarchiv ist für Forscher zur Geschichte des Zionismus und des jüdischen Staates die erste Adresse. Hier lagert der Nachlass Theodor Herzls und anderer Persönlichkeiten der zionistischen Bewegung. Es beherbergt die Akten der Jewish Agency und des Jewish National Fund, des Keren Hayesod oder des World Jewish Congress. Tausende von Dokumenten, Landkarten, Briefen, Tagebüchern.

Aktuelle Anfragen

Zugleich ist es heute aber auch eine wichtige Anlaufstelle für viele ältere Israelis, denn hier lagern Akten aus der Einwanderungszeit. Das Archiv der Jewish Agency etwa verzeichnet die wohl meisten Dokumente zur Alijah, der Einwanderung von Jüdinnen und Juden nach Israel. Relevant für Nachforschungen zu Familiengeschichten sind auch die Akten des Palästinabüros. Einen großen Bestand gibt es zudem etwa zu Juden aus Libyen. Pässe und viele andere persönliche Unterlagen finden sich dort. Nicht nur für Familienforschungen sind all diese Papiere eine unschätzbare Quelle. Sie besitzen für viele Israelis, die sich an das Archiv wenden, eine ganz praktische Relevanz, erklärt Berns.
"Teilweise gibt es Israelis, die ein Zertifikat brauchen, wann sie Alijah gemacht haben für die Pension. Das hilft ihnen. Es ist bei uns eine große Nachfrage für Dokumente, sei es Schiffslisten oder auch persönliche Dokumente, die die Zochonut bewahrt haben."
So politisch bedeutsam der Zionismus nach wie vor ist, das zentrale Archiv schlägt auch Brücken auf die arabische Seite. Viele Nutzer sind nämlich Palästinenser, denn auch ihre Geschichten finden sich in den alten Mappen.
Angefangen hat all das in einem Berliner Badezimmer. Inmitten der Revolutionswirren, im Juni 1919, gründete der Archivar und Zionist Georg Herlitz, gemeinsam mit ein paar Mitstreitern das Zionistische Zentralarchiv, in einer privaten Wohnung in der Sächsischen Straße. Sie lagerten, sicherten und katalogisierten die ersten Papiere zur Geschichte der zionistischen Bewegung. Ab 1924 im Keller der Meinekestraße 10, im vornehmen Wilmersdorf, wo auch das Palästinabüro der Jewish Agency und bis 1938 die Jüdische Rundschau saßen.
Dass ihr Archiv ein für die Erinnerungskultur Israels so bedeutender Ort im fernen Jerusalem werden würde, hätten sie sich gewiss nicht träumen lassen. Die zionistische Bewegung steckte noch in den Kinderschuhen, war erst wenige Jahrzehnte alt.
Der Historiker Julius Schoeps, Direktor des Potsdamer Moses Mendelssohn Zentrums für europäisch-jüdische Studien, hat viele Stunden im Jerusalemer Archiv verbracht.
"Man wusste, notwendig ist es, ein Archiv zu haben, wo die Dokumente, die Reden usw. aufbewahrt werden. Ich glaube, davon bin ich fest überzeugt, das ist auch eines der Geheimnisse der zionistischen Bewegung gewesen, dass sie sehr gut organisiert war. Und ein Archiv war die Möglichkeit, dem Ganzen ein Gedächtnis zu geben."
Eine gewisse Ironie liegt darin, denn der Zionismus war seinerzeit in Deutschland weit weniger populär als in Osteuropa. Aber dass große Teile der Sammlungsbestände heute noch immer in deutscher Sprache verfasst sind, verdankt sich der unermüdlichen Arbeit von Herlitz und auch seinem Nachfolger Alex Bein, ein preußischer Archivrat, der die Geschicke des Zentralarchivs lange Zeit leitete.

Eine frühe Flucht half das Archiv zu retten

"Naja, das kam alles aus Deutschland wenn man so will. Herlitz, der Begründer, das waren deutsche Archivare, das ganze Archivwesen ist sehr stark geprägt, also heute in Israel, sehr stark geprägt von dem deutschen, preußischen Archivwesen."
Georg Herlitz sah die Gefahr des Nationalsozialismus rechtzeitig kommen und organisierte noch 1933 die Rettung des Archivs. Mit den bis dahin gesammelten Beständen, immerhin bereits 154 Kisten voller Papiere, floh er nach Palästina.
"Heute spielt die deutsche Sprache kaum eine Rolle, heute wird anderes gesammelt. Aber vieles kommt aus dem deutschen Sprachraum und das ist eigentlich der Kern des Archivs, den ich für sehr wichtig halte."

Nicht nur Nachlässe

Die Sammlungstätigkeit des Archivs geht weiter. Noch immer gelangen persönliche Nachlässe und Dokumente in das Archiv. Inzwischen sind es gut 1500 private Nachlässe.
"Heute hat der Zionismus eine andere Ausrichtung als vor 1948. Heute sucht der Zionismus Antworten auf Probleme, die mit dem Zionismus zusammenhängen. Das ist etwas völlig anderes und das müsste sich abbilden in der Sammlungstätigkeit. Ein Archiv sucht immer nach Antworten auf die Probleme der Zeit."
Jüngst erhielt das Zentralarchiv die gesamte Fotodokumentation der zionistischen Frauenbewegung Haddassah. Derzeit wird intensiv daran gearbeitet, das gesamte Archiv zu digitalisieren und auch online zugänglich zu machen.
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