100 Jahre "Watschenkonzert"

30.05.2013
In Wien feiert man gerne, und da ist mancher Anlass willkommen. Zum Beispiel ein damals eher unfeierliches Konzert von Arnold Schönberg anno 1913. Hundert Jahre später wurde Schönbergs "Skandalkonzert" nun noch einmal aufgeführt.
Der Wiener Musikverein hat die Saison 2012/13 ganz der Erinnerung gewidmet: Im Herbst 1812 wurde die Gesellschaft der Musikfreunde in Wien begründet – und damit eine der einflussreichsten Musikinstitutionen der Welt. Im Frühjahr 1913 wurde im Haus der Gesellschaft – dem berühmten Musikvereinsgebäude – ein Konzert Arnold Schönbergs und seiner Schüler so sehr in Grund und Boden gepfiffen, dass es als "Watschenkonzert" in die Wiener Musikgeschichte einging.

Zu den Besonderheiten der österreichischen Kultur gehört es, Künstler erst zu skandalisieren und sie dann zu umarmen – siehe Egon Schiele, Karl Kraus, Thomas Bernhard, Nikolaus Harnoncourt und Hermann Nitsch und und und. Dass man heute aus Schönbergs Skandalkonzert ein Jubiläumsprogramm vor artig applaudierenden Smokingträgern macht, gehört in diese durchaus amüsante Tradition. Aber dieses Konzert des ORF-Radio-Symphonieorchesters Wien und seines Chefdirigenten Cornelius Meister war viel mehr als das: Es war, wenige Tage nach dem hundertjährigen Jubiläum, ein willkommener Anlass, die Musik der Wiener Schule in hochkonzentrierter Form erleben zu können.

Was Arnold Schönberg am 31. März 1913 unter dem Protest des Wiener Publikums dirigierte, sollte keine Momentaufnahme, geschweige denn eine Provokation darstellen. Es war ein Porträtkonzert eines Kreises eng miteinander verbundener Komponisten: Gustav Mahler als Idol einer ganzen Generation, Alexander von Zemlinsky als einziger Lehrer Schönbergs, Schönberg wiederum als Lehrer von Anton Webern und Alban Berg. Die Bandbreite der ausgewählten Stücke reicht vom Zeitgeist des Fin de siècle bei Zemlinsky über die ausladende nachromantische Instrumentationskunst Bergs und Weberns bis hin zur Neudefinition der Klangmittel in Schönbergs Kammersinfonie.

P.S.: Die Aufführung am 5. April 2013 fand den vollen Beifall des Publikums.


Musikverein Wien
Aufzeichnung vom 05.04.2013

100 Jahre "Watschenkonzert" – eine Rekonstruktion

Anton Webern
Sechs Stücke für großes Orchester op. 6
(Urfassung)

Alexander von Zemlinsky
Vier Orchesterlieder
nach Gedichten von Maurice Maeterlinck

ca. 20:40 Uhr Konzertpause mit Nachrichten

Arnold Schönberg
Kammersinfonie Nr. 1 E-Dur op. 9
(erweiterte Fassung von 1913)

Alban Berg
Zwei Lieder aus den Orchesterliedern
nach Ansichtskartentexten von Peter Altenberg op. 4

Gustav Mahler
"Kindertotenlieder"
nach Gedichten von Friedrich Rückert
für Gesang und Orchester


Christiane Oelze, Sopran
Iris Vermillion, Mezzosopran
ORF Radio-Symphonieorchester Wien
Leitung: Cornelius Meister