100 Jahre Tel Aviv
Am 11. April 1909 vollzogen zionistische Pioniere den ersten Spatenstich für die erste jüdische Stadt der Moderne. Heute würden Palästinenser und die internationalen Medien diese Pioniere "Siedler" nennen. Siedler, die sich bewusst - heutige Sprachregelung: "provokativ" - neben und gegen das arabische Jaffa setzten. Weit gefehlt, denn die Gründer Tel Avivs, zumeist glühende Sozialisten, waren Nationaljuden - also Zionisten - und als echte Sozialisten zugleich Internationalisten. Vor allem aber: Sie waren Humanisten.
Nichts, rein gar nichts hatten sie gegen die Araber Jaffas oder Palästinas. Die meisten Araber waren ihnen ganz einfach, wie alle Nicht-Linken – egal, ob Juden oder Andere – zu "rückständig", "reaktionär" oder, weicher formuliert, zu "traditionell". "Modell" des Fortschritts sollte Tel Aviv werden, für Juden, Araber, ja, "für die Menschheit" ganz allgemein, denn der Früh-Zionismus trug durchaus Züge eines weltlichen Messianismus.
Der Name "Tel Aviv" sollte das neue, zionistische, ins "Land der Väter" zurückgekehrte Judentum kennzeichnen. Wörtlich übersetzt heißt "Tel Aviv": "Frühlingshügel". Aber ein "Tel" ist kein einfacher Hügel, sondern eine Erhebung, die durch viele übereinander gelagerte archäologische Schichten entstanden ist. Das wiederum heißt: Hier, in Tel Aviv, vermischt sich Neues mit Uraltem. Der Name Tel Aviv ist somit zugleich eine Chiffre für zionistisches Wollen und Da-Sein. Mehr als nur "da sein", nämlich Dasein eher im Sinne von "Sein" und "Sein" im Sinne von "Substanz".
Der Name "Tel Aviv" ist zugleich die hebräische Übersetzung von Theodor Herzls Quasi-Roman "Altneuland". Wer war Theodor Herzl? Der Begründer des politischen Zionismus. "Altneuland", Tel Aviv, die "Tel"-Erhebung fürs Alte, der Frühling, "Aviv", fürs Neue und Aufblühende.
Wozu die Gelehrsamkeiten? Um zu zeigen, dass und wie und wo das moderne Israel eine vielschichtige Mischung aus Neuem und Altem ist. Selbst die revolutionären Neuerer – und das waren die Gründer Tel Avivs – knüpften an Uraltes an, während sie sich von der Alten Welt demonstrativ abgrenzten. Nicht nur von der Alten Welt der Araber, sondern auch der orthodoxen Juden. Die orthodoxen Juden lebten im uralten Jerusalem und waren schon den Gründern Tel Avivs ein Dorn im Auge – und umgekehrt. Dem (aus der Sicht zionistischer Neuerer) langweiligen, sittenstrengen, orthodox-jüdischen Jerusalem sollte Neu-Jüdisches entgegengesetzt werden: quicklebendig, prickelnd, nicht nur national, sondern auch emotional, ja auch sexuell frühlingshafte Gefühle weckend, kreativ in des Wortes vielfacher Bedeutung. Dort das brave, fromme Jerusalem, hier Tel Aviv, das Sünden-Babel. Damals wie heute.
Das ewig-kreative, ewig-wache, ewig-laute Tel Aviv zieht auch die Diplomaten mehr an als Jerusalem. Ihre Botschaften stehen nicht in Jerusalem, der Hauptstadt Israels, sondern in Tel Aviv. Das jedoch ist ein anderes prickelndes Problem: ein politisches. Fast alle Staaten haben Angst vor arabischen Strafmaßnahmen, wenn sie Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen.
Viel unpolitischer lösen moderne Israelis das Problem Jerusalem oder Tel Aviv? Sie fragen: "Was ist das Beste an Jerusalem?" Antwort: "Es ist nur 30 Autominuten von Tel Aviv entfernt."
Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West" und "Meine Juden - Eure Juden".
Der Name "Tel Aviv" sollte das neue, zionistische, ins "Land der Väter" zurückgekehrte Judentum kennzeichnen. Wörtlich übersetzt heißt "Tel Aviv": "Frühlingshügel". Aber ein "Tel" ist kein einfacher Hügel, sondern eine Erhebung, die durch viele übereinander gelagerte archäologische Schichten entstanden ist. Das wiederum heißt: Hier, in Tel Aviv, vermischt sich Neues mit Uraltem. Der Name Tel Aviv ist somit zugleich eine Chiffre für zionistisches Wollen und Da-Sein. Mehr als nur "da sein", nämlich Dasein eher im Sinne von "Sein" und "Sein" im Sinne von "Substanz".
Der Name "Tel Aviv" ist zugleich die hebräische Übersetzung von Theodor Herzls Quasi-Roman "Altneuland". Wer war Theodor Herzl? Der Begründer des politischen Zionismus. "Altneuland", Tel Aviv, die "Tel"-Erhebung fürs Alte, der Frühling, "Aviv", fürs Neue und Aufblühende.
Wozu die Gelehrsamkeiten? Um zu zeigen, dass und wie und wo das moderne Israel eine vielschichtige Mischung aus Neuem und Altem ist. Selbst die revolutionären Neuerer – und das waren die Gründer Tel Avivs – knüpften an Uraltes an, während sie sich von der Alten Welt demonstrativ abgrenzten. Nicht nur von der Alten Welt der Araber, sondern auch der orthodoxen Juden. Die orthodoxen Juden lebten im uralten Jerusalem und waren schon den Gründern Tel Avivs ein Dorn im Auge – und umgekehrt. Dem (aus der Sicht zionistischer Neuerer) langweiligen, sittenstrengen, orthodox-jüdischen Jerusalem sollte Neu-Jüdisches entgegengesetzt werden: quicklebendig, prickelnd, nicht nur national, sondern auch emotional, ja auch sexuell frühlingshafte Gefühle weckend, kreativ in des Wortes vielfacher Bedeutung. Dort das brave, fromme Jerusalem, hier Tel Aviv, das Sünden-Babel. Damals wie heute.
Das ewig-kreative, ewig-wache, ewig-laute Tel Aviv zieht auch die Diplomaten mehr an als Jerusalem. Ihre Botschaften stehen nicht in Jerusalem, der Hauptstadt Israels, sondern in Tel Aviv. Das jedoch ist ein anderes prickelndes Problem: ein politisches. Fast alle Staaten haben Angst vor arabischen Strafmaßnahmen, wenn sie Jerusalem als Hauptstadt Israels anerkennen.
Viel unpolitischer lösen moderne Israelis das Problem Jerusalem oder Tel Aviv? Sie fragen: "Was ist das Beste an Jerusalem?" Antwort: "Es ist nur 30 Autominuten von Tel Aviv entfernt."
Michael Wolffsohn, Historiker, wurde 1947 in Tel Aviv als Sohn deutsch-jüdischer Emigranten geboren. Er kam als Siebenjähriger mit seiner Familie nach Deutschland. Nach dem Studium der Geschichte, Politikwissenschaft und Volkswirtschaft in Berlin, Tel Aviv und New York arbeitete er bis zu seiner Habilitation an der Universität in Saarbrücken. 1981 wurde er Professor für Neuere Geschichte an der Bundeswehrhochschule in München. Zu seinen Veröffentlichungen zählen "Keine Angst vor Deutschland!", "Die Deutschland-Akte - Tatsachen und Legenden in Ost und West" und "Meine Juden - Eure Juden".

Michael Wolffsohn© AP