100 Jahre politischer Mord in Deutschland

Republikanische Juristen

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Porträt von Robert Kempner, der ein Buch mit der Aufschrift "Das Urteil im Wilhelmstraßen-Prozess" hält.
Robert Kempner im Jahr 1951: Er gehörte zu den Mitgliedern des Republikanischen Richterbundes, emigrierte später in die USA und war einer der Ankläger bei den Nürnberger Prozessen. © picture alliance / dpa / Vack
Von Elke Kimmel · 05.01.2022
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Eine Mehrheit der Richter fühlte sich vor 100 Jahren dem monarchischen Obrigkeitsstaat verbunden. Dieser Übermacht versuchten demokratisch gesonnene Juristen in der frühen Weimarer Republik entgegenzutreten.


„Von der Überzeugung durchdrungen, dass der deutsche Wiederaufbau – und in dessen Rahmen ein Vertrauensverhältnis des Volkes zur Rechtspflege – nur auf der Grundlage der demokratischen Republik gedeihen kann, haben sich in Berlin Richter und Angehörige verwandter Berufe zu einem republikanischen Richterbund vereinigt.“

Das berichtet der sozialdemokratische „Vorwärts“ am 30. Dezember 1921.

„Wir wollen ein freiheitliches Richtertum, das frei von Standesdünkel, aus innerer Harmonie dem Herzschlag des Volkes, seiner schaffenden und schöpferischen Schichten folgt. Wir wollen ein unabhängiges Richtertum (…)
Wie der vor Kurzem gegründete Republikanische Lehrerbund, so heißen auch wir in unseren Reihen jeden willkommen, der sich rückhaltlos zur demokratischen Republik bekennt.“

Viele Richter betrachten sich in der Weimarer Republik als unpolitisch, selbst wenn sie den extrem rechten Parteien nahestehen oder gar für diese im Parlament sitzen. Den negativen Beigeschmack, „politisch“ zu sein, hat für sie jegliches Eintreten für die Republik oder für demokratische Parteien.

Mehrheit der Richter nicht republikanisch

Drakonische Strafen selbst für geringe Vergehen von Arbeiterinnen und Arbeitern sind üblich, Nachsicht gegenüber Adeligen und Offizieren ebenso. Die Mehrheit der Richter fühlt sich nicht der Republik, sondern dem monarchischen Obrigkeitsstaat verbunden.
Der Republikanische Richterbund will dies ändern, er setzt sich für eine Rechtsprechung im Geiste der Weimarer Verfassung ein. Zu den Mitgliedern gehören der sozialdemokratische Justizminister Gustav Radbruch, der spätere Rat am Oberverwaltungsgericht Wilhelm Kroner und Robert Kempner, der nach 1945 eine wichtige Rolle aufseiten der amerikanischen Ankläger bei den Nürnberger Prozessen spielen wird.

100 Jahre politischer Mord in Deutschland
Eine Sendereihe über mörderische Demokratiefeindschaft und ihre Hintergründe
Zeitfragen, immer mittwochs gegen 19.25 Uhr
Eine Kooperation von Deutschlandfunk Kultur mit dem Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung (Potsdam)

Immer wieder kritisieren die republikanischen Juristen Fehlurteile. Wilhelm Kroner etwa die Entscheidung im Fall einer Verleumdungsklage gegen einen Staßfurter Journalisten: Dieser hatte den Reichspräsidenten Friedrich Ebert als Landesverräter bezeichnet.
Das Magdeburger Gericht verurteilt den Pressemann zu einer milden Strafe und unterstützt in der Urteilsbegründung sogar die Verleumdung, Reichspräsident Ebert habe Landesverrat begangen.
Wilhelm Kroner vom Republikanischen Richterbund ist entsetzt über die Urteilsbegründung und distanziert sich 1924 in der „Vossischen Zeitung“ von seinen „Kollegen“:

„Richter (…), die es unternehmen, das Oberhaupt des Staates in der dargelegten Art rücklings infamieren zu wollen, infamieren sich selbst. In diesem neuen, krassen Ausnahmefall ist es zu meinem Schmerz und meiner Empörung wieder geboten, auf der Stelle kundzutun: Es gibt noch Richter in Deutschland, die von solcher ‚Justiz‘ abrücken.“

Übermacht rückwärtsgewandter Beamter

In anderen Fällen nutzen die Gerichte das Republikschutzgesetz von 1922 gezielt, um die Freiheit der Kunst anzugreifen. Kroner und Radbruch wehren sich als Unterzeichner eines Aufrufs „Für die Freiheit der Kunst“ im März 1928 dagegen:

„Nicht soll den Gesetzen das Recht bestritten werden, die Verfassung des Staates vor gewaltsamen Angriffen zu schützen. Aber es kann nicht Aufgabe des Staates oder seiner Organe sein, Gesinnungen zu verfolgen, ganz gleich, ob sie den Staat in seiner heutigen Gestalt bejahen oder verneinen. (…) Die Fälle aber mehren sich, in denen ‚staatsfeindliche‘ Gesinnung auch im Kunstwerk gerichtlich verfolgt wird.“

Gegen die Übermacht der rückwärtsgewandten Beamten im Justiz- und Verwaltungsapparat hat der Republikanische Richterbund allerdings keine Chance. Als Hitler an die Macht kommt, verlieren Kempner, Kroner und Radbruch im März 1933 ihre Positionen.
Während sich Radbruch ins Privatleben zurückzieht und Kempner die Emigration über Italien in die USA gelingt, wird Kroner 1942 ins Konzentrationslager Theresienstadt verschleppt, wo er Anfang Oktober 1942 stirbt.
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