100 Jahre Normierung

"DIN A4 ist die berühmteste Norm"

Sitz des Deutschen Institutes für Normung in der Burggrafenstraße am DIN-Platz in Berlin-Tiergarten
Sitz des Deutschen Institutes für Normung in der Burggrafenstraße am DIN-Platz in Berlin-Tiergarten © picture alliance / ZB
Knut Blind im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 10.11.2017
Die DIN-Norm wird 100: In Zeiten der Globalisierung seien nationale Industrie-Normen vor allem ein Schutz für den Mittelstand, sagt Knut Blind, Professor an der Technischen Universität Berlin. Denn für die internationalen Großunternehmen sei es viel leichter, ihre Interessen durchzusetzen.
Stephan Karkowsky: Heute feiert eine ganz urdeutsche Institution 100-Jähriges, und obwohl uns ihre Arbeit täglich das Leben erleichtert, wissen wir doch nur wenig über das Deutsche Institut für Normung, kurz DIN, mit Sitz am DIN-Platz – wirklich wahr – in Berlin. Aus Berlin kommt auch Professor Knut Blind, der Wirtschaftswissenschaftler der Technischen Universität gilt als einer der führenden Experten in Sachen Standardisierung. Herr Blind, guten Morgen!
Knut Blind: Guten Morgen, Herr Karkowsky!
Karkowsky: DIN-Normen zu entwickeln, das klingt nach Bürokratie, nach pingeliger, langweiliger Kleinarbeit. Ist das eigentlich was typisches Deutsches?
Blind: Es ist nichts typisch Deutsches, denn die meisten Länder haben Normungsinstitute, zum Teil sind die in den Ministerien verhaftet. Es ist aber schon so, dass Deutschland inzwischen noch relativ viel auf der nationalen Ebene macht, und das gilt für viele andere Länder nicht mehr. Wer natürlich der große Player ist, der jetzt auftaucht und auch das Thema annimmt, ist China als strategisches Instrument, um letztendlich ihre Volkswirtschaft nicht nur national, sondern eben auch international voranzubringen.

"Die meisten Länder haben Normierungsinstitute"

Karkowsky: Sie selbst erforschen die Standardisierung aus Leidenschaft, was finden Sie denn so spannend daran?
Blind: Das ist ein Thema, was es sehr schwer hat in der akademischen Forschung, weil es gehört eigentlich nirgendwo richtig rein. Es ist kein typisches Thema für einen Wirtschaftswissenschaftler, weil es hat natürlich auch juristische Aspekte, es hat technische Aspekte, das heißt, man muss sich auch auf die Technologie einlassen. Das heißt, das ist in der Tat ein multidisziplinäres Thema, was spannend ist – also wenn man das mag –, und es ist ein Thema, was sich letztendlich auch auf verschiedenen Ebenen angehen lässt, also von der makroökonomischen, wirtschaftspolitischen Ebene auf die technologische Ebene, auf die Unternehmensebene bis hin auf das Individuum – was treibt ein Individuum eben, sich an der Normung zu beteiligen.
Karkowsky: Was ist denn alles genormt heutzutage?
Blind: Sehr viel. Wie gesagt, wir haben angefangen hier mit dem Beispiel 1917. Was die berühmteste Norm ist, ist die DIN A4, das Papierformat, DIN A5. Inzwischen wird es halt sehr komplex. Und Themen wie Industrie 4.0 stellen eine große Herausforderung dar für die Zukunft. Und auch, wenn wir jetzt hier Klimagipfel im Hintergrund haben, Themen der Nachhaltigkeit sind ein großes Thema – Umweltmanagement, Energieeffizienz und so weiter. Also alle große Themen.
Karkowsky: Aber so Alltagssachen, mit denen ich halt morgens zu tun habe, weiß ich, die Matratze, von der ich aufstehe, die Zahnpasta, das ist noch nicht genormt, oder?
Blind: Doch, das ist auch genormt. Die Matratzen müssen eben feuerfest sein, die Zahnpasta-Tube hat bestimmte Normen, an die man sich halten kann. Es ist freiwillig, es ist kein Gesetz, an das Sie sich halten müssen.
Karkowsky: Also mal angenommen, ich ärgere mich drüber, dass im Auslandsurlaub mein Handyladegerät nicht in die örtlichen Steckdosen passt, kann ich dann einfach beim DIN eine Norm beantragen und hoffen, alle anderen Länder passen sich endlich an, an die schönen deutschen Steckdosen?
Blind: Ja, ich glaube, da ist es zu spät. Die Infrastrukturen sind da, und es würde irgendwie riesige Investitionen benötigen, um das zu ändern. Aber was aktuell erfolgreich gelaufen ist, ist, dass der Stecker für unser Auto der Zukunft, sprich das Elektroauto in Europa, einheitlich gemacht wurde, obwohl das wirklich auch ein zähes Ringen war zwischen verschiedenen Parteien. Und vor allem in Frankreich gab es eine andere Spezifikation als in Deutschland. Letztendlich hat sich dann die deutsche Lösung durchgesetzt. Was sich dann global auf anderen Kontinenten durchsetzen wird, muss man mal sehen.
Karkowsky: Was war denn eigentlich der Anlass, das DIN-Institut zu gründen vor genau 100 Jahren?
Blind: Ja, der Anlass war, dass man gesehen hat, dass man Normen braucht, weil die Produkte wurden komplexer, man ist in die Massenproduktion eingestiegen. Es gab auch schon vor dem DIN im Bereich der Elektrotechnik Institutionen, wo man gesehen hat, dass man das eben braucht. Und je komplexer die Produkte werden oder wurden, desto komplexer wurden dann auch die Normen.
Karkowsky: Brauchen wir denn in Zeiten der Globalisierung überhaupt noch nationale Institute wie das DIN, wäre da ein Weltnormungsinstitut nicht der ökonomischere Weg?
Blind: Wir haben ein Weltnormungsinstitut oder mehrere. Die ISO in Genf ist eine UN-akkreditierte Organisation.

"Das DIN vertritt die Interessen der kleineren Player"

Karkowsky: Abkürzung für Industriestandard?
Blind: Die International Organization for Standardization, ISO, die macht in der Tat internationale Normen. Es ist so, dass auf der nationalen Ebene weniger gemacht wird als, sagen wir, so in den 80er- oder 70er-Jahren, die rein nationalen Aktivitäten sind gesunken. Aber wir brauchen auch das DIN weiterhin in der Zukunft, denn das DIN vertritt ja auch die Interessen der kleineren Player.
Die großen Multinationals also die großen globalen Unternehmen, die können natürlich – und das machen sie natürlich auch – auf der internationalen Ebene ganz gut ihr Spiel spielen, aber die kleinen, für die ist das zu teuer, und für die ist dann auch der Weg nach Genf oder auch sonst wo hin zu lang. Und deshalb brauchen kleinere und mittlere Unternehmen als der Mittelstand – der deutsche Mittelstand braucht die Normung, aber auch andere Interessenvertreter: Der Umweltschutz und andere gesellschaftlichen Gruppen brauchen letztendlich erst mal den Anlaufpunkt national, um dann dort ihre Interessen einzubringen, die dann letztendlich über verschiedene Wege auch nach Genf und auch in die internationale Normung getragen werden.
Karkowsky: Also wird das DIN, das Institut, wird es also auch benutzt als strategisches Mittel, als Machtinstrument, um das eigene Produkt auf dem Weltmarkt durchzusetzen?
Blind: Ja, in der Tat ist Normung ein strategisches Instrument, und sagen wir mal, ein anderes Forschungsfeld ist die Patentierung. Das ist eben auch die Möglichkeit, hier sich, sagen wir mal, zu schützen auch vor anderen. Die Normung ist aber im Gegensatz zur Patentierung, weil es ist ein offenes Verfahren. Ohne die Normung würden eben gerade die großen, starken Unternehmen ihre Standards als Industriestandards durchsetzen und eine marktbeherrschende Stellung einnehmen, und große amerikanische Unternehmen machen das ja auch noch sehr erfolgreich. Die Normung ist ein offener Prozess, wo eben alle interessierten Kreise an den Tisch kommen können, und letztendlich wird eine Lösung verabschiedet, die von allen getragen wird. Und deshalb ist es auch so eine Art Open-Innovation-Ansatz, der so jetzt nicht in der Öffentlichkeit wahrgenommen wird, aber in der Tat so ist, und eben auch gerade soziale und Umweltaspekte werden mitberücksichtigt.
Karkowsky: Zum heutigen 100. Geburtstag des Deutschen Instituts für Normung sprachen wir mit Professor Knut Blind, dem Leiter des Fachgebiets Innovationsökonomie an der Fakultät Wirtschaft und Management der TU Berlin. Herr Blind, besten Dank!
Blind: Ich danke Ihnen, Herr Karkowsky!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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