100 Jahre Bauhaus: "Das Totale Tanz Theater" in Berlin

Virtuelles Tanzen

05:37 Minuten
"Tanzmaschine" bei "100 Jahre Bauhaus - Das Totale Tanz Theater" an der Akademie der Künste Berlin
Virtuelle Tanzpartnerin: Tanzmaschine mit kubistischen Schulterpolstern. © Interactive Media Foundation
Von Gerd Brendel · 17.01.2019
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Die Bauhaus-Künstler träumten von einer Aufhebung der Grenze zwischen Publikum und Darstellern. In der Berliner Akademie der Künste kann man eine solche Choreografie durch die Virtual-Reality-Brille erleben. Unser Autor fühlte sich wie nach einer Geisterbahnfahrt.
Auf der 360-Grad-Videowand strecken vier Figuren, die an Oskar Schlemmers "Triadisches Ballett" erinnern, ihre Glieder im Kreis. Die Virtual-Reality-Brillen mit Kopfhörer hängen von der Decke und erinnern an martialische Gasmasken. Ein Mitarbeiter drückt mir eine Art Joystick in die Hand und hilft mir, eines der Ungetüme über den Kopf zu ziehen. Ich sehe in einen leeren Raum und höre:
"Willkommen, welcome zu 'Das Totale Tanz Theater'!"
Im Lichtkegel vor mir erscheint eine Figur mit einem schwarzen Ei anstelle des Gesichts -
"This is your Tanzmaschine. Activate it now!"
Mit Klick auf meinen Joystick wachsen meiner Tanzmaschine kubistische Schulterpolster-
"Follow your Tanzmaschine!"
Ahh und jetzt? Mit dem Daumen auf dem Joystick kann ich so dicht an die Figur heranzoomen, dass wir uns fast zu berühren scheinen. Sie springt davon und ich folge ihr, andere Tänzer kommen ins Bild und weichen mir aus. Ich kann sie verfolgen, ich kann es aber auch bleiben und den Blick nach links und rechts schweifen lassen, nach oben, nach unten: Vor mir ein fast endloser leerer Raum. Rampen führen in die Höhe in eine unendlich hohe Kuppel. In der Ferne: Gruppen anderer Tänzer. Unter dem Metallrost zu meinen Füßen gähnt ein lichter Abgrund.

Oskar Schlemmer: "Alles Mechanisierbare wird mechanisiert"

"Wir sind theoretisch von zwei Prämissen ausgegangen am Bauhaus." Wir - das sind die Künstlerinnen Diana Schniedermeier und Maya Puig. Sie ließen sich inspirieren von "der Forderung von Gropius, aber auch von Schlemmer , nach dem Totaltheater". In "Mensch und Kunstfigur" schrieb Oskar Schlemmer 1924: "Zeichen unserer Zeit ist die Abstraktion, die sich auswirkt in Verallgemeinerung und Zusammenfassung, um in großem Umriß ein neues Ganzes zu bilden."
Schlemmers berühmte Figurinen sind Abstraktionen seiner Theatertheorie: Die "Gliederpuppe" zum Beispiel steht für die Körperfunktionen der Darsteller, die "wandelnde Architektur" für die Beziehung von Mensch und Raum. Die Bauhäusler waren fasziniert von den technischen Neuerungen ihrer Zeit: "Zeichen unserer Zeit ist ferner die Mechanisierung, der unaufhaltsame Prozess, der alle Gebiete des Lebens und der Kunst ergreift. Alles Mechanisierbare wird mechanisiert."
Diana Schniedermeier: "Vor 100 Jahren ist das passiert vor dem Hintergrund der Mechanisierung und Industrialisierung – uns treibt heute die Frage mindestens genauso drängend um vor dem Hintergrund der Digitalisierung und künstlicher Intelligenz. Wer ist der Mensch und welche Rolle hat er im Verhältnis zur Maschine?"

Schwerelos in die Höhe

Im "Totaltheater", das ich mit meiner VR-Brille entdecke, verschwimmen die Grenzen: Die Tänzer bewegen sich mal wie Menschen und dann wieder wie Superroboter, wenn sie durch den Raum segeln. Ich selbst schwebe mit ihnen schwerelos in die Höhe. Meine Tanzmaschine mit den kubistischen Schulterpolstern fordert mich mit einem Kopfnicken auf, ihr zu folgen. Mit einem Mal sacke ich ab und die Tanzmaschinen springen über meinen Kopf hinweg.
"Die Körper der Tänzer, die Sie sehen, sind wirklich die Tänzer." Und zwar die vier Tänzer, mit denen der Choreograph Richard Siegal gearbeitet hat. "Es sind 2500 Einzelbewegungen entstanden, die die Tänzer unter Anleitung von Richard eingetanzt haben und die wurden am Computer durch Algorithmen und Regeln immer wieder neu zusammengesetzt."
Schlemmer und Gropius träumten von einem "Totaltheater" als großem Ganzen von Zuschauern und Darstellern, von Menschen und Maschinen. Ihr Ziel – eine neue menschliche Gesellschaft - behielten sie dabei im Auge. Vor meinem Auge sehe ich eine abstrakte Landschaft. Nach dem Finale mit den wirbelnden Tänzern mache ich einen Schritt über den Rand meines Metallrosts und schwebe für Sekunden über einen milchig schimmernden Abgrund. Als ich die Brille abnehme, sehe ich erleichtert in echte Gesichter. Ich komme mir ein bisschen so vor wie nach einer Fahrt durch eine Geisterbahn und urplötzlich habe ich Lust auf Zuckerwatte: klebrig-zuckrig, aber echt – wie das reale Jahrmarktsleben.

"100 Jahre Bauhaus - Das Totale Tanz Theater" an der Akademie der Künste Berlin vom 17.1. - 24.1.2019