1. Mai in Los Angeles

Was die Coronakrise für Immigranten in den USA bedeutet

04:13 Minuten
Ein Arbeiter steht an einem Tor zur Baustelle mit "Stop"-Schild, damit niemand ohne Temperaturmessung auf das Gelände kommt.
Mitte Juli soll das neue Stadion in Los Angeles eröffnet werden - nach einem Coronafall werde nun täglich bei allen Mitarbeitenden Fieber gemessen, berichtet ein Arbeiter. © dpa / AP / Chris Pizzello
Von Kerstin Zilm · 01.05.2020
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Einwanderer ohne Papiere bekommen bisher kein Geld aus der US-Bundeshilfe. Dabei sind sie besonders von den Auswirkungen der Corona-Pandemie betroffen. Ein großes Thema bei den Aktionen zum 1. Mai - die in Los Angeles digital stattfanden.
In den vergangenen 20 Jahren zogen Tausende von Demonstranten vorbei an den Wolkenkratzern in Downtown Los Angeles, die meisten von ihnen Immigranten und Kinder von Immigranten. In diesem Jahr nicht: Das Virus hat den geplanten Feiern zum Jahrestag einen Strich durch die Rechnung gemacht. Zugleich spitzt sich die Lage zu, erklärt Polo Morales von CHIRLA, der Koalition für Humane Immigrationsrechte in L.A..
"Wir betonen dieses Jahr, dass alle Arbeiter systemrelevant sind, egal ob sie Papiere haben oder nicht. Wir machen darauf aufmerksam dass unsere Strukturen sie nicht ausreichend unterstützen, obwohl sie viele Opfer bringen."
Arbeiter werden via Videokonferenz berichten, wie das Virus ihre Arbeit in der Landwirtschaft, in Hotels und Restaurants, in Supermärkten, auf dem Bau und in anderen Branchen verändert oder ausgelöscht hat.

Angst davor zu arbeiten - und vor Jobverlust

Edyth Gaitan ist pharmazeutische Assistentin in einem Pflegeheim. Die Mutter von zwei Kleinkindern hat Angst zur Arbeit zu gehen. Sie kann es sich aber nicht leisten, zu Hause zu bleiben. Nach zwei Wochen würde sie ihren Job verlieren, damit auch ihre Krankenversicherung und die für ihre Kinder.
"Es macht mir besonders Sorgen, dass unsere Ärzte von außerhalb kommen, aus allen möglichen Richtungen. Keiner unserer Patienten ist bisher erkrankt. Aber wir hatten Ärzte, die positiv getestet wurden."
Gaitan ist vor 30 Jahren aus Mexiko eingewandert und hat die US-Staatsbürgerschaft. Sie hat Mitgefühl mit denen, die ohne Papiere unter noch schlechteren Bedingungen arbeiten.
"Ich finde, es sollte eine Amnestie oder so geben - für alle, die in systemrelevanten Job arbeiten. Sie bringen uns das Essen, putzen unsere Krankenhäuser zum Beispiel. Alle verdienen Unterstützung."
Einwanderer ohne Papiere bekommen bisher kein Geld aus der US-Bundeshilfe. Von der Einmalzahlung, die der Kongress beschlossen hat, sind auch Ehepartner illegaler Einwanderer ausgeschlossen.
Kalifornien hat deshalb ein Programm von 125 Millionen Dollar Soforthilfe eingerichtet. Das ist nur ein schwacher Trost für die mehr als 200 Millionen Betroffenen.

Einwanderer aus Lateinamerika schlecht abgesichert

Genaro Romero ist Dachdecker. Derzeit arbeitet er an einem neuen Football-Stadion, das in Los Angeles hochgezogen wird. Es soll Mitte Juli mit einem Taylor-Swift-Konzert eröffnet werden. Vor zwei Wochen wurde ein Bauarbeiter am Stadion positiv auf das Virus getestet. Doch die Arbeit geht weiter. Die Show ist nicht gecancelt und Romero hat eine 60-Stunden-Woche. Ihm ist das recht. Er braucht das Geld. Seine Frau hat ihren Job als Köchin verloren. Sie sparen, damit ihre beiden Kinder aufs College gehen können.
"Sie messen jeden Morgen unsere Temperatur. Wir müssen zu jeder Zeit Mund und Nase schützen, Handschuhe tragen, oft unsere Hände waschen und Desinfektionsmittel benutzen."
Eine Studie des US-Politikzentrums für Ökonomie ergab, dass Einwanderer aus Lateinamerika besonders von den Folgen des Virus betroffen sind, weil sie öfter Jobs haben, die nicht von zu Hause erledigt werden können, weil sie seltener krankenversichert sind und weil sie weniger Erspartes haben als andere Bevölkerungsgruppen.

Offensichtlichere strukturelle Probleme

CHIRLA-Sprecher Polo Morales sagt: Politik und Rhetorik der Trump-Regierung verschärften die Situation. Strukturell sei aber schon lange viel im Argen, was durch das Virus noch offensichtlicher werde:
"Wenn man den Einwanderern finanzielle Unterstützung und ein soziales Netz versagt, hat das in einer Krise wie dieser unmittelbar Folgen für die lokale Wirtschaft und wird die Isolationsmaßnahmen nur verlängern."
Dachdecker Genaro Romero bleibt zuversichtlich. Die Situation beweise doch, dass die USA ohne Einwanderer stillstehen würden.
"So werden die Firmen und die Regierung sehen, dass wir gerne arbeiten und dass, wenn wir das alle zusammen tun, alles gut werden wird."
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