Zwischen den Fronten

Von Hannelore Heider · 04.09.2013
Die Liebesgeschichte vor dem Hintergrund des Nordirlandkonflikts bringt eines der blutigsten Dramen jüngster europäischer Geschichte in Erinnerung, das freilich im Rest Europas fast vergessen ist. Wohl aber nicht in Irland und Großbritannien, denn der oscarprämierte Dokumentarfilmregisseur James Marsh lässt es in seinem sehr persönlichen Filmdrama noch einmal aufleben.
In 90er-Jahren standen die Friedensverhandlungen zwischen der IRA und der britischen Regierung kurz vor dem Abschluss. Doch Teile der IRA wollten die Waffen nicht niederlegen. In solch einer Familie mit zwei aktiven IRA-Brüdern ist Colette (Andrea Riseborough) groß geworden. Den Tod ihres kleinen Bruders in diesem Konflikt rechnet sie sich als Schuld an. Wahrscheinlich auch deshalb sehen wir sie 15 Jahre später in den Tunneln der Londoner U-Bahn eine Bombe platzieren, doch sie wird festgenommen und vom MI5 Agenten Mac (Clive Owen) vor die Alternative gestellt, 25 Jahre im Gefängnis zu sitzen oder fortan für den britischen Geheimdienst als Informantin zu arbeiten.

Colette ist inzwischen alleinerziehende Mutter eines Sohnes und betreut außerdem ihre alte Mutter (Brid Brennan). Sie stimmt also zu und wird immer wieder von einem Piper zu geheimen Treffen geladen. Parallel dazu hat ihre Entlassung Misstrauen bei ihren IRA-Genossen erregt, zu denen auch ihre Brüder Gerry (Aidan Gillen) und Connor (Domhnall Gleeson) gehören. Misstrauen bedeutet nach den strengen Regeln des Untergrundes das Todesurteil.

Die Verfilmung des gleichnamigen Romans von Tom Bradby, der auch das Drehbuch schrieb, zeigt kompromisslos, wie sehr sich der Kampf der IRA längst von allen moralischen Kategorien menschlichen Zusammenlebens gelöst hat. Vor allem berührt der tragische Konflikt, weil er sich im persönlichen Umfeld einer jungen Frau abspielt, die zwischen Lebenswillen und den Traditionen ihrer Familie zerrissen wird. Bald kann sie sich nur noch dem MI5 Agenten Mac anvertrauen, was eine schizophrene Situation ist, die Regisseur James Marsh gradlinig und ohne jegliche Melodramatik erzählt, wobei er sich bei Andrea Riseborough und Clive Owen auf hervorragende Darsteller verlassen kann.

Der Dokumentarfilmer hat dem persönlichen Drama der jungen Frau auch noch den tiefen Loyalitätskonflikt des Geheimdienstmannes Mac hinzugefügt. Sowohl wegen seiner düster-kargen Machart als auch seiner politischen Konfliktdichte ist "Shadow Dancer" ein anspruchsvolles Filmerlebnis, das einen informierten Zuschauer voraussetzt.


Shadow Dancer
Großbritannien, Irland, Frankreich 2012. Regie: James Marsh. Darsteller: Andrea Riseborough, Clive Owen, Brid Brennan, Aidan Gillen, Domhnall Gleeson. 101 Minuten, ab 12 Jahren.