Zwischen Angriffslust und Depression

Von Winfried Sträter · 14.06.2012
Jugend in Lübeck, Exil in Norwegen, Bürgermeister in Berlin, Minister und Kanzler in Bonn, visionärer Staatsmann ohne Regierungsamt nach 1974: Das spannungsreiche Leben von Willy Brandt wird in einer Ausstellung in der Hauptstadt gezeigt.
Passanten auf dem Weg zum Brandenburger Tor sehen den knienden Kanzler: Willy Brandt 1970 vor dem Mahnmal im Warschauer Ghetto, die bewegendste und bedeutendste Geste eines deutschen Politikers im vorigen Jahrhundert.

Besucher der Ausstellung sehen Fotos, Dokumente, kurz gehaltene Informationstexte, Film- und Fernsehaufnahmen aus dem politischen Leben des Herbert Frahm, der sich im Exil Willy Brandt nannte und nach 1945 diesen Namen offiziell beurkunden ließ. Jugend, Exil, Rückkehr und politische Karriere in Berlin, Minister und Kanzler in Bonn, visionärer Staatsmann ohne Regierungsamt nach 1974.

Wer sich etwas mehr Zeit nimmt, entdeckt die ältesten Fernsehbilder von ihm: Willy Brandt mit Tochter auf einer Demonstration zum 1. Mai 1944 in Stockholm, zufällig aufgenommen von der schwedischen Wochenschau. Und man kann ihn reden hören in sehr alten Aufnahmen – 1948 bei einem Landesparteitag der Berliner SPD, als Brandt und die Partei noch sehr links und sozialistisch dachten:

"Der Sozialismus ist für diese Partei keine Feierabendangelegenheit. Wir sind doch nicht sozialistische Demokraten einer fixen Idee willen, sondern wir sind sozialistische Demokraten deswegen, weil wir aus bitterer Erfahrung wissen, dass in diesem Land die Demokratie nur von Dauer sein kann, wenn sie sozialistisch untermauert wird."

1948. Brandt ist seit einem Jahr aus seinem skandinavischen Exil zurückgekehrt und erhält nun wieder die deutsche Staatsbürgerschaft. Die Einbürgerungsurkunde in Kiel ist in der Ausstellung zu sehen – ein Moment, in dem einem der Atem stockt. Das Formular trägt den Titel: "Deutsches Reich. Einbürgerungsurkunde" und am Kopfende prangt der Reichsadler des untergegangenen Hitlerreiches, aus dem Brandt hatte fliehen müssen und ausgebürgert worden war. Nur das Hakenkreuz, das der Adler in seinen Krallen hält, ist geschwärzt. Andere Formulare hatte man noch nicht, eine ganz pragmatische Lösung der Behörde, aber für den heutigen Betrachter von tiefer Symbolkraft: Die Schatten der Vergangenheit werden Brandt in seinem politischen Leben noch lange verfolgen.

Forum Willy Brandt – die Dauerausstellung über einen der prägenden Politiker des demokratischen Deutschland. Fünf Politikerstiftungen des Bundes gibt es: überparteiliche Stiftungen, im Unterschied zu den parteinahen Stiftungen, zu ausgewählten Politikern: Bismarck, den Begründer des deutschen Nationalstaates und Wegbereiter der Sozialpolitik; Friedrich Ebert, den ersten Präsidenten der Weimarer Republik; Theodor Heuss, den ersten Bundespräsidenten; Konrad Adenauer, den ersten Bundeskanzler und eben – Willy Brandt. Die Aufgabe dieser vom Bund mit fünf Millionen Euro jährlich finanzierten Stiftungen ist es, durch Ausstellungen, politische Bildungsarbeit, Veröffentlichungen und Forschungen die Identifikation mit der deutschen Demokratie zu fördern. Wolfgang Hoppenstedt, Geschäftsführer der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung.

"Es kommt ganz stark darauf an, dass man auf ein Stück Positives deutscher Geschichte zurückschaut. Auf Demokratiegeschichte, auf die Wurzeln unserer Demokratie, das unterscheidet uns sicherlich von den andern Gedenkstätten, die die dunklen Zeiten Deutschlands vor allem im Auge haben. Das ist auch eine positive Botschaft."

Keine Ausstellung wird so sehr besucht werden wie die im Forum Willy Brandt: Das garantiert die Adresse im Zentrum Berlins, Unter den Linden. Mehr als alle anderen muss diese Schau zeigen, dass der Anspruch der Politikerstiftungen erfüllt wird. Wolfgang Schmidt, der Kurator der Ausstellung, formuliert die Zielsetzung so:

"Wir zeigen das Leben und das Wirken eines überzeugten Demokraten, der sich gegen Diktatur und Unfreiheit eingesetzt hat und der damit auch Maßstäbe gesetzt hat für die Politik in Deutschland und der auch vieles verändert hat."

Keine Frage: Die Ausstellung ist klug aufgebaut, übersichtlich für den schnellen Rundgang, vertiefend und bestückt mit interessanten Dokumenten für den genaueren Betrachter: der Gestapo-Karteikarte etwa über Brandt oder dem Brief Kennedys an Brandt unmittelbar nach dem Mauerbau.

Aber es gibt einen gravierenden Mangel. "Politikerleben", "Politikerleben", diesen Doppeltitel trägt sie. Dazu sollte man, gerade bei diesem Mann, eine größere Annäherung an die Person wagen. Wenn es irgendeinen deutschen Politiker gegeben hat, der als Mensch die Menschen bewegt hat, dann war es Willy Brandt. Da bleibt die Ausstellung sehr diskret und distanziert. Sie zeichnet verlässlich die Stationen des Politikerlebens nach, thematisiert auch Wandel und Wechselfälle seines Lebens, die Hasstiraden, denen er ausgesetzt war und die Verehrung, die ihm zuteil wurde. Aber sie traut sich nicht so richtig ran an diese Biografie: an Brandts Wechselbad zwischen Depression und Angriffslust, die Auswirkungen der Politik auf sein Privatleben. Dies fehlt – so informativ die Ausstellung im übrigen auch ist. Sie ist leider etwas zu staatstragend, was bei Brandt besonders schade ist.

Informationen der Bundeskanzler-Willy-Brandt-Stiftung
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