Zum Start senden aus dem Provisorium

Von Hartmut Goege · 01.01.2012
Mehr als ein Jahr vor seinem Start war die Geburt eines neuen Radiosenders per Bundesgesetz beschlossen worden. Er sollte ein umfassendes Bild Deutschlands ins europäische Ausland vermitteln. Am 1. Januar 1962 nahm der Deutschlandfunk dann seinen Sendebetrieb auf.
"16 Uhr. Hier ist der Deutschlandfunk auf Mittelwelle und Langwelle. Sie hören Nachrichten. Mit dieser Nachrichtensendung beginnt die gemeinnützige Anstalt des öffentlichen Rechts mit dem Namen Deutschlandfunk ihr Programm."

Erster Januar 1962. Mitten im Kalten Krieg, knapp vier Monate nach dem Bau der Berliner Mauer, meldete sich ein neuer westdeutscher Radiosender aus Köln. Intendant Hermann-Franz-Gerhard Starke hoffte in seiner Eröffnungsrede vor allem auf Hörer in der DDR:

"Meine Hörerinnen und Hörer, vor allem in der mitteldeutschen Heimat. Deutschlandfunk lautet der verpflichtende Name der Rundfunkanstalt, die in dieser Stunde zum ersten Male ihr Programm in den Äther schickt. Hinüber zu Ihnen, die Sie in Mecklenburg oder Thüringen, in Brandenburg oder im Sächsischen zu Hause sind. Deutsche sämtlich, denen es verwehrt ist, gemeinsam mit uns in Freiheit zu leben."

Dem Sendestart vorausgegangen war ein jahrelanger Streit zwischen Bundeskanzler Konrad Adenauer und den Bundesländern. Denn bis dahin war Rundfunk Ländersache. Adenauer hatte 1959 einen Gesetzentwurf vorgelegt, um drei Bundesrundfunkanstalten einzurichten: den Deutschlandfunk, die Deutsche Welle und das Deutschland-Fernsehen.
Das Verfassungsgericht stoppte Adenauers Fernsehpläne.

Radio dagegen wurde als Einrichtung des Bundes erlaubt. Der Auftrag musste klar definiert sein: Der Deutschlandfunk sollte ein umfassendes Bild der Bundesrepublik ins europäische Ausland vermitteln, vor allem aber den Gedanken der Wiedervereinigung bewahren. Erst drei Monate vor dem Start hatte der Sender eine Villa im Kölner Stadtteil Marienburg bezogen, das Badehaus zum Tonstudio umgebaut und die ersten Mitarbeiter auf 40 Zimmer verteilt. Alles glich mehr einem Provisorium:

"Wir saßen also mit unserer Technik in der Küche und in der Garage. Auf der Kegelbahn wurde das Schallarchiv eingerichtet."

Und mit einer Sendestärke von gerade mal 70 kW über zwei Frequenzen waren die Verbreitungsmöglichkeiten noch sehr bescheiden. Innerhalb von zwölf Monaten aber wuchs die Zahl der Mitarbeiter von 71 auf knapp 300, während die Technik zügig ausgebaut wurde.

"Hier ist der Deutschlandfunk. Wir berichten aus dem Zeitgeschehen. Sie hören: das Deutschlandecho!"

Sendungen, wie das halbstündige Deutschlandecho, das über den Alltag auf beiden Seiten der Mauer berichtete, und vor allem die stündlich aktualisierten Nachrichten, wurden zu Markenzeichen. Ab 1964 sendete der DLF rund um die Uhr, dabei stets beide deutsche Staaten im Blick. Über Umwege erreichten hunderttausende DDR-Hörer-Briefe den Sender. Der neue Intendant Franz Thediek 1966:

"Wir erfahren viel durch Besucher aus der Zone hier in der Bundesrepublik, vor allem durch diese Rentner, die uns Grüße von sehr vielen Hörern bringen. Und wir wissen und können es, glaube ich, ohne Übertreibung sagen, dass wir in Mitteldeutschland für sehr große Teile der Bevölkerung das erste Programm sind."

Die DDR-Führung dagegen betrachtete den Kölner Sender als Kampfansage, da er über das berichtete, was von der SED verschwiegen wurde. Etwa Prag 1968:

"Gegen Null Uhr überschritten schnelle Panzertruppen der Sowjetzonen-Volksarmee die Grenze. Über das weitere Schicksal der führenden Reformkommunisten ist nichts Genaues bekannt."

Mit dem Ost-West-Dialog durch Willy Brandt Anfang der 70er-Jahre stellte sich auch der Deutschlandfunk auf deutsch-deutsche Entspannung ein. 1973 verkündete der neue Intendant Reinhard Appel:

"Dies schließt ein, dass wir auch den Marxisten nicht vorschreiben, mit welchen Augen und welcher Dialektik sie die Welt betrachten. Und es sollte auch bei uns niemand auf die schwächliche Idee kommen, den Rundfunk aus der DDR daran zu hindern, uns seinerseits ein umfassendes Bild Deutschlands zu vermitteln."

Diese neue Ära fiel zusammen mit der Grundsteinlegung eines modernen Funkhauses. Der Einzug 1979 war auch der Startschuss für die deutschlandweite Verbreitung auf UKW.

Nach der Wiedervereinigung 1990 hatte der DLF seinen ursprünglichen Auftrag verloren. Dennoch einigten sich die 16 Bundesländer darauf, ab 1994 den Deutschlandfunk zusammen mit dem ehemaligen DDR-Deutschlandsender und dem RIAS Berlin als DeutschlandRadio unter dem öffentlich-rechtlichen Dach von ARD und ZDF weiterzuführen.