Zum Auftakt "Wilhelm Tell"

Von Stefan Zednik · 06.09.2011
Das Schiller-Theater im Berliner Stadtteil Charlottenburg dient heute der Staatsoper als Ausweichquartier und wird ansonsten als Musicalbühne genutzt. Doch einst bot es dem klassischen und modernen Sprechtheater eine Bühne und war lange Zeit das Flagschiff des West-Berliner Theaterlebens.
"Berliner Festwochen 1951"

"Hier spricht das Freie Berlin. Das freie Berlin geht daran, der Welt zu beweisen, dass es in mutiger Manifestation in der freien Kunst, die nicht von Parteigrundsätzen geleitet und diktiert wird, den Willen, den Elan und die Befähigung hat, ein Schaufenster der europäischen Kultur zu werden."

Mit solch hoher Erwartung begann im September 1951 die neuere Geschichte des Schiller-Theaters, einer Bühne, die das Theaterleben der Stadt für lange Zeit bestimmen sollte. Das Haus, 1907 als Privattheater eröffnet, 1923 in die damaligen Preußischen Staatstheater integriert, 1938 grundsaniert und von dem Schauspieler Heinrich George bis zur Zerstörung im Jahr 1943 geleitet, war in dreijähriger Bauzeit neu erstanden.

Es lag im britischen Sektor - die wichtigsten größeren Theater befanden sich in Berlin-Mitte, damals unter sowjetischer Verwaltung. Die Premiere am 6. September präsentierte das Stück Friedrich Schillers, das wie kein anderes den Freiheitskampf eines Volkes zum Inhalt hat, den "Wilhlem Tell".

"Sie sollen kommen, uns ein Joch aufzwingen,
Das wir entschlossen sind, nicht zu ertragen!
Das Haupt zu heißen eines freien Volkes
Das sei Dein Stolz, des Adels rühme Dich -
Ans Vaterland, ans teure, schließ Dich an,
das halte fest mit Deinem ganzen Herzen."

Boleslaw Barlog, der erste Intendant der neu formierten Staatlichen Schauspielbühnen, hatte bereits 1945 in Steglitz begonnen, Theater zu spielen. Nach der Absage von Wunschkandidat Gustav Gründgens leitete er das mit über 1000 Plätzen nun größte deutsche Sprechtheater, zu dem neben dem Charlottenburger Haus und dem Schlosspark-Theater 1959 noch die Schillertheater-Werkstatt hinzukam.

Die Aufgabe war gewaltig, denn man hatte einen Rückstand aufzuarbeiten, und der deutschsprachige Schriftstellernachwuchs tat sich zunächst schwer. Neben nationalen und internationalen Klassikern wurden exilierte oder verfemte Dichter gespielt, Zuckmayer, Barlach oder Ferdinand Bruckner. Doch das Hauptaugenmerk lag auf den in Deutschland noch unbekannten Werken der englisch- und französischsprachigen Moderne: O'Casey, Shaw, Williams - Camus, Genet, Sartre und vor allem Beckett erlebten hier ihre deutschen Premieren.

Hier begann der weltweite Siegeszug von "Warten auf Godot", ein Stück, das immer wieder auf dem Spielplan erschien und bei dem Beckett 1975 auch selbst Regie führte. Die bedeutendste Entdeckung des Theaters war Peter Weiss. Dessen Stück "Die Verfolgung und Ermordung des Jean-Paul Marat durch die Schauspielgruppe des Hospizes zu Charenton unter Anleitung des Herrn de Sade" erlebte hier seine Uraufführung, um anschließend seinen Triumphzug durch die ganze Welt anzutreten.

Dass die Geschichte des Schiller-Theaters durch einen kulturpolitischen Gewaltakt ein brutales Ende fand, gehört heute zur Chronik der unmittelbaren Wendezeit. Die Finanznöte Berlins waren nach dem Wegfall der westdeutschen Alimentierung schnell bedrohlich geworden. Eine große Koalition unter Leitung von Eberhard Diepgen, die später im Sumpf krimineller Finanzspekulationen versinken sollte, beschloss am 23. Juni 1993 den Betrieb des Schiller-Theaters aus Kostengründen einzustellen - mit praktisch sofortiger Wirkung. Ein Ereignis, das die Beteiligten wie ein Hammerschlag traf. Doch der Aufschrei nicht nur der Berliner Kulturszene nutzte nichts. August Everding, der Präsident des deutschen Bühnenvereins, auf einer Protestveranstaltung gegen die Schließung:

"Theater ist eine öffentliche Aufgabe, die einer öffentlichen Finanzierung bedarf. Nur diese sichert seine kulturelle und künstlerische Bedeutung, aber: Wo Kultur weg bricht, wird Platz frei für Gewalt."