ZEW-Präsident gegen erneuten Schuldenschnitt für Griechenland

Clemens Fuest im Gespräch mit Korbinian Frenzel · 05.07.2013
Ein erneuter Schuldenschnitt für Griechenland sei keine Lösung, so der Ökonom Clemens Fuest, wenn das Land nicht zugleich notwendige Reformen auf den Weg bringe. Der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) meint, man müsse den Druck zur Erneuerung noch aufrechterhalten.
Korbinian Frenzel: Wir haben sie ein bisschen aus den Augen verloren, unsere ständige Begleiterin der letzten drei Jahre: die Euro-Krise! Es gab ja auch ein paar Gründe, und seien es nur die beruhigenden Worte derjenigen, die alles im Blick haben sollten, Leute wie Wolfgang Schäuble oder Mario Draghi. Das Schlimmste ist vorüber, die Lage stabilisiert sich, das war die Botschaft des Chefs der Europäischen Zentralbank noch vor wenigen Wochen. Sie tut es offenbar nicht, das ist die Erkenntnis dieser Tage. In Portugal nicht, wo die Regierung strauchelt, in Zypern nicht, das Land wurde erneut herabgewertet in seiner Kreditwürdigkeit, und allen voran in Griechenland stabilisiert sich die Lage offenbar nicht, die Wirtschaft ist so sehr am Boden, dass alles Sparen offenbar nichts hilft. Das Land braucht erneut Hilfen, so sieht es im Moment zumindest aus. Und es stellt sich die Frage: Grüßt das Murmeltier mal wieder? Wir grüßen Clemens Fuest, den Präsidenten des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung, um das zu beantworten. Guten Morgen!

Clemens Fuest: Schönen guten Morgen, Herr Frenzel!

Frenzel: Herr Fuest, wo stehen wir denn in Sachen Euro-Rettung, ist das Glas halb leer, ist es halb voll oder sollten wir uns doch lieber das Fass denken, das berühmte Fass ohne Boden?

Fuest: Ich glaube nicht, dass es ein Fass ohne Boden ist. Auf der anderen Seite geht es eben doch sehr langsam voran. Es ist der Eindruck entstanden, dass die Krise so ungefähr schon vorüber wäre, weil die Europäische Zentralbank mit ihrem Aufkaufprogramm für Staatsanleihen die Kapitalmärkte beruhigt hat, aber die realwirtschaftliche Erholung, die geht eben doch sehr langsam. Und am Ende sind es realwirtschaftliche Probleme, die gelöst werden müssen. Und da das eben sehr langsam geht, kommt die Krise immer wieder zurück, zwischendurch.

Frenzel: Sie geht langsam, sie geht so langsam – das sagen ja viele auch mit Blick in Richtung Deutschland –, weil eben so massiv gespart wird. Sparen wir zu viel, würgen wir die Wirtschaft damit ab in den Krisenländern?

Fuest: Nein, das Sparen ist nicht die Ursache, sondern es ist ja dringend notwendig, die Defizite in diesen Ländern herunterzubringen. Die Probleme sind andere. Das Hauptproblem ist die Überschuldung selbst, also nicht nur die Überschuldung des Staates, sondern auch die Überschuldung der Banken, die hohe Verschuldung der privaten Haushalte. Und das andere Problem ist die mangelnde Wettbewerbsfähigkeit der Wirtschaft in diesen Ländern. Da müssen Löhne herunter, da müssen aber auch neue Sektoren entstehen. Und es ist schon richtig, wenn man also gleichzeitig spart und Defizite abbauen will, wettbewerbsfähiger werden will, dann ist das kurzfristig sehr schwierig, weil zum Beispiel das Senken von Löhnen in der Tat die Staatseinnahmen senkt und auch die Nachfrage nach Gütern senkt. Also, kurzfristig wird die Rezession tiefer. Das heißt aber nicht, dass man das Sparen lassen kann, sondern irgendwann muss man ja die Haushalte mal sanieren.

Frenzel: Schauen wir mal auf das Problem Schulden, das Sie benannt haben: Da gibt es ja jetzt mit Blick auf Griechenland diese erneute Idee, die Schulden einfach abzuschneiden, den Haircut zu machen, einen Schuldenschnitt, das heißt, die Gläubiger verzichten. Ist das ein Schritt, der notwendig ist?

Fuest: Für mich ist auf Dauer klar, dass Griechenland seine Schulden so, wie sie jetzt sind, nicht bedienen kann. So viel ist klar. Die andere Frage ist aber, ob man wirklich jetzt einen Schuldenschnitt macht. Es gibt ja im Prinzip auch die Möglichkeit, zum Beispiel Zinsen irgendwann noch mal zu senken. Aber auch damit würde ich jetzt mal warten, denn letztlich geht es ja darum, dass Griechenland in seinen Reformen oder den zugesagten Sparmaßnahmen zunächst mal in Vorlage gehen muss, und da passiert zu wenig.

Frenzel: Nun gibt es ja nicht wenige Ökonomen, die sagen, dieser Weg der Krisenpolitik, den Sie da auch beschreiben, immer neue Hilfen zu gewähren, eventuell jetzt die Zinsen zu senken, führt zu nichts, der ist teuer für uns, er ist am Ende auch teuer für die Länder im Süden Europas. Ist es nicht Zeit, auch über Alternativen nachzudenken, zum Beispiel Griechenland und andere in aller Freundschaft aus dem Euro zu entlassen?

Fuest: Ja, ich glaube, das kann man nicht gleichsetzen. Es ist schon richtig, dass es Probleme bei den Hilfen gibt, aber es ist wenig gewonnen, wenn man diese Länder aus dem Euro herausdrängt oder entlässt oder wie man das nennen will. Die Probleme werden ja nicht gelöst. Also, wir müssen dann wirklich sofort die Forderungen abschreiben, etwa bei Griechenland, und das Land würde wahrscheinlich in eine noch tiefere Rezession geraten, weil ja niemand der neuen Währung vertrauen wird. Dann müsste die Notenbank zunächst mal sehr hohe Zinsen nehmen, also, es würde die Gefahr einer Hyperinflation geben, Sie hätten gewaltige und viel schlimmere wirtschaftliche Probleme, wenn wir die Länder aus der Währungsunion drängen würden. Nein, ich denke, wir müssen darauf vertrauen, dass es irgendwie geht innerhalb der Währungsunion. Wir werden wohl auch noch mal auf Forderungen verzichten müssen, also zumindest Zinsen senken müssen irgendwann, nur, in Griechenland muss jetzt erst mal darauf bestanden werden, dass das, was zugesagt wurde, umgesetzt wird. Zum Beispiel, dass Staatsunternehmen privatisiert werden, dass der öffentliche Sektor verkleinert wird, also öffentliche Bedienstete entlassen werden. Das sind alles Dinge, die kann man durchführen und man muss auch darauf bestehen, dass das passiert.

Frenzel: Ist es ein Fehler, dass Angela Merkel, dass auch die Bundesregierung insgesamt – Guido Westerwelle hat sich angeschlossen –, jetzt weitere Hilfen für Griechenland ausschließt? Das erinnert mich alles ein bisschen an die Situation vor der Wahl in Nordrhein-Westfalen, wo man auch gesagt hat, wir helfen Griechenland nicht, dann musste man es später tun und es war sehr viel teurer!

Fuest: Jetzt ist es ja so, dass der einzige Gläubiger oder der Hauptgläubiger des Staates Griechenlands die anderen Staaten in der Euro-Zone sind. Und die Frage ist jetzt, wie viel wird man später noch entlassen und wie viel kann Griechenland selbst leisten? Das sind eigentlich die Verhandlungen. Und im Moment wird erst mal darauf gedrängt, dass Griechenland selbst was leistet. Dass man irgendwann zumindest bei den Zinsen noch mal nachgeben muss, das ist ja völlig klar, aber allein Schulden zu erlassen, bringt das Land ja auch nicht vorwärts, sondern es müssen die notwendigen Reformen durchgeführt werden. Und man versucht derzeit einfach, diesen Druck aufrechtzuerhalten. Ich glaube, dass langfristig da noch mal was passieren muss, auch von der Gläubigerseite, das weiß auch die Bundesregierung.

Frenzel: Herr Fuest, Sie stecken ja mittendrin in dieser Auseinandersetzung der Wirtschaftswissenschaftler, welcher Weg aus der Krise der richtige ist, mit Euro, ohne ihn, mit mehr oder mit weniger Sparen. Sind all diese Debatten eigentlich wirklich wissenschaftliche Debatten, oder sind es am Ende nicht auch nur Glaubensbekenntnisse, die Sie da ablegen?

Fuest: Es gibt Dinge, die kann man wissenschaftlich untersuchen, allerdings kann man nicht wissenschaftlich einwandfrei feststellen, was jetzt der richtige Weg ist, sondern da ... Das liegt einfach daran, dass wir ja in der Vergangenheit solche Krisen noch nicht hatten. Es gab zwar ähnliche Vorkommnisse, aber sicherlich nicht Krisen wie die Euro-Krise. Also, niemand kann wissenschaftlich beweisen, welche Strategie die bessere ist, im Euro bleiben oder herausgehen, sondern da kommen Einschätzungen hinein. Das ist aber bei fast allen wirtschaftlichen Entscheidungen so, auch bei unternehmerischen Entscheidungen muss am Ende jemand Verantwortung übernehmen. Da kann man also in der Regel auch nicht, ich sage mal, ausrechnen, welchen Weg jetzt ein Unternehmen gehen sollte. Da gibt es immer Unwägbarkeiten und am Ende muss jemand Verantwortung übernehmen und die Entscheidung treffen. Und diese Verantwortung kann ja nur die Politik übernehmen, die eben demokratisch legitimiert ist.

Frenzel: So sieht es und sagt es Clemens Fuest, der Präsident des Zentrums für Europäische Wirtschaftsforschung. Ich danke Ihnen für das Gespräch!

Fuest: Ich danke Ihnen, Herr Frenzel!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.


Mehr bei dradio.de:

"Man muss aussteigen aus dem Streichkurs" - Wirtschaftswissenschaftler fordert Umdenken in der EU-Krisenpolitik

"Es ist klar, dass die EZB sich souveräne Rechte anmaßt" - Finanzexperte Otte sagt, die Zentralbank verändere die deutsche Staatsräson

Ökonomie des glücklichen Lebens (2/3) - Zur Amoralität des Finanzsystems
Die englische Wirtschaftswissenschaftlerin und Aktivistin Ann Pettifor im Gespräch