"Zentrum gegen Vertreibungen relativiert keine Schuld"

Moderation: Matthias Hanselmann · 09.03.2006
Der Historiker Michael Wolffsohn hat den Vorwurf, das geplante Zentrum gegen Vertreibungen relativiere die Schuld im Zweiten Weltkrieg, entschieden zurückgewiesen. Entsprechend hatte sich der polnische Präsident Präsident Kaczynski geäußert, der derzeit Deutschland besucht. Das Zentrum richte sich gegen jede Vertreibung der Geschichte, sagte Wolffsohn im Deutschlandradio Kultur.
Michael Wolffsohn: Ich halte das für völlig falsch. Die Wiederholung einer falschen These macht sie noch nicht richtig. Von Relativierung kann keine Rede sein. Das Merkmal einer demokratischen Diskussion ist, dass man die unterschiedlichen Wahrnehmungen der verschiedenen Akteure in ihrer Unterschiedlichkeit wahrnimmt, respektiert und diskutiert. Es wird nicht wie ein Dogma vermittelt, sondern es wird eine Wahrnehmung, die auf Fakten basiert, präsentiert, über die man diskutieren kann.

Matthias Hanselmann: Was muss, was soll von der Stiftung Zentrum gegen Vertreibungen getan werden, dass der Eindruck einer Relativierung von Schuld ausgeschlossen wird?

Wolffsohn: Der Eindruck der Relativierung wird immer behauptet. Zunächst einmal müssten diejenigen, die den Plan des Zentrums gegen Vertreibung immer wieder kritisieren, genau lesen. Ich stelle immer wieder fest, dass über die Pläne gesprochen wird, aber die wenigsten die Texte kennen. Also man muss zunächst einmal das gelesen haben, worüber man redet. Das ist leider nicht immer der Fall.

Hanselmann: Geben Sie uns vielleicht ein, zwei Beispiele, wie dieses Zentrum gegen Vertreibungen ausschauen soll, damit wir uns das besser vorstellen können.

Wolffsohn: Das ist mehrfach gesagt und geschrieben worden. Es werden verschiedene Vertreibungen im 20. Jahrhundert vorwiegend in Europa dargestellt. Und was aus dem Namen dieses Zentrums schon hervorgeht: Es ist ein Zentrum, das grundsätzlich gegen Vertreibungen ist - gegen jede Vertreibung. Und natürlich auch, und das ist absolut legitim, - das sage ich als deutscher Jude, dessen Eltern und Großeltern von den Nationalsozialisten aus Deutschland vertrieben worden sind - es wird auch das Schicksal der deutschen Vertriebenen dargestellt. Und daran ist nun gar nichts relativiert. Es wird auch auf die auslösenden Faktoren hingewiesen, dass der Nationalsozialismus den Zweiten Weltkrieg begonnen hat. Und dann muss man über die verschiedenen Wahrnehmungen diskutieren.

Hanselmann: War es das, was Sie eben geschildert haben, Ihre Vergangenheit, ihr Glaube, der Sie persönlich dazu bewogen hat, in den wissenschaftlichen Beirat der Stiftung für ein Zentrum gegen Vertreibungen zu gehen?

Wolffsohn: Auch. Denn ich kann - das ist zumindest meine feste Überzeugung - nicht erwarten, dass andere Menschen mein individuelles, genauer gesagt familiäres und dann kollektives, also jüdisches Leid auch nachempfinden - nicht nur mit dem Kopf, sondern auch mit dem Herzen bereit sind, wenn ich mich nicht um das durchaus vorhandene Leid anderer Völker kümmere. Und auch im deutschen Volk, das ja in schlimmster Weise von den Nationalsozialisten verführt worden ist und viel zu intensiv und lange und heftig mitgemacht hat, gab es trotz der eindeutigen Schuldfrage auf der Makroebene - nämlich der nationalsozialistisch-deutschen Schuld - auch bei den Deutschen viele Unschuldige. Und warum soll und kann und darf ich nicht das Leid von diesen unschuldigen Deutschen, die es auch gab, zur Kenntnis nehmen und auch nachempfinden? Ich halte das für ein Gebot jeglicher Menschlichkeit.

Hanselmann: Die Bundeskanzlerin Frau Merkel hat das Zentrum befürwortet. Spricht Sie eigentlich noch offiziell davon, dass sie es befürwortet? Denn in den Koalitionsvereinbarungen wurden ja zwischen SPD und CDU/CSU zum Thema Flucht und Vertreibungen nur sichtbare Zeichen verabredet. Darunter kann man ja viel verstehen.

Wolffsohn: Das ist in der Politik- und Diplomatensprache immer so. Soweit ich weiß, unterstützt Frau Bundeskanzlerin Merkel dieses Vorhaben nach wie vor. Aber da sollten Sie sich besser an Frau Merkel oder den Regierungssprecher wenden. Ich spreche nur für mich, und meine Anwesenheit in diesem Beirat soll signalisieren, dass ich als Jude bereit bin, das Leid unschuldiger Deutscher nachzuempfinden und dargestellt zu wissen.

Hanselmann: Das Ziel der Stiftung ist ja ein ganz konkretes, nämlich die Errichtung eines Dokumentationszentrums über Vertreibungen in Berlin. Wie stehen die Chancen dafür vor dem aktuellen politischen Hintergrund?

Wolffsohn: In der Politik ist vieles unvorhersehbar. Und vorhersehbar sind die verschiedensten Opportunismen, innen- ebenso wie außenpolitisch. Also ich würde einmal die Wette wagen, dass es zu der Eröffnung des Zentrums kommt, denn auch das gehört zur demokratischen Diskussion, dass man den anderen in seiner anderen Meinung zur Geltung kommen lässt. Und ich empfände es als ausgesprochen negativ und kontrademokratisch, wenn diese Darstellung, die ich für differenziert halte, die natürlich in dem einen oder anderen Detail anders gesehen werden kann, wenn diese unterdrückt werden sollte, sozusagen par ordre du mufti. Das halte ich für ganz schlecht und würde viel guten Willen zerstören. Mir liegt es daran, dass man über dem Abgrund der Geschichte einander die Hände reicht und nicht sich ständig verbal und anders bekämpft geradezu.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton. Wir sprechen mit dem Historiker Michael Wolffsohn. Herr Wolffsohn, vielleicht noch einmal über den neuen polnischen Präsidenten und ein geändertes Verhältnis zwischen Polen und Deutschland in den letzten Jahren - da hat sich ja auch eine rege kulturelle Zusammenarbeit zwischen Polen und Deutschland entwickelt. Kulturstaatsminister Neumann hat vor ein paar Tagen zum Beispiel gemeinsam mit seinem polnischen Kollegen die Ausstellung Polenbegeisterung eröffnet. Und er hat dabei gesagt, dass der Begriff Polenbegeisterung ein zukunftsweisendes Signal für die engen Beziehungen zwischen beiden Ländern sei. Ich sage mal, die Deutschenbegeisterung des neuen Präsidenten hält sich ja bisher schwer in Grenzen. Ist das für die kulturelle Zusammenarbeit, für den Kulturaustausch egal? Läuft das sozusagen unabhängig von der Linie des neuen Präsidenten?

Wolffsohn: Also es wäre ja schrecklich, wenn die Kultur eines Staates, egal welchen Staates, von den Politikern abhinge. Das ist Gott sei Dank weder in Polen noch in Deutschland der Fall. Politiker kommen und gehen, aber die Kultur bleibt. Und deswegen ist es zwar ärgerlich, wenn Politiker Störfeuer betreiben. Aber die … Verbundenheit der deutschen und der polnischen Kultur ist eine feste Größe dieser beiden Kulturen. Weil Sie das Stichwort Polenbegeisterung genannt haben, das gab es im 19. Jahrhundert in der liberalen deutschen Freiheitsbewegung, die unter anderem durch eine Polenbegeisterung gekennzeichnet war. Nur leider hat sie politisch nicht sehr viel bewirkt für die Polen, die dann verkauft worden sind politisch. Aber kurzum, die deutsche und die polnische Kultur sind integraler Bestandteil der abendländischen Kultur, und Gott sei Dank sind die Störfeuer von Politikern nicht immer erfolgreich.

Hanselmann: Polenbegeisterung bezog sich auf das Verhältnis zwischen Deutschen und Polen nach dem Novemberaufstand 1830. Lech Kaczynski hat einmal gesagt, er kenne von Deutschland gerade mal den Frankfurter Flughafen. Und er war auch tatsächlich in seiner Zeit als Warschauer Bürgermeister nie in Deutschland. Wie schätzen Sie diesen Mann ein, für wie lernfähig halten Sie ihn?

Wolffsohn: Das weiß ich nicht. Jeder Politiker täte gut daran, wie jeder Mensch, immer weiter zu lernen. Aber ein Urteil über Deutschland aufgrund des Frankfurter Flughafens zu fällen und dann auch damit Politik zu machen, halte ich für - diplomatisch formuliert - borniert.

Hanselmann: Ich bedanke mich ganz herzlich bei Professor Doktor Michael Wolffsohn von der Bundeswehruniversität München, Historiker, im Radiofeuilleton. Schönen Dank.

Wolffsohn: Gerne. Auf Wiederhören.