Zensur wäre "technisch zumindest möglich"

Falk Lüke im Gespräch mit Dieter Kassel · 10.12.2012
Daten im Netz versenden - das kann mit einer Technologie namens Deep Packet Inspection (DPI) bald global überwacht werden. In der westlichen Welt diskutiere man statt Zensur jedoch eher Anwendungen zum Schutz des Urheberrechts, erklärt Falk Lüke, Mitbegründer des Vereins "Digitale Gesellschaft".
Dieter Kassel: Im Moment findet in Dubai die Weltkonferenz zur internationalen Telekommunikation statt, das ist eine Veranstaltung der Fernmeldeunion ITU und da sollen neue Standards und Normen für die grenzüberschreitende Kommunikation festgelegt werden. Wir haben ja auch schon darüber gesprochen. Und auf dieser Konferenz, die insgesamt noch bis Freitag dauert, ist kurz vor dem Wochenende etwas beschlossen worden: Es sind Normen festgelegt worden für die sogenannte Deep Packet Inspection. Das klingt sehr kompliziert und überaus technisch, das ist es auch, aber es betrifft eigentlich jeden Menschen auf der Welt, der das Internet nutzt. Moritz Metz erklärt deshalb zunächst mal, was diese Deep Packet Inspection eigentlich ist.

Dieter Kassel: Moritz Metz über Deep Packet Inspection, kurz DPI. Ein internationaler Standard, eine technische Norm dafür ist auf der Welttelekommunikationskonferenz der ITU in Dubai gerade beschlossen worden, kurz vor dem Wochenende haben die das gemacht. Bei mir im Studio ist jetzt Falk Lüke, er ist Journalist, studierter Politikwissenschaftler und Mitbegründer des Vereins "Digitale Gesellschaft". Schönen guten Tag erst mal!

Falk Lüke: Schönen guten Tag!

Kassel: Jetzt wissen wir halbwegs genau, was es ist, aber wozu ist es gut, wer braucht DPI?

Lüke: DPI hat theoretisch wenige positive Anwendungsszenarien. Aber man kann nicht ganz abstreiten, dass es diese gibt. Mit Deep Packet Inspection kann ich genau schauen, was für eine Art von Daten es gerade sind, die von einem zu einem anderen Punkt im Internet befördert werden sollen. Und dann kann ich das entsprechend unterschiedlich behandeln. Beispielsweise, wenn ich einen Video-Stream habe, könnte ich den dann priorisieren, das heißt, ihn schneller befördern als Sachen, die vielleicht nicht so zeitkritisch sind. Dadurch ruckelt dann das Bild weniger, habe ich weniger Klötzchen im Bild und Ähnliches. Die spannende Frage ist natürlich, ob es das wert ist, dass man dann so eine Technologie einsetzt, die ja doch wirklich sehr, sehr genau schaut, was denn in den einzelnen Datenpaketen drin ist.

Bislang ist es so, dass man eigentlich immer nur so ein bisschen auf die Verpackung guckt. Da steht dann drauf, ich bin ein Videopaket, ich bin ein Textpaket, ich bin eine Website - und dann entsprechend handelt. Mit Deep Packet Inspection ist es so, dass ich nicht nur drauf gucke auf das, was auf dem Adressaufkleber quasi steht, sondern dass ich dann noch diesen Schritt weiter gehe und auch wirklich prüfe, ob das denn dann auch drin ist. Und das geht mit allen Paketen, solange die jetzt nicht verschlüsselt sind.

Kassel: Wenn wir bei einem der Anwendungsszenarien mal bleiben, vor dem so viele Menschen Angst haben, nämlich der Zensur. Wäre es denn im Prinzip auf möglich, wenn ich - bleiben wir bei der Analogie - das Paket aufgeschnürt habe, es, bevor ich es weiterschicke, auch zu verändern?

Lüke: Tatsächlich ist das möglich. Und das sind auch Sachen, also Techniken, die in verschiedenen Ländern, in denen es eben solche Zensurinfrastrukturen gibt, die tatsächlich aktiv eingesetzt werden. Beispielsweise China, aber auch deutlich viele andere - in denen wird das gemacht. Dann wird schlicht und einfach das Paket verworfen, wie das so schön im Technikerdeutsch heißt, das heißt, es wird einfach nicht weitergeleitet und man bekommt noch nicht mal eine richtige Fehlermeldung als Nutzer zurück. Es funktioniert schlicht und einfach dann nicht.

Kassel: Aber könnte man noch weiter gehen? Nehmen wir einmal an, es gibt eine BBC-Seite für China, die wird zum Objekt der Deep Packet Inspection, könnte man dann aus einer Meldung "Kritik am Staat" die Meldung machen "Jubel über die Entscheidung"?

Lüke: Also was man zurückliefert, ist natürlich bei demjenigen sozusagen auf dem Tisch, der diese Infrastruktur betreibt. Und wenn der Telekomanbieter oder der Provider, wenn der sagt, ich habe hier ein Paket gefunden, was du gerne haben möchtest und das gefällt mir nicht, dann könnte ich theoretisch etwas komplett anderes ausliefern, wenn ich das denn gerade sozusagen im petto habe. Das müsste natürlich sehr, sehr schnell gehen, aber theoretisch könnte man auf die Art natürlich ein komplett falsches Internet sozusagen vorspiegeln. Wenn Sie beispielsweise dann auf die Seite von der BBC oder vom DRadio gehen, dann bekommen Sie vielleicht hübscheste chinesische Staatspropaganda. Technisch wäre das zumindest möglich.

Kassel: Jetzt haben wir zwei Szenarien gehabt. Das eine ist diese Frage, Daten analysieren und zu beschließen, wie schnell will ich sie weiterleiten, im Idealfall unverändert, die Möglichkeit, zu verändern oder gar nicht weiterleiten - was man aber doch auch machen kann mit DPI, ist nachzugucken, sind das eigentlich urheberrechtlich geschützte Dinge, die da verschickt werden.

Lüke: Tatsächlich ist es so, dass ich dafür natürlich eine Datenbank brauche, mit der ich das abgleichen kann. Aber natürlich ist es so, dass beispielsweise Filmdateien, Musikdateien und so weiter, dass die natürlich nicht immer neu erfunden werden, sondern die haben so bestimmte Standardpaketarten, also das heißt, eine Musikdatei besteht aus vielen kleinen Einzelpaketen, und natürlich kann ich mir die anschauen und dann sagen, okay, es handelt sich hier offensichtlich um eine urheberrechtlich geschützte Datei, und die könnte ich dann auch verwerfen beziehungsweise dann andere Dinge an der Stelle tun, beispielsweise einen halben Film schicken und dann beispielsweise eine Warnung mit einbeziehen, die sagt, urheberrechtlich geschützte Inhalte soll man nicht tauschen.

Das wäre alles technisch zumindest machbar. Aber, ganz ehrlich, es wäre ja doch etwas sehr erstaunlich, wenn ich jetzt beispielsweise Ihnen eine CD per Post schicken würde und Sie würden dann plötzlich einen ganz anderen Inhalt finden, in diesem Paket, was ich Ihnen zugeschickt habe, Sie wären auf jeden Fall sehr erstaunt. Aber genau diese Debatte um urheberrechtlichen Schutz beziehungsweise um die Durchsetzung von Urheberrechten und Einsatz eben von Deep Packet Inspection dafür, das ist etwas, was man in den westeuropäischen und den US-Debatten eher kennt als das, was wir so als staatliche Zensureingriffe über Deep Packet Inspection eigentlich kennen.

Kassel: Nun haben ursprünglich, da sind viele Dinge auch wieder zurückgenommen worden, aber diese Anträge, auf die unter anderem auch dieser Beschluss zurückgeht, kamen im Kern von Russland, China, den Vereinigten Arabischen Emiraten und anderen arabischen Staaten. Die Gegner, nicht nur von DPI, sondern auch anderen Dingen, die in Dubai verhandelt werden, kommen aus der Europäischen Union und zum Beispiel den USA. Aber wenn man zum Beispiel Google als einen privatwirtschaftlichen, massiven Gegner dieser Debatten sieht - da stecken aber wirtschaftliche Interessen dahinter, denn Google, darf man nicht vergessen, gehört YouTube, und das wäre ja zum Beispiel so ein Angebot, dass durch Deep Packet Inspection identifiziert und teurer werden könnte.

Lüke: Das könnte unter Umständen geschehen. Also, es laufen da mehrere Debatten parallel: Das eine ist die Debatte um die Frage von Zensur, von Eingriffen in den Internetverkehr. Das andere ist die Debatte darum, wer bezahlt eigentlich für den Internetverkehr. Und wenn man das so identifizieren würde, könnte man ja auch immer sehr genau schauen, zu wem gehört das eigentlich, und möchte man nicht eher von dem auch abkassieren. Das ist so eine der Geschichten, die schon sehr lange im Raum steht, das ist die Debatte um die sogenannte Netzneutralität, also die Frage, ob Daten im Internet gleich behandelt werden oder ob sie, entweder nach Inhaltstypen oder nach Absender oder Empfänger diskriminiert, also unterschieden werden dürfen und dann entsprechend unterschiedlich bepreist werden. Momentan ist es so: Jeder, der am Internet hängt, zahlt letzten Endes eigentlich nur für seine Verbindung zum Internet, aber nicht für die Beförderung durch das Internet. Das heißt, das ist so ein Setting, mit dem jetzt nicht alle einverstanden sind, insbesondere nicht die großen Telcos, also die großen Telekommunikationsfirmen, denn die sind das traditionell von ihren Geschäftsmodellen eigentlich so gewohnt, dass am Ende eigentlich alle zahlen.

Kassel: Und die sind unter anderem als Vertreter ja auch dabei. In der deutschen Delegation sind die Telekom, Vodafone Deutschland und auch ein paar andere.

Lüke: Genau. Unter anderem sind auch die dabei, und die haben auch im Vorfeld dieses Weltgipfels, der Weltkonferenz für die internationale Telekommunikation haben die auch ein eigenes Proposal, also einen eigenen Vorschlag unterbreitet im Rahmen von ETNO, dem europäischen Telekommunikationsfirmenverband, was auch sehr stark zurückgewiesen wurde, unter anderem auch tatsächlich von der Bundesnetzagentur, also dem Regulierer, auch die haben sehr deutliche Kritik an den Ideen und Plänen geäußert.

Kassel: Wir reden gerade im Deutschlandradio Kultur mit Falk Lüke, Mitbegründer des Vereins "Digitale Gesellschaft" über die sogenannte Deep Packet Inspection. Es sind technische Normen jetzt verabschiedet worden von der ITU. Die ITU sagt ja auch immer, wir regeln ja gar keine Inhalte, wir regeln nur technische Standards. Dass es diese technischen Normen jetzt gibt und dass die von einer UNO-Unterorganisation verabschiedet wurden, ändert das überhaupt etwas, wenn wir zum Beispiel an Zensur denken. Denn ich denke immer, China und andere Länder benutzen DPI doch ohnehin schon, mit welchem Standard auch immer.

Lüke: Ja, das ist natürlich eine spannende Frage, ob so ein Standard etwas verändern kann. Aber faktisch ist es so, dass DPI bislang nie wirklich standardisiert wurde. Das heißt, es gab unterschiedliche Anbieter und unterschiedliche Systeme, und die sogenannte Interoperabilität dazwischen, also die Frage, ob diese Systeme auch zusammenschaltbar sind, das war eine, die immer ein bisschen fraglich war. Und viele der Anbieter, auch eben jene aus Deutschland, haben immer gesagt, so wie wir das machen, so ist das der Weg, den wir für richtig halten, und da lassen wir auch niemand anderes mitreden.

Aber wenn es jetzt standardisiert ist und man sozusagen wirklich internationale Standards dafür hat, wie so etwas gemacht wird, dann wird es auch einfacher eben, solche Systeme miteinander zu verknüpfen und dann auch vielleicht sogar tatsächlich über Diktaturgrenzen hinweg eben solche Systeme einzusetzen. Und das ist natürlich ein Szenario, wo man dann noch mal drei mal drüber nachdenken sollte. Wie sehen momentan schon einen sehr gefährlichen Trend zur Regionalisierung des Internets. Das Internet besteht ja aus vielen einzelnen Netzen. Und momentan ist es so, dass der Iran gerade dabei ist, sein Netz unglaublich abzuschotten. Russland geht gerade auch ziemlich stramm in die Richtung. China hat das schon relativ lange, ein ziemlich abgeschottetes Netz.

Und da muss man natürlich sagen, es kann uns natürlich passieren, dass wir in Zukunft irgendwann kein Internet, also wirklich kein globales Netz der Netze mehr haben, sondern dass wir schlicht und einfach regionale Varianten. Dann gibt es vielleicht so etwas wie ein "Halal"-Internet für bestimmte Regionen der Welt - ein chinesisches sogenanntes gesundes Internet und in Russland heißt es dann vielleicht wieder irgendwie anders. Aber dann haben wir eben nicht mehr, was wir eigentlich momentan so toll finden daran, nämlich ein globales, weltumspannendes Netz, in dem eigentlich jeder mit jedem alles mehr oder weniger an Daten und Informationen austauschen kann.

Kassel: Falk Lüke, Journalist und Mitbegründer des Vereins "Digitale Gesellschaft", über die Deep Packet Inspection und was es bedeutet, dass die Weltfernmeldeunion ITU in Dubai gerade technische Standards dafür beschlossen hat. Herr Lüke, vielen Dank!

Lüke: Sehr gerne!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.