Digitale Zahlmodelle

Viele profitieren, nur die Kunden nicht

Ein Mann bezahlt in einem Laden in Berlin mit seinem Smartphone.
Die Deutschen tun sich schwer mit der Umstellung auf das digitale Zahlen. In China hat der Wandel nur etwa zehn Jahre gedauert. © dpa / picture alliance / Franziska Gabbert
Von Christina von Braun · 13.09.2018
Bezahlen mit dem Smartphone ist auch in Deutschland auf dem Vormarsch. Aber wer profitiert von der allmählichen Abschaffung des Bargeldes? Die Verbraucher am allerwenigsten, meint die Kulturwissenschaftlerin Christina von Braun.
Anders als die deutsche tut sich die chinesische Gesellschaft nicht schwer, aufs Bargeld zu verzichten. Innerhalb von etwa zehn Jahren ging sie von der Bargeldzahlung zur Handyzahlung über – und Zahlungsmittel wie die Kreditkarte übersprang sie schlicht auf dem Weg in die bargeldlose Gesellschaft.
Wer ist an der Durchsetzung des digitalen Geldes interessiert? Da ist zunächst der Staat. Der bargeldlose Verkehr soll ihm genauere Kenntnis über kriminelle Geldflüsse, der Versteuerung entzogene Vermögenstransfers verschaffen und die Schwarzarbeit zum Verschwinden bringen. Es könnte freilich sein, dass der Staat einer Illusion aufsitzt. Denn über Kryptowährungen und Darknet wurde gerade das digitale Geld zum idealen Mittel undurchsichtiger Transfers.

Rascher Zugriff auf das Vermögen der Bürger durch den Staat

Vielleicht ist das kriminelle Geld aber gar nicht das erste Anliegen des Staates. In seinem schon 1966 erschienen Buch "Psychologie des Geldes" konstatierte der Ökonom Günter Schmölders, dass Inflationsprozesse eine "'blinde’ Form der Besteuerung" seien. Sie sei "eine Maßnahme der Staatsgewalt, um in Kriegs- und Rüstungszeiten Einkommens- und Vermögensanteile der Bevölkerung schnell und sicher in den Besitz der öffentlichen Hand zu überführen; die Inflation erscheint in dieser Sicht als eine Art von Steuer auf den Besitz von Geld".
Warum sollte der Appetit des Staates auf das Geld seiner Bürger nur in Kriegs- und Krisenzeiten gelten? Auch in Friedenszeiten wünscht er sich einen raschen Zugriff auf das Vermögen seiner Bürger – etwa um notleidende Banken zu "retten" oder die Rücklagen der Rentenkassen zu sichern. Auch ist es sehr viel leichter, Negativzinsen auf digital gespartes Geld zu erheben als auf Bargeld.

Staat und Banken profitieren vom digitalen Geld

Die Banken sind ebenfalls am digitalen Geld interessiert. Aber auch sie könnten damit ihr blaues Wunder erleben. So zu beobachten in China, wo ein digitales Bezahlsystem Alipay, das nach dem Modell von Paypal funktioniert, zur Zeit dabei ist, die Banken aus dem Finanzsystem zu verdrängen. Jack Ma, der Erfinder von Alibaba, einem E-Commerce-Dienstleister, bietet inzwischen auch alle Dienstleistungen der Banken an: den Kauf von Aktien, die Spekulation auf Kurse usw.
Inzwischen beklagen sich die chinesischen Staatsbanken, dass Alipay ihnen die Kapitaleinlagen stehle. Wie ein "Vampir" sauge es das "Blut aus den Banken", zitierte die "FAZ" aus einem Kommentar im chinesischen Staatsfernsehen in einem Artikel aus dem August 2018. Mir kommen die Tränen.

Das größte Interesse haben Internet-Giganten

Das zweifellos größte Interesse am digitalen Geld haben aber Internet-Giganten wie Google, Amazon, Facebook, WhatsApp, die neben unserem Geld vor allem an unseren Daten interessiert sind. Denn die eigentliche Währung des 21. Jahrhunderts heißt Information. Sie ist ebenso "unsichtbar", abstrakt wie das digitale Geld und bildet eben deshalb den Goldstandard der modernen Finanzsysteme.
Erstens lassen sich mit diesen Informationen aus Nutzern Konsumenten machen: Leute, die kaufen, bestellen, und den Kreislauf von Kauf und Müll aufrechterhalten. Zweitens können die Konzerne ihre so gewonnenen Kenntnisse über uns – über die Personen, mit denen wir verkehren, unsere kulturellen Vorlieben, politischen Einstellungen usw. - weiterverkaufen.
Dieses Wissen ist wiederum der Stoff, aus dem Fake News gezimmert werden, mit denen sich Gefühle – vor allem kollektive Gefühle – so schön aufheizen lassen. Das zirkulierende Bargeld dagegen bleibt stumm; es verrät nichts über den Wohnort, den Freundeskreis oder die politischen Interessen des Konsumenten. In einem Zeitalter, in dem bald sogar die DNA von jedem gespeichert wird, bietet es einen letzten kleinen Freiraum.

Christina von Braun ist 1944 in Rom geboren, Kulturwissenschaftlerin, Gender-Theoretikerin, Professorin emerita, Autorin und Filmemacherin. Bis 1981 lebte sie als freie Autorin in New York und Paris. Sie drehte etwa 50 Filmdokumentationen und Fernsehspiele und verfasste zahlreiche Bücher und Aufsätze zu kulturgeschichtlichen Themen. Als Professorin an der Humboldt-Universität zu Berlin gründete und leitete sie den Studiengang Gender Studies. Sie war Mitbegründerin des Kollegiums Jüdische Studien an der HU Berlin (2009) sowie Mitinitiatorin und derzeitige Akademische Leiterin des 2012 gegründeten Zentrums Jüdische Studien Berlin-Brandenburg.

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© Milena Schlösser
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