Youtube-Format "Zwei Moslems und ein Jude"

Über Österreich, Flucht-Traumata und Nahost-Konflikt

07:16 Minuten
Bildmontage mit zwei Muslimen und einem Juden.
Abgesprochen ist wenig, die Gesprächsdynamik soll sich frei entwickeln dürfen. Nur ein Streitgespräch sollte es nicht werden, sagt Vladimir Vertlib. © imago images / fStop Images / Malte Müller
Von Alexander Musik  · 12.03.2021
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Wer die Worte "Moslems" und "Juden" in einem Satz hört, denkt meist an Konflikte. Doch genau darum geht es nicht in dem Gesprächsformat "Zwei Moslems und ein Jude". Die drei unterhalten sich mal flapsig, mal voller Ernst.
Drei Flüchtlinge, wie sie unterschiedlicher nicht sein können, setzen sich an einen Tisch und reden, während die Kamera läuft: Vladimir Vertlib, geboren 1966 in Leningrad, verließ mit fünf Jahren mit seinen jüdischen Eltern die Sowjetunion und landete nach einer Odyssee, die die Familie nach Israel, Italien, Österreich, die Niederlande und die USA führte, schließlich wieder in Österreich.
Jad Turjman arbeitete neben seinem Literaturstudium in der Stadtverwaltung von Damaskus, bis er 2014, mit dem Rückhalt der Familie, in Österreich Zuflucht suchte, um nicht für den syrischen Machthaber Baschar Al-Assad in den Krieg ziehen zu müssen. Heute ist er Teil des Projekts "Heroes", das sich gegen Unterdrückung im Namen der Ehre engagiert.
Hasan Softić schließlich flüchtete im Alter von drei Jahren mit seinen Eltern vor dem Bosnienkrieg nach Österreich; er schreibt heute unter anderem an seiner Dissertation über die Rolle des Islam in den bosnischen Communities von Linz, Salzburg und St. Louis.

Etwas Neues gestalten

Abgesprochen bei den je knapp 45-minütigen Gesprächen ist wenig, die Gesprächsdynamik soll sich frei entwickeln dürfen. Nur ein Streitgespräch sollte es nicht werden, sagt Vladimir Vertlib.
"Wir wollen in einer Zeit der Häppchenkultur – und in einer solchen Zeit leben wir ja schon seit Jahrzehnten de facto – anders agieren. Einerseits traditioneller agieren, einander den Raum lassen und die Zeit geben, die ein Gedanke auch braucht, um sich zu entwickeln und sich zu entfalten. Andererseits aber auch die modernen Kommunikationsmöglichkeiten des Internets und auch was uns die Moderne insgesamt bietet, nützen und beides verknüpfen. Also von beiden Welten das Positive nehmen und daraus etwas Neues, Kreatives gestalten."

Mehr Leichtigkeit in Damaskus

Angesprochen wird alles, mal flapsig-frech, mal voller Ernst: der Nahost-Konflikt, die Begeisterung für "Mein Kampf", die in der arabischen Welt herrscht, Flucht-Traumata und ihre Folgen, Konflikte zwischen jungen Serben, Kroaten und Bosniern in Österreich, aber auch Privates: Jad Turjman berichtet etwa vom syrischen Arbeitsethos und dem Stress, den er jetzt bei seinem Teilzeitjob in Österreich habe.
"Du hast diese Leichtigkeit, du hast diesen Druck nicht. Ich habe auf jeden Fall mehr gearbeitet in Damaskus. Im Magistrat habe ich sechs Tage gearbeitet, acht Stunden. Und ich habe überhaupt nicht diesen Stress, den ich jetzt mit 20 Stunden hier habe!"
Hasan Softić dagegen, der Bosnier, wird gefragt, ob sein langer Bart denn etwas mit dem Islam zu tun habe. Eigentlich wisse er das selber nicht so genau, antwortet er, doch ein religiöses Symbol sei der Bart sicher nicht.

Angst in der Community

Dann berichtet Softić von einer merkwürdigen Erfahrung, die er als – angemeldeter – Gast auf einem Fest, organisiert vom bosnischen Kulturverein Salzburg, gemacht habe. Es ging darum, für ein Forschungsprojekt zum Thema Antisemitismus in muslimischen Communities zu recherchieren.
Alle hätten ihn bloß angeschaut, niemand habe mit ihm reden wollen. Irgendwann habe es ihm gereicht. Er habe sich an die Bar der Festhalle gestellt, sich ein Bier bestellt und den ersten Schluck genommen, erzählt er.
"Und auf einmal steht vor mir ein Halbkreis, bestehend aus zehn, zwölf Personen, die mich alle ansehen. Und auf einmal begannen die Gespräche! Und sie haben gesagt, ja, sie haben Angst in ihrer Community. Angst ist vielleicht übertrieben, aber sie passen einfach auf, dass niemand mit radikalen Ansichten die Community vereinnahmen kann."

Europa, USA, schließlich Österreich

Vertlib hat als freiwilliger Flüchtlingshelfer 2015 und 16 die Erfahrung gemacht, dass es möglich ist, festgefahrene Denkmuster aufzubrechen – bei Flüchtlingen wie auch bei Alteingesessenen. Das gebe ihm Hoffnung, sagt der Schriftsteller, der mit seiner Familie selbst schon so oft hin und her gestoßen wurde in Europa und den USA, bis er endlich in Österreich landete.
"Das war zur Zeit Kreiskys und damals war die österreichische Außenpolitik eine sehr liberale, auch die Zuwanderungspolitik. Kann man sich ja heute kaum mehr vorstellen, wenn man bedenkt, wer jetzt gerade an der Macht ist oder wer auch in den letzten 30 Jahren an der Macht war und wie die restriktive österreichische Politik aussieht. Aber damals haben wir davon profitiert und sind gerade noch wieder zurückgekommen, es hätte schon viel schlimmer laufen können."

"Bist du a Jud?"

Vladimir Vertlib studiert Volkswirtschaftslehre und arbeitet zeitweise in einer Bank, bis er seinen gut bezahlten Job aufgibt und sich ganz der Schriftstellerei widmet. Im autobiografisch geprägten Roman "Zwischenstationen" zeichnet er die Irrfahrt der Vertlibs nach, die Reise, die in Leningrad beginnt und in Österreich endet.
Vladimir Vertlib hat eine Österreicherin geheiratet, er spart nicht mit Kritik an dem Land, das ihn aufgenommen hat, er spart aber auch nicht mit Lob. Vertlib hat selbst als junger Mensch genügend antisemitische Ressentiments zu hören bekommen. Lange mit Mühe unterm Deckel gehalten, kochten sie 1986, während der Waldheim-Affäre, über. Es ging darum, inwieweit der frühere UN-Generalsekretär Kurt Waldheim in NS-Verbrechen verstrickt war. Gleichzeitig war das bis dahin gültige Narrativ, das Land sei ja selber ein Opfer des Nationalsozialismus gewesen, nicht mehr haltbar.
Vertlib erinnert sich: "Ein Mann der mir dann gesagt hat: 'Bist du a Jud?' Wieso? 'Weil ich Hitler bin, und man hat vergessen, dich zu vergasen. Das wird ich jetzt nachholen!' Natürlich sind das Einzelfälle, aber wenn sich in einer bestimmten Zeit dann diese Einzelfälle häufen und dann in Kaffeehäusern an Nebentischen bestimmte Gesprächsfetzen zu einem rüber dringen, die man am besten nicht hören möchte, dann verzweifelt man schon und fühlt sich nicht wohl im Land. Es wird immer eine gewisse Distanz und eine bestimmte Verstörung bleiben und eine Ambivalenz im Umgang mit diesem Land, mit seiner Kultur, mit seiner Geschichte. Und ich kann kein Patriot sein."
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