"Wir müssen uns auf Extreme einstellen"

Stefan Heiland im Gespräch mit Katrin Heise · 13.07.2010
Temperaturen, wie wir sie derzeit erleben, könnten in 20 Jahren schon ganz normal sein, warnt Stefan Heiland, Experte für Landschaftsentwicklung. Die Stadtplaner müssten diese Herausforderung nun offensiv angehen.
Katrin Heise: Ich will auch nicht meckern, der Sommer ist Sommer und das ist auch was Schönes, aber im Moment geht es mir wie, glaube ich, vielen: Der Aufenthalt im klimatisierten Büro ist angenehmer als in der tropischen Dachgeschosswohnung, Abkühlung bringen weder die Nächte noch die kurzen Regenschauer, wenn es überhaupt mal regnet, Durchzug wäre wunderbar, aber es weht ja kein Lüftchen. Was für die heimische Wohnung gilt, gilt auch für die Innenstädte allgemein, sie heizen sich immer mehr auf. Man spricht vom Urban-Heat-Phänomen: Die gespeicherte Hitze der Gebäude lässt die Städte auch nachts eben kaum kühler werden, besonders Großstädte oder auch Städte, die landschaftlich in so einem Kessel liegen, haben damit zu tun. Ein Phänomen, mit dem sich Stefan Heiland auseinandersetzt, er ist Professor für Landschaftsplanung und Landschaftsentwicklung an der Technischen Universität Berlin, schönen guten Tag, Herr Heiland!

Stefan Heiland: Guten Tag, Frau Heise!

Heise: Dass es in den Städten immer heißer ist als auf dem Land, das ist ja nun wirklich nichts Neues, hat jeder wahrscheinlich auch schon mal gemerkt. Städte wie Stuttgart haben natürlich besonders mit so was zu kämpfen, ist auch klar. Was tun Städte eigentlich von alters her, um, ja um abzukühlen, um so ein bisschen Kühlung zu gewinnen?

Heiland: Wenn man in die besonders heißen Städte beispielsweise des Mittelmeerraums sieht, dann sieht man eigentlich, was die tun, und das sind durchaus auch Hinweise darauf, was unsere Städte tun können, vielleicht nicht immer: Wenn Sie beispielsweise an diese wunderschönen griechischen Inseln mit diesen weiß getünchten Häusern, Orten, Städten denken, dann ist das genau ein probates Mittel, um mit der Hitze auch etwas fertig zu werden, nämlich einfach die Fassadenoberflächen unserer Häuser, aber durchaus auch auf Wegen und Straßen hell zu halten, um die Abstrahlung zu erhöhen und zu verhindern, dass sich die Gebäude zu stark aufwärmen. Wenn man auch in den Mittelmeerraum blickt, dann merkt man natürlich, dass die Gebäude auch sehr eng beieinander stehen, sich gegenseitig verschatten, sodass sie fast den ganzen Tag über sich im Schatten bewegen. Ob wir uns natürlich solche engen Zustände vorstellen können und wollen, ist dabei eine ganz andere Frage.

Heise: Ich glaube, eine große Rolle spielen dabei auch Grünanlagen. Wenn man hier in Berlin beispielsweise hier in Tiergarten geht, dann merkt man gleich - also gefühlt sind es vielleicht fünf Grad, es ist wahrscheinlich nicht ganz so viel -, aber dass es im Tiergarten unter den Bäumen wirklich viel, viel kühler ist. Was schafft so ein Stadtwald oder Stadtpark an Abkühlung für eine Stadt?

Heiland: Er schafft natürlich, wenn sie im Bestand sind, wie Sie es beschrieben haben, eine erhebliche Abkühlung, die ja auch durchaus fünf Grad oder auch mehr betragen kann, einfach durch die Verschattung zum einen …

Heise: … auch an die umliegenden Gebiete?

Heiland: Der Effekt ist nun leider etwas beschränkt, das ist, so nach wenigen 100 Metern hört das auf und das Klima in den bebauten Gebieten oder die Temperatur passt sich dann wieder der Umgebungstemperatur an. Also insofern sind eigentlich viele kleinere Grünflächen - auch nicht zu kleine, man geht davon aus, etwa eine Größe von einem Hektar sollten die haben, um in die Umgebung auszustrahlen -, also dass viele kleine Grünflächen dem Stadtklima besser tun oder eine stärkere Kühlungswirkung erzielen als wenige große. Was jetzt bitte nicht als Plädoyer zu verstehen ist, den Tiergarten oder auch Tempelhof oder Tegel völlig zuzubauen, wenn wir hier über Berlin sprechen.

Heise: Genau, also diese großen Flächen tun schon ihre Wirkung. Wissenschaftler des Potsdamer Instituts für Klimafolgenforschung sagen ja eine Erwärmung der Durchschnittstemperatur in Berlin und Brandenburg von 2,5 Grad voraus. Was bedeutet das eigentlich für dieses Urban-Heat-Phänomen, was ich auch gerade schon beschrieben habe, also was machen 2,5 Grad tatsächlich aus?

Heiland: Eine ganze Menge, denn bei 2,5 Grand handelt es sich ja um einen jährlichen Durchschnittswert. Das heißt, die Temperaturen steigen unterschiedlich, das erleben wir ja auch gerade in den letzten Tagen, also Temperaturen, wie wir sie jetzt haben, werden in 20, 30, 40 Jahren durchaus normal sein. Das heißt, dieser Hitzeinseleffekt wird verstärkt werden, wenn wir ihm nicht durch bestimmte Maßnahmen begegnen. Wir haben höhere Temperaturen, eine längere Sonneneinstrahlung dadurch, dass sich die Niederschläge vom Sommer in den Winter verschieben. Das heißt es kommt auch zu Problemen bei der Wasserversorgung der Vegetation, auch etwas, was wir jetzt schon an diesen verdorrten Wiesen und Rasenflächen sehen können. Und das hat natürlich auch zur Folge, dass die Vegetation weniger an Wasser verdunstet, verdunsten kann und dadurch auch weniger zur Kühlung beiträgt.

Heise: Apropos Kühlung: Jeder, der es irgendwie kann oder will, greift in letzter Zeit zur Klimaanlagen. Die sind doch auch noch Problem verschärfend, weil sie ja nach außen heiße Luft abstrahlen oder warme Luft abstrahlen?

Heiland: Ja es ist natürlich ein aus der Sicht des Einzelnen sehr verständliches Mittel, sich an heißere Temperaturen anzupassen und für Kühlung zu sorgen; auf der anderen Seite, wie Sie richtig sagen: Allein dadurch, dass die ja sehr viel Strom fressen und unser Strom ja auch nicht klimaneutral erzeugt wird oder bei der Erzeugung zu anderen Problemen führt, verschärfen wir auf Dauer das Problem, das wir eigentlich in den Griff bekommen wollen. Also insofern muss man auch diese sogenannten Anpassungsmaßnahmen - wie gehen wir mit dieser Hitzebelastung um - immer auch im Zusammenhang mit Maßnahmen des Klimaschutzes denken, sonst schadet uns allen das, was kurzfristig dem Einzelnen natürlich hilf, auf Dauer ganz erheblich.

Heise: Kühlung für heiße Innenstädte, unser Thema im Deutschlandradio Kultur mit Professor Stefan Heiland. Herr Heiland, welche Dringlichkeit ergibt sich aus dem Klimawandel für die Stadtentwicklung? Experten prognostizieren Flüsse, die nicht mehr fließen, in denen nur noch Restwasser steht, Fäulnisgeruch, Hitzetote, 30 Grad über mehrere Wochen lang - ist das tatsächlich ein reales Szenario?

Heiland: Ja, das ist durchaus ein reales Szenario. Es gibt ja diese Zahlen von 2003, von dieser großen Hitzewelle, wo es aus Frankreich Zahlen gibt, dass wir in diesen Tagen also 30.000 Tote mehr hatten als im Durchschnitt. Insofern sind das durchaus reale Szenarien. Wir müssen uns auf Extreme einstellen. Wir haben sicherlich mit Niedrigwasserführung von Flüssen zu tun, in Dresden musste beispielsweise vor einigen Jahren auch die berühmte Dampfschifffahrt eingestellt werden, das hat also auch ökonomische Auswirkungen. Natürlich eignen sich dann die Flüsse oder auch die Seen nicht mehr in der Weise als Badegewässer, weil sie weniger Wasser haben, weil das Wasser wärmer wird, weil sie vielleicht auch irgendwann zu stinken anfangen. Also das sind durchaus reale Szenarien, auf die wir uns auch einstellen müssen. Auf der anderen Seite haben wir es natürlich auch dadurch, dass das Wasser, wenn es dann kommt, nicht mehr so gleichmäßig, wie wir es gewohnt sind …

Heise: … sondern sturzbachartig …

Heiland: … genau, sturmflutartig, also sehr wenig oder sehr viel Wasser in sehr kurzer Zeit, was dann auch zu Hochwasser führen kann oder auch dazu, dass die Kanalisation nicht mehr in der Lage ist, das Wasser aufzunehmen, überfließt, dass die Klärwerke nicht mehr in der Lage sind, das, was da kommt, zu reinigen, sodass es auch auf diese Art und Weise zu einer Gewässerverschmutzung kommt.

Heise: Das heißt, wenn man dieses Szenario jetzt nimmt oder die Verschlechterung oder das, was zu erwarten ist, nimmt, da reicht dann ja das, was Sie vorhin gesagt haben, nehme ich mal an - also Parks, Freiflächen, weiß getünchte Häuser oder so -, reicht dann ja nicht mehr aus. Das heißt: Wie muss man städtebaulich reagieren?

Heiland: Es gibt aus meiner Sicht drei ganz wesentliche Punkte, auf die der Städtebau sich beziehen muss. Das eine ist das Bioklima für die Menschen - wie schaffen wir es also, die Hitze in den Städten herunterzubringen oder in erträglichem Umfang zu halten -, der zweite Punkt ist sicherlich Wassermanagement - also wie schaffen wir es auch, Wasser, das zu manchen Zeiten in Übermenge da ist, das wir zu viel haben, auf Dauer so in der Landschaft und auch in der Stadt zu halten, dass es dann, wenn wir es benötigen, verfügbar ist, also Wasser nicht schnellstmöglich abführen, sondern Rückhaltebereiche, natürliche oder auch in Form von Zisternen -, und ein dritter Punkt ist sicherlich auch der Umgang mit unseren Grün- und Freiflächen, denn die haben eine wesentliche ausgleichende Wirkung für das Stadtklima, sie sind allerdings natürlich selbst auch durch den Klimawandel betroffen und wir müssen sehen, wie wir sie so erhalten, gestalten, dass sie ihre klimatischen Ausgleichswirkungen, aber auch die Erholungswirkungen für die Bevölkerung auf Dauer auch erhalten können.

Heise: Sie sind Projektleiter des Stadtentwicklungsplans Klima für Berlin, da wird, im Frühling letzten Jahres hat man sich dazu quasi zusammengesetzt, nächstes Jahr soll dieser Plan vorgestellt werden. Sie haben jetzt diese drei Punkte angesprochen, ich nehme an, dass Sie da, genau die da versuchen umzusetzen. Was sind denn da die größten Herausforderungen, wo liegen die größten Widerstände auch?

Heiland: Die Herausforderungen liegen ganz sicher zum einen im Umbau des Bestandes. Wir haben ja gewachsene Städte, wir können nicht einfach Häuser wegreißen, wir können nicht die Stadtstruktur von heute auf morgen ändern. So eine Stadt hat ja einen Lebenszyklus, einen Lebensdauerzyklus, der in die Jahrzehnte oder gar in die Jahrhunderte geht. Von daher müssen wir auch heute beginnen, uns anzupassen. Auch im Neubau kann und muss man natürlich etwas machen, aber das ist nur ein sehr geringer Bereich. Also die wesentliche Frage ist, wie und mit welchen Maßnahmen kommen wir in den Bestand rein? Die größten Widerstände kann ich derzeit noch nicht wirklich einschätzen, weil wir uns momentan noch in einer internen intensiven Diskussion mit der Senatsverwaltung befinden und dort durchaus überall auf offene Ohren stoßen …

Heise: … na ich nehme mal an, gerade Freiflächen werden natürlich ganz gerne bebaut. Wenn man die aber braucht, um den Wind da durchziehen zu lassen und da für Kühlung zu sorgen, wird es doch da wahrscheinlich Widerstände geben?

Heiland: Ja, also deswegen werden wir auch oder Flächen ausweisen, die genau solche Funktionen als Kalt- oder Frischluftleitbahnen haben, um die eben auch zu erhalten. Es gibt da auch von Seiten der Flächennutzungsplanung her sogenannte Potenzialflächen für Bebauung, auch dort werden wir darauf hinweisen, welche dieser Potenzialflächen liegen auf solchen bedeutsamen Grünflächen, ohne damit der Entscheidung der Flächennutzungsplanung vorgreifen zu wollen, aber um überhaupt einen Hinweis zu geben, um Problembewusstsein zu schaffen.

Heise: Gibt es eigentlich Städte, die besonders vorbildlich agieren?

Heiland: Es gibt eine ganze Reihe an Ansätzen für Klimaanpassung, mehr noch für den Klimaschutz, die bewegen sich aber sehr stark alle noch auf einer konzeptionell programmatischen Ebene. Also es gibt meines Wissens zumindest keine Stadt, wo man sagen könnte, die ist jetzt völlig klimagerecht durchorganisiert und dort könnte man sich die Beispiele abgucken.

Heise: … und schon darauf eingerichtet auf vielleicht 2,5 Grad mehr im Jahr. Stefan Heiland, Landschaftsplaner und Projektleiter Stadtentwicklungsplan Klima für Berlin - vielen Dank, Herr Heiland, für diese Information!

Heiland: Gerne!
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