"Wir können die Globalisierung umgestalten"

Moderation: Matthias Hanselmann |
Der amerikanische Nobelpreisträger für Wirtschaft, Joseph E. Stiglitz, spricht sich für einen weltweiten Gesellschaftsvertrag aus, der die Globalisierung demokratischer und gerechter gestaltet. Vorbild könne eine Vereinbarung sein, wie sie in einigen Staaten bereits zwischen Armen und Reichen oder Jungen und Alten bestehe, sagte Stiglitz.
Matthias Hanselmann: Wohin kann die Globalisierung gehen? Kann sie demokratisch verlaufen? Wie sehr darf und muss sich die Politik in wirtschaftliche Vorgänge einmischen? Mit diesen Fragen beschäftigt sich der amerikanische Nobelpreisträger und Wirtschaftswissenschaftler Joseph Stiglitz. "Die Chancen der Globalisierung" heißt sein neues Buch. Stiglitz ist zurzeit in Deutschland und ich hatte Gelegenheit, mit ihm zu sprechen.

Ihr letztes Buch hieß "Schattenseiten der Globalisierung" und Sie haben sehr viele Fans unter den Globalisierungsgegner. Herr Stiglitz, haben Sie die Seiten gewechselt?

Joseph E. Stiglitz: Nein, das heißt das überhaupt nicht. In meinem vorherigen Buch habe ich geschrieben, dass es viele Gründe gibt, warum Menschen mit der Globalisierung unzufrieden sein können und in meinem neuen Buch liefere ich noch weitere Gründe für diese Unzufriedenheit. Ich war aber schon immer der Auffassung, dass wir in der Lage sein könnten, die Globalisierung besser funktionieren zu lassen. Das heißt also, die negativen Auswirkungen der Globalisierung sind nicht unvermeidlich. Die Frage ist also, wie gehen wir mit der Globalisierung um? Und was ich in meinem neuen Buch versuche, ist, ganz konkret aufzuzeigen, was wir tun können, damit die Globalisierung zumindest besser funktioniert als bisher.

Hanselmann: Es geht in Ihrem Buch um das Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Sie sprechen von der Aussicht auf einen weltweiten, einen globalen Gesellschaftsvertrag. Wie sollte der aussehen?

Stiglitz: Es geht dabei vor allen Dingen um Gerechtigkeit, um Fairness. In unseren eigenen Gesellschaften haben wir gelernt, wie wir zusammenarbeiten können. Es gibt einen Gesellschaftsvertrag zwischen den Armen und den Reichen, den Jungen und den Alten in unseren einzelnen Gesellschaften. Und das war auch erforderlich, damit unsere Gesellschaften funktionieren konnten. Wir hängen immer mehr voneinander ab. Die wirtschaftliche Globalisierung bedeutet, dass ein Ereignis an einem Ort unseres weltweiten Wirtschaftssystems auch woanders Auswirkungen hat. Wir haben aber noch nicht eine so enge Verbindung auf globaler Ebene, wie wir das in unseren einzelnen Ländern haben. Das heißt also, wir brauchen einen Sinn für soziale Gerechtigkeit, für Solidarität mit Menschen in anderen Ländern, wenn die Globalisierung Erfolg haben soll.

Hanselmann: Manche Ökonomen träumen immer noch von einer globalen Wirtschaft, die ohne jegliche Einmischung der Politik funktioniert. Was sagen Sie dazu?

Stiglitz: Ich denke, diese Vorstellung ist völlig absurd. Es gibt keine unkontrollierten Märkte. In unseren eigenen Ländern haben wir das schon gelernt, was für eine wichtige Rolle die Regierung dabei hat, wenn es darum geht, dass die Marktwirtschaft auch wirklich funktioniert. Das heißt, die Regierung muss die Verträge durchsetzen, die Regierung muss sich natürlich auch mit Themen wie geistigem Eigentum befassen. Aber ganz wichtig ist auch, dass die Regierung die grundlegende Forschung, auf der die Wirtschaft heutzutage basiert, unterstützt. Das Internet zum Beispiel ist das Ergebnis einer solchen grundlegenden Forschung, unterstützt von der Regierung. Das ist wichtig.

Wir brauchen auch Regulierungen durch die Regierung, um die Umwelt, um die Verbraucher zu schützen und um sicherzustellen, dass die Finanzmärkte funktionieren, dass wir Geld auf unser Bankkonto einzahlen können und das Geld auch zurückbekommen. Das heißt also, genau das gleiche gilt auch auf globaler Ebene und es gibt eine ganz wichtige, politische Rolle, wenn es darum geht, das globale System zu formen. Das Problem ist, wir haben internationale Regelungen. Sie werden zum Beispiel von der Welthandelsorganisation, von internationalen Organisationen wie dem IWF ins Leben gerufen, aber diese Institutionen und die politischen Prozesse, die dabei von statten gehen, sind leider nicht demokratisch und auch nicht in demokratischer Weise rechenschaftspflichtig.

Hanselmann: Schön, dass Sie den Punkt ansprechen. Die Demokratisierung der Globalisierung nennen Sie es ja. Die USA dominieren den Weltmarkt fast uneingeschränkt. So wird etwa der Präsident der Weltbank vom US-Präsidenten ernannt. Kann ein weltweites demokratischeres Vertragsmodell trotz einer solchen Dominanz einer Nation entstehen oder müssten die USA sich dabei wirtschaftlich und politisch zurücknehmen?

Stiglitz: Ich bin da ganz optimistisch. Ich denke, wir können die Globalisierung umgestalten, wir können sie demokratischer gestalten. Im Irak haben die USA eine schwere Lektion lernen müssen, nämlich, dass militärische und sogar wirtschaftliche Macht nicht immer dazu führt, dass man alleine alles erreichen kann, was man möchte. Die USA haben sich also in Afghanistan schon, auch im Irak, an andere Länder um Hilfe gewandt und man erkennt immer mehr, dass in dieser globalisierten Welt, in der wir leben, kein Land ganz allein erfolgreich sein kann und das erreichen kann, was es will. Ich denke, die amerikanischen Bürger haben das auch gezeigt, dass wir davon Bewusstsein genommen haben. Es hat sich bei den Wahlen jetzt gezeigt, es war eine Abwahl gewissermaßen, es war eine Wahl gegen die Politik von Georg Bush. Das heißt nicht unbedingt, dass die amerikanische Bevölkerung den Multilateralismus so begeistert befürwortet wie ich, aber auf jeden Fall ist es eine Zurückweisung des Unilateralismus a la Georg Bush.

Ich denke, es wird einen allmählichen Demokratisierungsprozess geben. Nehmen Sie zum Beispiel den IWF. Diese Institution habe ich ja in meinem vorherigen Buch sehr kritisiert. Im September gab es ein Treffen in Singapur und dort hat der IWF selber einen Prozess der Demokratisierung eingeleitet, einen Prozess, bei dem es hieß, wir müssen unsere Organisation ändern, um den weniger Repräsentierten stärkeres Gehör, stärkeres Gewicht zu verschaffen. Das heißt also, sie haben anerkannt, dass es nötig ist, diesen Wandel zu vollziehen und das erfüllt mich mit Hoffnung.

Hanselmann: Deutschlandradio Kultur, das Radiofeuilleton, wir sprechen mit dem amerikanischen Wirtschaftswissenschaftler und Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz über "Die Chancen der Globalisierung", so der Titel seines neuen Buches. Mr. Stiglitz, welche Rolle kommt Nationen zu, die am Anfang eines Wirtschaftsbooms stehen wie China und Indien? Werden sie Fehler vermeiden können, die die westlichen Ökonomien begangen haben?

Stiglitz: China und Indien sind Beispiele für die Erfolge der Globalisierung. China und Indien, insgesamt 2,4 Milliarden Menschen und ein beispielloses Wirtschaftswachstum, 9,7 Prozent in China, in Indien immerhin auch fünf bis sechs Prozent, inzwischen schon seit mehr als 25 Jahren. Diese Länder sind auf beeindruckende Weise mit der Globalisierung umgegangen. Hunderte von Millionen Menschen sind in China mit Hilfe der Globalisierung aus der Armut heraus gekommen. Aber trotzdem stehen diese Länder noch vor beträchtlichen Herausforderungen. Ich denke, sie erkennen erst allmählich, dass sie die Globalisierung noch besser meistern müssen, weil es sonst eine immer stärkere Spaltung zwischen den Armen und den Reichen geben wird. In den Wahlen in Indien vor zwei Jahren wurde die Regierung dafür abgestraft, dass sie gesagt hat, Indien ist ein strahlendes Beispiel. Indien ist nämlich nur ein strahlendes Beispiel für 250 Millionen Menschen, aber nicht für 800 Millionen Inder. Und die Wählerinnen und Wähler haben gesagt, wir möchten so nicht weiter machen, und eine neue Regierung hat also versucht, diese Probleme mit Hilfe eines Fünfjahresplanes zu lösen.

Einen solchen Plan gab es für China auch. Der wurde im März angekündigt und die chinesische Regierung hat ganz oben auf ihrer Agenda die Stärkung der sozialen Harmonie, die Stärkung der ländlichen Gebiete, die ins Hintertreffen geraten waren, gesetzt. Es ging um mehr Chancen, es ging um Gratisausbildung, es ging um ein besseres Gesundheitssystem. Das heißt also, in diesen Ländern hat man jetzt angefangen, sich auf diese Themen der wachsenden Ungleichheit zu konzentrieren. Ein weiteres Thema, mit dem man sich zumindest in China beschäftigt, ist allmählich auch die Umwelt. Über 1,4 Milliarden Menschen leben dort auf sehr engem Raum zusammen. Und wenn man also nicht die Umwelt berücksichtigen würde, dann würde es ganz schlimme Folgen haben, es würde ins Desaster führen. Und man hat dort erkannt, dass bessere Lebensstandards es auch erforderlich machen, dass man der Umwelt mehr Aufmerksamkeit schenkt und deswegen ist das auch ganz oben der Agenda in China.

Hanselmann: Solange es Länder auf diesem Globus gibt, die Krieg miteinander führen, solange es Länder oder Regionen auf der Welt gibt, in denen sich Menschen aus politischen, religiösen und anderen Gründen, zum Beispiel Gründen der Stammes- oder Volkszugehörigkeit umbringen, bleibt das, was Sie uns bisher geschildert haben, nicht eine blanke Utopie oder anders gesagt, sind Sie nicht ein hoffnungsloser Optimist?

Stiglitz: Ich glaube nicht, dass das, was ich im Buch beschreibe, utopisch ist. Natürlich werden wir nicht die beste aller denkbaren Welten erschaffen können. Aber wir können die Welt doch erheblich verbessern. Vielleicht hätte ich mein Buch etwas anders nennen sollen, vielleicht hätte ich sagen sollen, wie die Globalisierung besser funktionieren könnte. Das wäre vielleicht ein guter Titel, aber nur weil wir nicht alle Problem lösen können, sollten wir doch nicht davon ausgehen, dass wir nicht zumindest versuchen können, unsere Welt etwas zu verbessern. Und das ist ein ganz wichtiger Punkt, den ich auch angesprochen habe. Wir können Anreize schaffen, neu ausrichten, um bessere Ergebnisse zu erzielen und um bessere Ergebnisse wahrscheinlicher zu machen. Wir können die Anreize anders gestalten, damit es wahrscheinlicher wird, dass Unternehmen weniger CO2 in die Umwelt absondern, damit das Risiko des Klimawandels reduziert wird. Wir können Anreize schaffen, damit pharmazeutische Unternehmen Medikamente herstellen, die, sagen wir mal hunderte von Millionen von Menschen in Entwicklungsländern vor Malaria retten können, anstatt ganz viel Geld auszugeben für Lifestyle-Medikamente, für Marketing und für Werbung. Wir können die Anreize so ausrichten, dass in Zukunft Unternehmen, die im Bereich Bergbau und Erdöl tätig sind, nicht mehr so in Versuchung geraten, sich an Korruption, an Bestechung zu beteiligen und eher bereit sind für die Ressourcen, die sie nutzen, einen fairen, gerechten Marktpreis zu zahlen und auf diese Weise eben auch etwas gegen die Umweltzerstörung zu tun, die sie hinterlassen. Als Wirtschaftswissenschaftler sehe ich überall das Problem der fehlgeleiteten Anreize, das heißt, es gibt Anreize, aber die sind pervertiert in einer Art und Weise, die dann letztlich zu den ungünstigen Ergebnissen der Globalisierung führen, die wir zurzeit sehen.

Hanselmann: Joseph E. Stiglitz, amerikanischer Ökonom und Nobelpreisträger, Autor des Buches "Die Chancen der Globalisierung", erschienen im Siedler Verlag. Thank you very much Mr. Stiglitz.