"Wir gehen weitaus besser aufgestellt in ein solches Verfahren"

05.12.2012
Hessen rückt von seiner ablehnenden Haltung zu einem neuen Anlauf für ein Verbot der rechtsextremen NPD ab. Der hessische Innenminister Boris Rhein (CDU) sagte, das Land werde sich einem entsprechenden Antrag "nicht entgegenstellen".
André Hatting: In Rostock, genauer im schönen Ortsteil Warnemünde, treffen sich heute die Innenminister der Bundesländer. Der Anlass: Der zweite Versuch, die rechtsextreme NPD verbieten zu lassen mit einem entsprechenden Antrag beim Bundesverfassungsgericht. Den darf in Deutschland neben der Bundesregierung und dem Bundestag auch der Bundesrat als ständiges Verfassungsorgan stellen. Die Länder sind sich weitgehend einig, Skeptiker in der Minderheit. Aber es gibt sie: das Saarland und Hessen.

- Am Telefon ist jetzt Boris Rhein, CDU, er ist Innenminister des Landes Hessen. Guten Morgen!

Boris Rhein: Sie haben es richtig gesagt, ich war von Anfang an ein Skeptiker, und ich bin auch nach wie vor ein Skeptiker, das hat mit den hohen Risiken eines solchen Wegs zu tun. Und ich habe es deswegen für mich auch bis zuletzt ganz bewusst offen gelassen, ob ich für ein Verbot oder gegen ein Verbot votieren werde. Weil es zum einen natürlich eine sehr komplexe juristische Frage ist. Und weil es zum anderen so ist, dass es Chancen gibt, aber auch Risiken gibt, wenn man vor das Bundesverfassungsgericht geht, die man abwägen muss. Und zwar sehr sorgsam und sehr sorgfältig.

Hatting: Sie sagen, bis zuletzt, werden Sie denn jetzt mit Ihren Kollegen aus den anderen Ländern stimmen oder nicht?

Rhein: Hessen wird sich, das will ich klar sagen, einem entsprechenden Weg nicht entgegenstellen.

Hatting: Sie haben von Risiken und von Chancen gesprochen. Da frage ich mal ganz allgemein: Warum glauben Sie, dass das Bundesverfassungsgericht diesmal dem Antrag zustimmen wird?

Rhein: Das kann man natürlich nicht antizipieren, was das Bundesverfassungsgericht macht. Und man kann schon gar nicht antizipieren, was der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte macht, den ja die NPD höchstwahrscheinlich anrufen wird, wenn ...

Hatting: Das hat sie schon angekündigt, so ist es.

Rhein: ... Ganz genau, so, und deswegen darf man nie ausblenden, es gibt Risiken, wenn man diesen Weg beschreitet, aber es gibt eben natürlich auch die Chance, dass man durchdringt. Das sehen ja nicht nur die Länder so, sondern das sehen auch Experten wie beispielsweise Herr Dollinger, der damals Herrn Jentsch, dem zuständigen Berichterstatter im Verfahren 2003, der sagte, es gibt eine hinreichende Erfolgsaussicht. Und der Hassemer, der dem Senat vorgestanden hat, hat das genau so formuliert. Also es gibt auch Experten, die sagen, man kann mit einem solchen Antrag durchdringen. Und es gibt einen entscheidenden Unterschied zu 2003: Der entscheidende Unterschied ist, dass damals das Verfahren wegen formellen Gründen gescheitert ist. Damals waren in den Vorständen Quellen, die sozusagen – na ja, damit war die NPD sozusagen nicht staatsfrei -, und diesen Verfahrensfehler, dieses Verfahrenshindernis haben wir behoben, indem wir alle Quellen aus den entsprechenden Vorständen abgezogen haben, das ist der Punkt eins. Und der Punkt zwei ist, wir gehen weitaus besser aufgestellt und vorbereitet – wenn wir es tun – in ein solches Verfahren, weil wir eine sehr umfangreiche Faktensammlung erstellt haben, alle Bundesländer und der Bund, die Fakten aufzählen, die dafür sprechen können, dass die NPD in der Tat eine Partei ist, die sich aktiv kämpferisch gegen unsere demokratische Grundordnung richtet.

Hatting: Würden Sie, Herr Rhein, unter dieser Faktensammlung, die Sie angesprochen haben, denn Ihre Unterschrift setzen, dass dieses Material diesmal komplett quellenfrei ist, also ohne V-Männer zustande gekommen ist?

Rhein: Nun, ich habe dazu natürlich intensiv den Präsidenten unseres Verfassungsschutzes und den Präsidenten unseres Landeskriminalamtes befragt. Der Auftrag, der klare Auftrag ist gewesen, die Quellen abzuziehen. Das ist der Auftrag des hessischen Innenministers gewesen, den haben, so sagen mir die beiden Experten, sie auch umgesetzt und entsprechend setze ich meine Unterschrift da drunter, dass ich bestätige, dass sie mir das so zugesagt haben.

Hatting: Wir würden es begrüßen, wenn der Antrag endlich gestellt würde – das hat vor einer Woche Holger Apfel gesagt, der Bundesvorsitzende der NPD. Macht Sie das stutzig?

Rhein: Ja, natürlich macht mich das stutzig. Einerseits ist es aber widersprüchlich, wenn man ja wenige Tage vorher einen Antrag beim Bundesverfassungsgericht gestellt hat, dass man quasi eine gegenteilige Feststellung getroffen haben möchte. Aber ich habe das gesagt: Wir formulieren als Hessen nach wie vor die Auffassung, dass es große Risiken gibt, wenn man diesen Weg nach Karlsruhe beschreitet. Aber es gibt eben auch Fakten, beispielsweise die unübersehbare Zusammenarbeit zwischen der NPD und der Neonaziszene, die darauf hinweist, dass die Neonaziszene sich der NPD als ihrem politischen Arm bedient. Und umgekehrt die NPD Neonazis ganz bewusst als ihre – und ich zitiere jetzt – "politischen Soldaten" nutzt und sich bewusst und auch gewollt deren Gewaltpotenzial und deren Gewaltbereitschaft zunutze macht. Das muss einen stutzig machen. Und das muss auch einem Innenminister zu denken geben. Und wenn wir entsprechende Hinweise haben, dann ist es, glaube ich schon richtig, dass man sie auch dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorlegt.

Hatting: Der NPD laufen die Mitglieder weg, sie hat es in Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen nur mit Verlust noch mal in die Landtage geschafft. Könnte ein Verbotsverfahren die Partei möglicherweise bedeutender erscheinen lassen, als sie in Wahrheit es doch ist?

Rhein: Das ist eine Frage, die man wahrscheinlich niemals befriedigend beantworten kann. Fakt ist aber, dass die NPD natürlich im rechtsextremen Spektrum eine zentrale Rolle übernimmt und dass sie auch in vielen Gesichtspunkten ganz zentral die Rolle derer übernimmt, die die politischen Botschaften, problematischen Botschaften formuliert. Und insoweit glaube ich, dass Innenminister auch einen Auftrag haben, zu handeln.

Hatting: Wie wichtig wäre es, dass wie schon beim ersten Verbotsantrag Bundesregierung und Bundestag mitziehen?

Rhein: Zunächst einmal kann ich natürlich nur aus Sendersicht argumentieren und sprechen. Der Bundestag muss das für sich dann entsprechend beschließen. Und der Bundestag muss für sich eine Entscheidung treffen. Und das Gleiche gilt für die Bundesregierung. Aber – das will ich nicht verhehlen – am besten ist es natürlich, wenn alle drei Verfassungsorgane da an einem Strang ziehen und sich auch nicht auseinanderdividieren lassen.

Hatting: Grüner und linker Bundestag sind skeptisch, ein Grund dafür ist, dass sie bis heute das Material, das Ihnen, Herr Rhein, vorliegt, gar nicht kennen, mit dem der Antrag begründet werden soll. Warum liegt das dem Bundestag eigentlich noch nicht vor?

Rhein: Ja, weil es eine Sammlung ist, insbesondere der Länder. Und weil natürlich viele Fakten, die zusammengetragen worden sind, entsprechend auch eingestuft sind oder einzustufen sind. Und man damit nicht einfach auf dem Markt – ja, wie soll ich sagen – hantieren kann und sie dem Markt zur Verfügung stellen kann und insoweit wir für uns jetzt als Länder eine Entscheidung zu treffen haben. Wenn der Bundestag für sich eine Entscheidung zu treffen hat, muss der Bundestag schauen, auf welche Fakten er sie fußt und auf welche Fakten er sie stellt. Und dann muss der Bundestag entscheiden, gemeinsam mit der Bundesregierung, ob eine Sammlung zugänglich gemacht werden kann oder nicht.

Hatting: Boris Rhein, CDU; Innenminister von Hessen. Ich bedanke mich für das Gespräch, Herr Rhein!

Rhein: Ich bedanke mich sehr herzlich!

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