Wieland: Der Osten ist gefährlich

18.05.2006
Nach dem früheren Regierungssprecher Uwe Karsten Heye hat auch der Grünen-Politiker Wolfgang Wieland Ostdeutschland als "gefährlich" bezeichnet. Jedoch könnte die Warnung vor ostdeutschen Gebieten so verstanden werden, dass die Rechtsextremen bereits gewonnen hätten, kritisierte der Sprecher für innere Sicherheit der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen die Aussagen Heyes.
Marie Sagenschneider: Ich grüße Sie.

Wolfgang Wieland: Morgen!

Sagenschneider: Vor zweieinhalb Jahren waren Sie ja mal als Spitzenkandidat der Grünen in Brandenburg angetreten. Ist Brandenburg, oder ist der Osten ein besonders gefährliches Pflaster?

Wieland: Das ist er, das ist die eine Wahrheit. Und die zweite Wahrheit, das muss man aber auch sagen, ist, dass gerade Brandenburg eine Menge Engagement dagegen entwickelt hat. Es gibt hervorragende Initiativen, die sich dem entgegenstellen. Beides muss man sagen. Man muss sagen, leider ist es immer noch gefährlich, leider haben wir immer noch diese Rückfälle raus aus der Zivilisation. Und auf der anderen Seite in vielen Orten engagierte Menschen, die gegen Rassismus arbeiten und die sich dagegen stellen.

Sagenschneider: Das hat Herr Heye gestern auch noch einmal nachgeschoben und meinte, es gibt durchaus eben dieses große Engagement gegen Fremdenfeindlichkeit. Was aber möglicherweise auch zeigt, wie schwierig es ist, hier eine öffentliche grundlegende Auseinandersetzung über dieses Thema zu führen.

Wieland: Ja, wir müssen feststellen, dass diese Überfälle, insbesondere auf Afrikaner, im Grunde gleich nach der Wiedervereinigung begonnen haben. Man muss an Antonio Amadeu und an andere denken, nach dem eine Stiftung benannt wurde, und dass wir eine Kette haben, die eben leider bis heute nicht abgerissen ist. Von daher gibt es objektiv diese Gefahr, und es gibt auch objektiv Orte, wo entsprechende Szenen zu erwarten sind, erwartbar sind. Wahrlich nicht nur in Brandenburg: ein Problem der gesamten Bundesrepublik, aber insbesondere der neuen Länder. Und Herr Heye hat ja auch Berlin dazu gezählt, einige Teile Berlins muss man auch dazu zählen.

Das ist eine Frage der politischen Auseinandersetzung der Gesellschaft, es ist aber auch eine Frage der ganz knallharten Detailarbeit vor Ort. Ich muss in diesen Orten mit den Jugendlichen, Schülern und anderen ins Gespräch kommen. Ich muss Gegenkulturen dort auch entstehen lassen. Die rechtsradikale Subkultur ist schon da, darüber verbreitet sie sich auch. Das ist auch so etwas wie eine Parallelgesellschaft, von der wir ja gerne reden, mit Musik, mit Treffen, mit Abzeichen, mit Emblemen, wo man auch als Jugendlicher langsam reinrutschen kann. Das heißt, ein ganz großes Gefahrenfeld, zum Teil diese berüchtigten, nationalbefreiten Zonen. Zonen, wo sie glauben, dass sie schon gewonnen haben.

Und das ist natürlich auch eine Kritik an der Heye-Äußerung: Es könnte so verstanden werden, von dieser rechtsradikalen Szene, als ob sie gesiegt hätten. Also ob es wirklich so wäre, dass sie Teile Brandenburgs und der anderen neuen Bundesländer in dem Sinne ausländerfrei gemacht hätten. Von daher hat diese Botschaft Heyes sicher zwei Teile: Einmal, hätte er nicht so zugespitzt, würden wir heute nicht darüber reden und würde nicht republikweit darüber geredet werden. Auf der anderen Seite liegt in dieser Zuspitzung auch eine gewisse Problematik.

Sagenschneider: Sie haben gesagt, man sollte mehr tun in diesen kommunalen Strukturen. Wie ist denn da die Entwicklung? Passiert da mehr, oder hat Heye Recht, wenn er sagt, die Bereitschaft wegzusehen, hat zugenommen?

Wieland: Das denke ich nicht. Ich denke, die Sensibilisierung ist auch in Brandenburg größer geworden. Die Regierung fördert auch die entsprechenden Initiativen und fördert auch Organisationen, wie die regionalen Arbeitsstellen, Ausländer, die RAA und andere, die wirklich dort sind. Die in den kleinen Orten sind, ihre Büros haben, auch ihre Aktivitäten entfalten, und zum Teil, beinahe im Alleingang, missionarsartig wirklich beginnen, ein Gegenfeld, ein gesellschaftliches Gegenfeld zu organisieren.

Indem sie sich an die Kräfte wenden, die nicht damit einverstanden sind: die nicht wegkucken, die eben nicht indifferent dem Ganzen gegenüberstehen - mit Bürgermeistern reden, mit kommunalen Verantwortungsträgern, um auch dort zu erreichen, dass nicht der erste Reflex immer ist: "bei uns doch nicht" und "wir wollen nicht ins Gerede kommen" und "das sind doch ganz normale Jugendliche" und "das sind Auseinandersetzungen, wie es sie immer gab unter Jugendlichen" und, und, und. Das sind ja diese Ausflüchte, die oft gebraucht werden.

Sagenschneider: Aber das ist natürlich auch eine schwierige Gratwanderung. Man hat es ja gesehen, gestern in Brandenburg: die Empörung war groß, man fürchtet da ums Image, und man sagt natürlich gleichzeitig auch, wir tun ja eine ganze Menge.

Wieland: Ja, das ist auch richtig, also beides, beide Wahrheiten sind richtig. Es geschehen immer noch schlimme Übergriffe und gleichzeitig tut man eine Menge. Und nun kann man natürlich sagen, dann wird noch nicht genug getan. Ich denke, in der Verbreiterung muss noch mehr geschehen. Und insbesondere sozusagen, kann es keinen Frieden damit geben, dass in Szenen wie auch Hooliganszene oder wo anders diese Rassismen umgehen, (…) hoffähig sind, und sich daran letztlich viele gewöhnt haben und einfach sagen: "Na gut, dann meide ich auch diese Orte. Mit denen will ich nichts zu tun haben. Den Bahnhofsvorplatz, den betrete ich dann eben auch nicht, obwohl ich nicht anderer Hautfarbe bin." Diese Gewöhnung, das ist das Problem. Und gegen die muss weiter angearbeitet werden.

Sagenschneider: Herr Wieland, ich danke Ihnen. Wolfgang Wieland war das, Bundestagsabgeordneter der Grünen.