"Wichtig ist, dass die Kinder ihren eigenen Rhythmus finden können"

Alfred Wiater im Gespräch mit Christine Watty · 19.03.2013
Eine Schlafstörung liege bei Kindern vor, wenn sie über drei Wochen mehrfach die Woche Schlafprobleme hätten, erklärt Alfred Wiater, Chefarzt der Kinderklinik Köln-Porz. Wichtig für eine Therapie sei, dass die Eltern das nächtliche Verhalten ihres Kindes nicht losgelöst von dem Verhalten während des Tages sehen.
Christine Watty: Es ist neben der Unterhaltung übers Wetter das mindestens zweitliebste Thema für Smalltalk, Frühstückstisch, Kantinenschlange und Bürogespräch: der Schlaf. Wie hat man geschlafen, warum schlecht geschlafen, wieso besonders gut – wir sprechen da eigentlich alle ganz gerne drüber. Und geradezu inflationär besetzt das Thema jegliche Gesprächszeit, wenn Kinder mit ins Spiel kommen. Denn fast alle Eltern kennen das Problem: Babys und Kleinkinder, die nicht einschlafen können und die nachts immer wieder aufwachen. Erschöpfte Familien ziehen Ratgeber bei, die ihnen entweder bedeuten, sie müssten mit harter Konsequenz ihren Kindern das Schlafen beibringen, sie geradezu dazu zwingen, oder ihnen umgekehrt vermitteln, man müsse den natürlichen Rhythmus des Babys akzeptieren. Tja, was denn nun? Doktor Alfred Wiater ist Chefarzt der Kinderklinik Köln-Porz und hat als Sprecher der Arbeitsgruppe Pädiatrie der Deutschen Gesellschaft für Schlafforschung gerade eine Tagung zum Thema mitorganisiert, und wir haben vor der Sendung mit ihm gesprochen und zuerst gefragt: Warum kommen Eltern beziehungsweise Kinder mit den Eltern mit Schlafproblemen zu Ihnen in die Sprechstunde?

Alfred Wiater: Zu uns kommen die Eltern mit den Kindern, bei denen es sehr lange schon zu Schlafproblemen geführt hat. Man sollte den Arzt aufsuchen, wenn Schlafstörungen bei einem Kind über drei Wochen mehrfach die Woche aufgetreten sind. Und zu uns kommen auch die Eltern mit den Kindern, bei denen in der Nacht akute Ereignisse aufgetreten sind, das heißt, das Kind ist plötzlich blau geworden, hat keine Luft bekommen, oder es hat anfallsartige Zustände im Schlaf, die dann unverzüglich abgeklärt werden sollten.

Watty: Bei diesen in Anführungsstrichen "normalen Schlafstörungen", das heißt, das Kind schläft nicht ein oder schläft nicht richtig durch, was ist denn da der Unterschied zwischen medizinischen Problemen und vielleicht einfach auch einer Schlafstörung, die vor allem die Eltern betrifft, weil die nämlich nicht einschlafen und durchschlafen können, weil es das Kind auch nicht tut?

Wiater: Wir müssen unterscheiden, ob es eine Befindlichkeitsstörung ist, oder ob es wirklich eine krankhafte Störung ist. Bei Säuglingen haben wir häufiges Aufwachen natürlich normalerweise in den ersten Lebensmonaten, manchmal auch noch in der zweiten Hälfte des ersten Lebensjahres. Auch bei Kleinkindern kommt es immer wieder einmal vor, auch entwicklungsabhängig oder davon abhängig, was sie gerade zum Beispiel im Kindergarten erlebt haben, dass sie mal häufiger in der Nacht wachwerden und Hilfe und Behütung der Eltern brauchen. Das sind aber nicht die Probleme, um die es geht. Schlafstörungen haben dann Krankheitswert, wenn sie die Kinder beeinträchtigen, sodass die Kinder auch tagsüber Probleme haben, dass sie entweder unkonzentriert und müde sind, oder aber das Schlafdefizit dadurch zu kompensieren versuchen, dass sie übermäßig unruhig sind – 25 Prozent der hyperaktiven Kinder zum Beispiel haben Schlafstörungen –, und wenn die Familie durch die Schlafproblematik so erheblich belastet ist, dass es da auch schon zu psychischen Veränderungen kommt. Und das ist leider gar nicht so selten der Fall.

Watty: Steht denn hinter all diesen Schlafstörungen nicht auch eine Art des großen Zivilisationsproblems, weil Kinder einfach dann schlafen sollen, wenn die Eltern schlafen müssen, weil die Eltern am nächsten Tag eben arbeiten gehen müssen, und dann beginnt eben dieser ganze Kreislauf aus nicht schlafen, gestresst sein und so weiter?

Wiater: Wichtig ist, dass die Kinder ihren eigenen Rhythmus finden können, und dieser Rhythmus, den haben wir in uns, das ist unsere innere Uhr, die diesen inneren Schlaf-Wach-Rhythmus bestimmt, und dagegen kann man schwer angehen, und dagegen sollte man auch nicht angehen. Natürlich kann dieser Rhythmus durch äußere Faktoren beeinflusst werden, da spielen Reizeinwirkungen eine große Rolle – da ist jetzt Licht, da ist Lärm, seien es die Medien, die die Kinder dann zu sehr belasten, dann gibt es natürlich auch bei den Kindern wie bei den Erwachsenen Langschläfer und Kurzschläfer, und wir erleben es in der Tat, auch hin und wieder, dass Eltern Langschläfer sind und die Kinder Kurzschläfer sind und die Eltern deshalb meinen, die Kinder schlafen zu wenig und haben Schlafstörungen.

Watty: Was tun Sie nun, wenn Sie solche Problematiken feststellen? Gibt es Einwirkungsmöglichkeiten, auch aus medizinischer Sicht, oder Behandlungsmöglichkeiten, um den Schlaf eines Kindes in Ordnung zu bringen?

Wiater: Ja, zunächst muss geklärt werden, sind es organisch bedingte Schlafstörungen, wie zum Beispiel Atmungsstörungen im Schlaf, bei Kindern häufig durch zu große Rachen- und Gaumenmandeln, oder sind es nichtorganische Schlafstörungen. Bei den nichtorganischen Schlafstörungen würde man zunächst empfehlen über drei Wochen ein sogenanntes Schlaf-Wach-Protokoll zu führen, wo dann die Schlafenszeiten, aber auch die Tagesaktivitäten und die Tagesstimmung dokumentiert wird. Zusätzlich setzen wir Fragebögen ein, die uns etwas mehr Auskunft geben, in welche Richtung die Problematik geht. Wenn sich das als nichtorganisch bedingte Schlafstörung herausstellt – und das sind die meisten der Schlafstörungen bei Kindern –, dann muss man individuell schauen, wo ist ein Ansatzpunkt gegeben, hier etwas zu verändern. ein Beispiel ist, wenn jetzt ein Kind einen sehr langen Mittagsschlaf noch hält, dann ist der Schlafdruck zum Abend nicht groß genug dafür, dass das Kind dann auch schnell einschläft, also hier kann man durchaus auch mit einfachen Mitteln eingreifen. Es gibt aber auch sehr hartnäckige Störungen, die dann einer längerfristigen psychologischen oder kinderpsychiatrischen Betreuung bedürfen, insbesondere dann im Hinblick auf eine Verhaltenstherapie.

Watty: Wir sprechen im "Radiofeuilleton" im Deutschlandradio Kultur mit Doktor Alfred Wiater über Kinderschlafmedizin. Wenn eine Art der Schlafstörung vorliegt, was ist da zu tun, auch aus verhaltenstherapeutischer Sicht, und wie sieht so was dann auch genau aus?

Wiater: Es gibt inzwischen gute Therapieprogramme, es gibt auch Programme, die man online nutzen kann. Ein wichtiger Gesichtspunkt in dem Zusammenhang ist, dass man das nächtliche Verhalten, das Schlafverhalten nicht loslösen kann vom Tagesverhalten. Und das, was die Eltern von ihren Kindern abends erwarten, wenn sie sie zu Bett bringen, das müssen die Kinder auch tagsüber eingeübt haben. Das heißt, wenn jetzt ein Kleinkind zum Beispiel tagsüber den ganzen Tag bei der Mutter auf dem Arm ist, wird es nicht nachvollziehen können, dass es abends plötzlich alleine im eigenen Bett schlafen soll. Wenn ich also erreichen will, dass das Kind abends alleine einschläft, dann muss es auch tagsüber gelernt haben, sich lösen zu können.

Watty: Eine wirklich weit verbreitete Ansicht ist ja auch die, dass man Kindern Schlafen beibringt, indem man das Kind ins Bett legt, rausgeht und es erst mal schreien lässt, was ja auch auf ganz alte Erziehungsmethoden zurückgeht. Ist das heute noch in irgendeiner Form unterstützenswert, diese Idee?

Wiater: Von diesen Erziehungsmethoden sollten wir uns nun wirklich mittlerweile verabschiedet haben. Natürlich muss ein Kind auch mit Frustrationen fertigt werden, natürlich muss ein Kind auch einmal Unmutsäußerungen durch schreien von sich geben können, aber ein Kind über Minuten oder viel länger sogar noch schreien zu lassen, das ist eine Situation, damit ist ein Kind in aller Regel überfordert. Das Kind fühlt sich dann alleine gelassen, und es wirkt letztlich kontraproduktiv, weil die Geborgenheit, die das Kind braucht, das Gefühl der Geborgenheit, um auch ruhig, entspannt einschlafen zu können in dem Bewusstsein, wenn ich Hilfe brauche, kommt jemand, und wenn ich wach werde, ist jemand für mich da, dieses Gefühl wird natürlich durch das Schreien lassen erheblich zerstört.

Watty: Aber diese Idee kommt ja auch oft auf, weil Eltern tatsächlich relativ verzweifelt sind in puncto Schlaf der Kinder, und dass es ja auch einen gewissen gesellschaftlichen Druck gibt. Man sagt ja dann nicht deutlich, aber doch indirekt, na ja, die Eltern müssten vielleicht ein bisschen konsequenter sein, dann würde das Kind auch besser schlafen. Wie viel Einfluss hat denn dieser gesellschaftliche Druck eben auch auf Eltern?

Wiater: Das hängt natürlich im Wesentlichen davon ab, inwieweit die Eltern sich unter Druck setzen lassen. Und da sollten Eltern eher auf die eigene Intuition vertrauen, dass sie es so richtig machen, wie sie es empfinden, als durch gesellschaftliche Zwänge sich auf eine falsche Bahn lotsen lassen. Natürlich ist eine konsequente Erziehung, ein konsequenter Umgang mit dem Kind eine wichtige Komponente, denn Konsequenz, auch das Grenzen setzen – es gibt eine Schlafstörung, die ist genau so definiert, dass sie dadurch entsteht, dass den Kindern keine Grenzen gesetzt werden –, dieses Grenzen setzen ist auch für die Entwicklung der Kinder von enormer Bedeutung, weil Grenze bedeutet auch Halt, und diesen Halt braucht jedes Kind für eine gesunde Entwicklung. Diese Grenzvermittlung, die sollte aber nicht brutal erfolgen, indem man die Kinder schreien lässt, sondern die sollte vermittelt werden durch Geborgenheit und durch emotionale Zuwendung, damit Kinder auch das Gefühl haben, es wird ihnen etwas Gutes vermittelt, und ein Vertrauensverhältnis zwischen Eltern und Kindern wirklich aufgebaut und verstärkt wird.

Watty: Danke schön an Alfred Wiater, Schlafforscher und Chefarzt der Kinderklinik Köln-Porz zum Thema Kinderschlafmedizin.


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