Wenn Gärtner Böcke werden

Von Pieke Biermann |
Dass es Quereinsteiger hierzulande viel zu schwer haben, mokiert die Autorin Pieke Biermann. Dennoch habe jüngst ein prominenter und gescheiterter Wechsel vom Journalismus in die Politik gezeigt: "Es reicht nicht, partout etwas zu wollen. Man muss es auch können."
"Schuster, bleib bei deinem Leisten!"

Ein Land, das das zum Prinzip erhebt, wäre monokulturelles Ödland. Geboren werden, mehr oder weniger lernen, dementsprechend berufstätig sein, und das lebenslänglich, auf derselben Stelle. Eine schnurgerade Linie, im besten Fall mit einem gewissen Aufstieg. Nebenbei: In so einem Land dürften Frauen zwar gern Schuhmachern zu Einkommen verhelfen, selbst aber keins erwerben: Ihr "Leisten" wäre ausschließlich die Hausarbeit. Kurz: blöde Einfalt und große Stille.

Wer will so leben? Wer würde überhaupt noch leben? Alle Entwicklung kommt aus dem, was quer zur Linie liegt, aus der Betriebsstörung, der Vielfalt also. Das wissen wir nicht erst, seit uns Bildungsforscher um die Ohren hauen, wie fatal spurfixiert das deutsche Schulsystem gebaut ist, wie schwer es Quereinsteigern und interdisziplinären Mauerspringern an Unis gemacht wird. Und wie eindimensional private und öffentliche Arbeitgeber noch immer auf Bewerber mit mehrdimensionalen Lebensläufen reagieren.

Quereinsteigen heißt hierzulande noch immer vor allem absteigen. Andernorts darf sich der Tellerwäscher zum Millionär zumindest träumen. Wir hier kriegen Stories à la "Vom allmächtigen Banker zum Achtsamkeitsapostel mit Guru-Lizenz" serviert. Mit viel human touch und einem Quäntchen Trost aus dem "Bruttoglücksprodukt": Wie bereichernd es doch sei, mal die Seiten zu wechseln, die Welt von der anderen Seite des Spiegels zu betrachten und die Erfahrung "von drüben" einzubringen.

Scheitern am vermeintlich besseren Krimi
Den Seitenwechslern selbst bekommt das oft nicht gut – und richtig schlecht, wenn damit insgeheim kein horizontaler Umstieg gemeint ist, sondern ein Queraufstieg. Gesteuert von tiefsitzenden hierarchischen Vorstellungen von "oben und unten", die nicht so recht zur Realität passen. Bekannte Beispiele sind Polizisten, Juristen, Politiker, die meinen, sie könnten die besseren Krimis schreiben, aber schon an der Sprache scheitern. Oder Germanistikprofessoren und Literaturkritiker, die von der gefühlt niederen sekundären in die höhere primäre Sphäre streben und also Romane verfassen.

Allein die Tarnung des heimlichen Narziss in einem frisst so viel Hirnkapazität, dass für die Komplexitäten des neuen Wirkungsfelds nicht mehr viel übrig bleibt. Dabei ist doch gerade Literatur eine viel zu ernste Angelegenheit, als dass man sie Kritikern überlassen dürfte, und wissen doch gerade Kritiker, wie freudig sie einen der ihren verspotten als "private Ferkeleien" publizierenden "entlaufenen" Kollegen – kurz als Gärtner, der Bock werden will.

Relativ neu und noch surrealer im Sinne eines inneren "Oben und Unten" sind Journalisten, die in die Politik wechseln. Gut, als Regierungssprecher, das liegt noch halbwegs nahe. Aber Journalisten und Politiker sind ähnlich unbeliebt. Wenn also, wie jüngst in Kiel, eine gestandene Politikredakteurin ins Bürgermeisteramt wechselt, weil sie zeigen will, wie man besser Politik macht, dann offenbart das eine frappierende Mixtur aus Selbstverachtung – meine Arbeit in der "Vierten Gewalt" ist minder wichtig als die in der Exekutive – und Selbstüberschätzung: Ich kann das, weil ich es unbedingt will!

Das muss schief gehen. Einfach, weil jedes Wirkungsfeld komplexe eigene Verfahrensweisen hat, die man nicht ungestraft ignoriert. Man nennt das auch Handwerk. Es reicht nicht, partout etwas zu wollen. Man muss es auch können. Und dabei hilft leider kein Genderbonus oder -malus. Dass Gärtner, egal welchen Geschlechts, Böcke sein wollen, ist ja völlig richtig. Nur, wer dabei die Bocks-Gesetze missachtet, hat am Ende bloß einen Bock geschossen. Oder bloß – auf der anderen Seite des Spiegels – die Zicke hervorgekehrt.

Pieke Biermann, Jahrgang 1950, lebt und arbeitet als freie Schriftstellerin, Übersetzerin und Journalistin in Berlin.
Die Autorin und Übersetzerin Pieke Biermann
Die Autorin und Übersetzerin Pieke Biermann© privat
Mehr zum Thema