Wenn Computer Texte schreiben

Verliert der Mensch seine Sprache?

Gehende Menschen abhängig von digitaler Technologie
Welt durch die Brille des Binärcodes der Computersprache - verliert der Mensch seine Sprache? © imago/Ikon Images
Von Klaus Weinert · 14.06.2017
Von Computern erstellte Texte werden immer besser. Doch sie reduzieren die Welt zu bloßen Fakten. Zur sinnlichen Erfassung der Welt braucht es aber gerade die Unschärfe und die Interpretation. Nur so ist gesellschaftliche Entwicklung möglich, sagt Klaus Weinert.
Als der Schachweltmeister Garri Kasparow gegen Schachcomputer von IBM in den 1980er und 1990er Jahren mehrere Turniere spielte und auch gewann, häufiger unentschieden spielte und auch verlor, schien der Computer plötzlich mehr als nur eine Zahlenkolonne addierende Maschine zu sein.
Mittlerweile haben sich Computer der Domäne des Menschen bemächtigt: der Sprache. Immer häufiger werden Texte, auch journalistische, von Computern geschrieben. Das heißt, sie bewegen sich in dem Medium, ohne das unsere ganze Kultur undenkbar ist. Und die Computertexte werden immer besser. Zwar berichten Versuchspersonen, dass sie von Computern geschriebene Texte als weniger elegant und lesbar empfinden, gleichzeitig betonen sie jedoch, dass sie sachlicher seien - Texte ohne Schnickschnack, schmucklos, reduziert auf den nackten Fakt.

Bedeutungsinhalte statt Bits

Was könnte diese Spracherzeugung auf längere Sicht für unseren Umgang mit Sprache bedeuten? Zwar verknüpft das Programm nach Regeln die Wörter zu einem Satz, der von Menschen verstanden wird, aber der Computer selbst kann ein Wort wie "Finanzmarktkrise" und schon gar nicht das Wort "Liebe" in seiner Bedeutung erkennen, schon deshalb nicht, weil er nicht wie wir Menschen einen Körper hat, mit dem wir Worte spüren. Denn mit jedem Wort verbinden wir Menschen Bedeutungsinhalte, die wir auch körperlich wahrnehmen. Der Computer selbst erfährt Wörter als seelenlose Bits, ohne Bedeutung, die gleichrangig nebeneinander stehen.
Diese Welt der Bits erzeugt eine Sprache von Zeichen mit einer Menge von Tatsachen, die zwar in sich schlüssig und logisch verknüpft sind, so dass wir sie verstehen können, aber Bedeutungsinhalte mit ihren Unschärfen oder kreativen Impulsen ausblendet, zumindest aber reduziert. Diese sind aber unverzichtbar für eine sprachgeschichtliche Entwicklung und damit auch der Entwicklung unserer Gesellschaften. Sprache könnte ähnlich wie die reine Mathematik, die ihre eigene Realität besitzt, Worte als Zeichen erzeugen, die wie Zahlen logische Verknüpfungen nach Regeln ermöglichen, mehr aber auch nicht.

Unschärfen sind der Baustein von Kreativität

Eine regelgeleitete Sprache, basierend auf algorithmischer Logik, vermittelt dann immer weniger unscharfe Bedeutungsinhalte, die gerade Interpretationen, Diskussionen, Meinungen ermöglichen, die Bestandteil von Fortschritt sind. Diese Sprache dringt in den Sprachalltag der Menschen, was zur Folge hat, wie schon beobachtet wurde, dass Menschen Tatsachen kennen, sie aber auf Nachfrage nicht wissen, welcher Sinn hinter ihnen steckt, in welchem größeren Zusammenhang sie stehen.
Das Bedeutungsumfeld von Wörtern und die Verwandtschaft mit anderen Bedeutungsfeldern anderer Wörter wird dann nicht mehr erkannt, was unverzichtbar ist, um komplexe Sachverhalte zu verstehen. Denn die nackte Tatsache ohne ihre Bedeutungsherkunft lässt keine Interpretation zu und suggeriert eine algorithmisch-logische Welt ohne Fehler und Makel, die die menschliche Welt gerade nicht abbildet. Aber Unschärfen sind der Baustein von Kreativität, ohne die nicht nur die Werke der Kunst, Musik und Literatur unmöglich sind, sondern auch die menschliche Welt.

Klaus Weinert ist Wirtschafts- und Fachjournalist. Er studierte Germanistik, Soziologie, Volkswirtschaftslehre und Filmwissenschaften. Weinert arbeitet für Rundfunk, Fernsehen und Printmedien und befasst sich mit ökonomischen und gesellschaftlichen Fragen und mit Ideologien und Theorien.

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