Welt der Diebe und Dirnen

Von Jens Brüning · 29.01.2008
Vor 280 Jahren wurde im Londoner Theatre Royal "The Beggar's Opera", die "Bettleroper", von John Gay uraufgeführt. Das von Johann Christoph Pepusch mit Musik versehene parodistische Stück mit satirischen Attacken auf die Londoner Upper Class war sofort ein überwältigender Erfolg. 200 Jahre später knüpfte Bert Brecht mit seiner "Dreigroschenoper" an diesen Hit der Theatergeschichte an.
Der Kritiker des "Daily Journal" war hingerissen:

"Seit vielen Jahren hat keine Theateraufführung soviel Beifall gefunden."

Im Vorspiel tritt ein Bettler auf. Er gibt sich als Verfasser des Stückes aus und bittet um Nachsicht. Nichts Künstliches, kein Rezitativ, kein Vorspiel und kein Epilog: Das zielte auf die seinerzeit europaweit dominierende italienische Oper mit ihren starren Formen und exaltierten Kunststückchen für "geläufige Gurgeln". Und als die Musik aufspielte, kam sofort die politische Dimension der "Bettleroper" zum Vorschein: Kapellmeister Johann Christoph Pepusch hatte das Spottlied "Walpole, der glückliche Narr" auf den damals amtierenden Premierminister und Skandal umwitterten Sir Robert Walpole in die Ouvertüre montiert:

Im Stil des in England üblichen musikalisch begleiteten Theaterstücks wurde die höfische Gesellschaft in "The Beggar's Opera" so dargestellt, wie der Satiriker John Gay sie sah: korrupt durch und durch und ganz und gar kriminell. Bereits das Auftrittslied des Winkeladvokaten und Polizeispitzels Peachum enthielt die Botschaft des Ganzen.

Jeder beschummelt jeden, Dieb und Dirne geben sich als achtbare Eheleute aus, und Pfaffe und Advokat werfen sich Betrug vor, während der Staatsmann im höchsten Amt glaubt, dass er so wenig lügt wie Peachum. Der aber lebt von Hehlerei und Verrat an seinen Klienten.

Als seine Tochter Polly sich in den Straßenräuberhauptmann MacHeath verliebt und ihn zum Verdruss der Eltern sofort heiratet, setzt Peachum alles in Bewegung, um den Gangster an den Galgen zu bringen und das auf ihn ausgesetzte Kopfgeld zu kassieren. Das Publikum erlebt eine rasante "tour de force" durch die Welt der Diebe und Dirnen. Musikzitate aus Händels Opern, Melodien von Henry Purcell und Giovanni Bonocini wechseln sich mit populären Volksliedern ab. Ein Viertel der Lieder parodiert die verkitschte Hofoper mit ihren abgehobenen Helden und edlen Geliebten. Natürlich wird ordentlich auf die Tränendrüsen gedrückt: Als MacHeath zum Galgen geführt werden soll, kommt es zu einem herzergreifenden Abschiedsterzett mit seinen beiden Hauptfrauen.

Die Oper der Zeit aber verlangte ein Happy End. So greift der Bettler in seiner Eigenschaft als Autor ein und verordnet allgemeine Versöhnung - was er bedauert. Wäre das Stück ausgegangen, wie er es sich gedacht hatte, hätte es eine vortreffliche Moral ergeben: dass nämlich die Armen dieselben Laster haben wie die Reichen, dass die Armen dafür allerdings bestraft werden.

"The Beggar's Opera" wurde ein durchschlagender Erfolg: Noch während sie in London mit insgesamt 62 Aufführungen Triumphe feierte, wurde sie auswärts nachgespielt - auch in Irland und Wales, schließlich sogar in den nordamerikanischen Kolonien. Der Erfolg hielt im 19. Jahrhundert an. Eine sensationelle Wiederentdeckung im London der 1920er Jahre brachte den noch recht unbekannten Bertolt Brecht auf die Idee, seine "Dreigroschenoper" zu schreiben. Daraus wurde schließlich ein Welterfolg.