Weise: Modell kooperatives Jobcenter soll "katastrophale" Zusammenarbeit in den Kommunen beenden

Im Gespräch mit Ernst Rommeney und Ulrich Ziegler · 12.07.2008
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit, Frank-Jürgen Weise, hat die praktische Zusammenarbeit von Bundesagentur und Kommunen in den Jobcentern als "Katastrophe" bezeichnet. Die Konstruktion der Arbeitsgemeinschaften, in der Kommunen und Bundesagentur je zur Hälfte Verantwortung trügen, sei "ein Mitternachtsbierdeckelkompromiss von beruflich unerfahrenen Menschen" gewesen, sagte Weise.
Deutschlandradio Kultur: Wahrscheinlich ist die Bundesagentur das einzige Serviceunternehmen in Deutschland, das sich freut, wenn immer weniger Kunden vorbeischauen. Herr Weise, werden Sie demnächst Personal einsparen?

Frank-Jürgen Weise: Ganz bestimmt im Bereich der Arbeitslosenversicherung. Wir werden aber dieses Personal in der sogenannten Hartz-Grundsicherung einsetzen, im Volksmund "Hartz IV" genannt.

Deutschlandradio Kultur: Haben Sie nicht zu viele Leute? Andere treten ja auf, private Arbeitsvermittler, aber auch Zeitarbeitsfirmen, die mit einem kleineren Personal, mit einer kleineren Organisationsform sagen, sie seien erfolgreicher.

Weise: Für uns ist die Bemessungsgröße für den Personaleinsatz nicht der Bestand an Arbeitslosen, sondern der Umschlag. Unsere Gesellschaft verlangt mit Recht, dass man mobil, flexibel ist. Es wird also mehr Kündigungen, Entlassungen und Wiedereintritte geben. Im Vergleich zu Privaten sind wir praktisch genauso eingestellt. Sie dürfen nicht übersehen, dass Private eine Bestenauslese machen und dann natürlich Menschen haben, die auch voll engagiert mitarbeiten. Da kommen so Betreuungssätze von 1:30, 1:70 raus. In dieser Größenordnung liegt auch die BA.

Deutschlandradio Kultur: Die absolute Zahl – sagen wir mal drei Millionen Arbeitslose – ist nicht das Einzige, sondern Ihr Umschlag ist interessant.

Weise: Genau. Wir haben im Jahr etwa acht Millionen Beendigungen von Arbeitsverhältnissen und acht Millionen Aufnahmen. Jedes ist ein Vorgang. Entsprechend dem Anliegen der Menschen und der Qualität dieses Vorgangs halte ich mein Personal vor. Denn die Aufgabenstellung ist ja, Arbeitslosigkeit ganz kurz zu machen. Das ist für die Menschen angenehm, dass – wenn überhaupt – Unterbrechungen nur kurz sind, und für mich sehr angenehm, weil ich nur ganz kurz Arbeitslosengeld zahle.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt es Messgrößen, wo Sie sagen können, Ihre Mitarbeiter haben richtig gut gearbeitet, weil der Durchlauf schnell war? Oder sind es viele Faktoren, die da ineinander greifen, so dass das überhaupt nicht quantifizierbar ist?

Weise: Wir haben die Dauer von Arbeitslosigkeit in der Versicherung in den letzten zwei Jahren etwa um ein Drittel verkürzt. Mich kostet der Bestand von Arbeitslosigkeit in einer Woche nahezu eine Milliarde Euro. Das heißt, alles, was ich verkürze, wird wirksam in Geld, aber – ganz entscheidend – hilft dem Menschen, dass er nicht lange in dieser Situation ist.

Deutschlandradio Kultur: Wir kommen von fünf Millionen Arbeitslosen und gehen jetzt auf die drei Millionen zu. Wie können Sie messen, ob es auch die Leistung des Arbeitsamtes war?

Weise: Das ist wirklich schwierig. Deshalb würde ich eine klare Reihenfolge nennen. Es ist die Konjunktur. Zweitens waren es die guten politischen Rahmenbedingungen – fairerweise muss man sagen – der vergangenen Regierung und dieser. Und drittens, das Einzige, was ich meinen Mitarbeitern und den Führungskräften zurechne, ist: Wir haben diese gute Situation wirklich mal genutzt. Denn in den vergangenen 40 Jahren gab es ja oft gute Konjunktur. Es ist nicht in dem Maße genutzt worden. Nur in diesem Maße ist mein Beitrag zu sehen, wirklich nicht zu überhöht. In einer schlechten Konjunktur kann ich das Übel abmildern, ich kann es aber nicht verhindern.

Deutschlandradio Kultur: In welcher Größenordnung kann die Bundesagentur tatsächlich helfen, um Arbeitslosigkeit abzubauen?

Weise: Ganz grob gesagt, beeinflusse ich mit effizienter guter Arbeit einen Prozentpunkt von Arbeitslosigkeit. Das sind aber immerhin damals 500.000 gewesen und heißt jetzt 300.000 im Schnitt. Aber es ist noch lange nicht am Ende.

Deutschlandradio Kultur: Nun haben Sie derzeit eine Million offener Stellen gemeldet. Man nimmt das immer als ein positives Zeichen. Die Wirtschaft will Leute einstellen. Jetzt frage ich Sie mal: Waren Sie zu langsam?

Weise: Es ist ja wiederum nichts Statisches. Es ist so, dass die Dauer von Arbeitslosigkeit kürzer geworden ist und die Besetzungsdauer der offenen Stellen etwas länger geworden ist. Das heißt, wir haben heute nicht mehr die Menschen im Angebot, die im ersten Zug ideal passen. Die sind schon im Markt. Wir haben es mit Menschen, Kandidaten zu tun, bei denen wir doch noch dem Arbeitgeber sagen müssen, es mag sein, dass er im ersten Moment nicht dem Idealprofil entspricht, aber wir zahlen etwas zur Qualifikation. Wir haben eine gute Referenz zu jemandem. Dann dauert es tatsächlich etwas länger, bis wir die Stelle besetzt haben. Aber wiederum: Als Flussgröße findet dieser Austausch permanent statt.

Deutschlandradio Kultur: Es gibt erheblich viele Maßnahmen zur Qualifizierung, die Sie und Bildungsträger machen. Sind die gut vernetzt? Kriegen die Nachfragenden, sprich die Unternehmen, die Leute, wenn sie von Ihnen qualifiziert werden, genau die Leute, die sie haben wollen?

Weise: Wenn heute unser Arbeitgeberservice das Profil der Stelle gut verstanden hat, wenn er das Unternehmen versteht – die Siemens-Zentrale oder ein Handwerksbetrieb mit fünf Menschen – und wenn die gute Arbeit geleistet haben und wir auf der anderen Seite die Kandidaten, die wir haben, gut profiled haben, dann müsste das heute gut funktionieren.

Da gibt es jetzt aber – offen gesagt – viel Schlupf. Der Arbeitgeber beschreibt nicht ganz genau, was er eigentlich will, oder will immer den idealen Fall haben, den er nie bekommt. Die andere Seite ist, dass wir uns manchmal von Formalien, Zeugnissen leiten lassen und den Menschen nicht genau sehen und nicht erkennen, na ja, dem fehlt dieses letzte Zertifikat, aber der ist ideal geeignet. Der hat schon lange darin gearbeitet. Da kann dann Schlupf entstehen. Es wird aber immer besser. Wir lassen ja anonym die Zufriedenheit unserer Arbeit beim Arbeitgeber bewerten, die Zufriedenheit mit den Kandidaten. Das kriegt jede Agentur, jedes Team. Ich will das gar nicht insgesamt sehen. Da übt man sich und wird – zumindest den Noten nach – über die letzten zwei, drei Jahre immer besser.

Deutschlandradio Kultur: Sie haben eben erklärt, dass man über Geschwindigkeit, schnellere Vermittlung durch aus erreichen kann, dass mehr Beschäftigung stattfindet, nicht, weil es mehr Arbeitsplätze gibt, sondern weil man schneller die Lücken wieder schließt. Die andere Frage war ja, dass Sie Ihre Betriebsberater in die Wirtschaft hineinschicken, damit Sie Arbeit schaffen durch Beratung. Funktioniert das auch?

Weise: Ja, wir sind heute an dem tatsächlichen Stellenmarkt mehr als zwei Drittel beteiligt. Das ist wirklich schon mal gut, dass wir überhaupt wissen, wo gezeigte offene Stellen entstehen. Man muss in der Struktur der Stellen allerdings auch immer ehrlich sein. Es ist noch sehr viel Zeitarbeit. Das ist im Prinzip gut. Denn für uns ist ein Abgang aus Arbeitslosigkeit in Arbeit gut. Ich wünsche mir natürlich dauerhafte sozialversicherungspflichtige Beschäftigung - als Sozialversicherung. Auf diesem Feld sind wir gut. Ich weiß aber selber als Unternehmer: es gibt latente offene Stellen. In der Regel stellt ein Unternehmer, wenn er gute Leute hätte, viel mehr ein, als er annonciert. An dem Geschäft will ich auch beteiligt sein. Ich finde es ganz schlimm, dass wir gut ausgebildete russische Ärzte und Ingenieure hier haben, denen wir die Anerkennung verweigern, die aber ohne Weiteres in der Lage wären, so einen Job auszufüllen. In dem Matching muss ich jetzt beteiligt werden, denn der Markt wird eng. Der Bedarf an Fachkräften ist richtig hoch und die Zahl an Arbeitslosen ist selbst im Bestand relativ gering.

Deutschlandradio Kultur: Wenn Sie diese Facharbeitskräfte nennen, gibt es nicht auch einen Bereich, wo die Bundesagentur überhaupt nicht helfen kann, weil einfach die Qualifikationen nicht da sind und auch nicht mit Umschulung zu machen sind, sondern weil die vier Jahre brauchen und nicht richtig ausgebildet wurden? Da kommen Sie einfach zu spät.

Weise: Ganz klar. Wenn heute jemand ohne Deutschkenntnisse, ohne Hauptschulabschluss zu mir kommt, da kann die Konjunktur brummen, es wird ganz schwer sein, diesen Menschen irgendwo ins Spiel zu bringen. Und wenn das dann noch Ältere sind, die sich im Leben mit mehreren Jobs durchgeschlagen haben, wird es immer schlimmer. Es ist ja absurd, immer zu warten bis der Schadensfall eingetreten ist. Ich gehe heute zumindest in Projekten in Schulen, versuche Berufsorientierung reinzutragen, dass wir einfach gar keine jungen Menschen mehr haben, die schon mit Misserfolg in Ausbildung oder Beruf antreten.

Deutschlandradio Kultur: Um Arbeitslosigkeit schon im Ansatz zu bekämpfen, wie Sie es beschrieben haben, gehen Sie beispielsweise in die Schulen. Sie wollen frühzeitig den Nachschub aus Nürnberg nicht mehr haben. Das ist ja ein globaler Ansatz, wo Sie eigentlich relativ schnell mit Schulen, mit Hochschulen, mit Pädagogen in Konflikt kommen müssten, die überall glauben, die Menschen, die sie zu betreuen haben, zu ordentlichen Staatsbürgern zu machen und auch zu Leuten, die sich allein ernähren können. Jetzt kommen Sie und sagen, wir machen das auch noch. Und das geht problemlos?

Weise: Auf der einen Seite glaube ich nicht, dass ich in Konflikt komme, denn das Anliegen, möglichst – wenn Sie so wollen – frühkindlich, aber spätestens in der Schulzeit auf Ausbildung und Beruf mit hinzuarbeiten, wird von jedem unterstützt. Im Übrigen glaube ich fast, dass zu viele Akteure am Markt sind. Tatsächlich beklagen sich die Schulleiter, dass es unendlich viele Programme gibt, die nicht voneinander wissen. Auch da wollen wir einen Beitrag leisten und eine Transparenz schaffen, vielleicht sogar standardisieren und sagen, es gibt zehn Module. Die sind abrufbar, die sind vorbereitet. Manche werden von der BA unterstützt und andere von anderen Einrichtungen.

Deutschlandradio Kultur: Da gibt es ja wirklich viel. Es gibt auch Ideen im Handwerk, dass sich eigentlich die Meister oder auch die einzelnen Unternehmen in der Schule vorstellen müssen. Dann kommen Sie wahrscheinlich auch zur Berufsvorbereitung und dergleichen mehr. Die Bundeswehr kommt noch mal gesondert. Das sind eine Menge Leute. Sind die alle hilfreich? Sind die gern gesehen?

Weise: Ich glaube, von der Arbeitgeberseite ja, dass einfach die jungen Menschen sehen, es gibt ein unglaublich breites Angebot. Wir wissen, dass leider viele junge Leute nur zehn Berufe im Kopf haben und sich dann auch dafür bewerben und möglicherweise einen schönen Beruf ablehnen, sich nicht bewerben, weil der ihnen gar nicht als Bild bekannt ist. Wir versuchen jetzt auf der Ebene der jungen Menschen, am Individuum anzusetzen und zu sagen: Es kann nicht sein, dass ein junger Mensch, der Misserfolge in der Schule hat, dann immer wieder in ein Berufsvorbereitungsjahr, sprich, in die Schule geschickt wird und wieder Misserfolge erlebt. Wir versuchen noch andere Wege zu gehen, dass jemand Selbstbewusstsein hat, Energie hat, Erfolge hat und sich dann beim Arbeitgeber vorstellt. Beide Seiten müssen bedient werden.

Deutschlandradio Kultur: Soll das ein Modell sein, wo man sagt, die Bundesagentur hat mal bewiesen, wie es geht, jetzt macht ihr anderen das? Oder wollen Sie perspektivisch in 20 Jahren – sozusagen flächendeckend von der Wiege bis zur Bahre – jeden betreuen, der irgendwann ins Arbeitsleben geht?

Weise: Nein, flächendeckend wäre nicht finanzierbar. Ich fände es auch nicht richtig, wenn das eine staatliche Aufgabe ist.

Unsere Arbeitshypothese ist, wenn wir mehr intervenieren – ganz nüchtern gesagt –, sparen wir Geld und helfen wiederum, dass Arbeitslosigkeit gar nicht entsteht. Wir wollen diese Projekte – es sind ja zwei große Projekte, einmal mit dem DGB "Fit für Zukunft", eine Art Sommer-Camp, und mit der Universität Lüneburg – aufzeigen. Die ersten Ergebnisse zeigen eindeutig, dass wir 20, 30 Prozent der jungen Leute, die den Hauptschulabschluss nicht geschafft hätten, retten können und dass die sogar in ihrer persönlichen Entwicklung viel weiter kommen. Wenn das der Fall ist, dann könnten wir dieses Angebot so zu handeln, wiederum an die Richtigen geben. Kammern, Schule u.a. würden es vielleicht finanziell an der einen oder anderen Stelle unterstützen, aber nicht flächendeckend.

Deutschlandradio Kultur: Nun wollen wir dieses Prinzip – erstens auf das Berufsleben vorzubereiten oder auch im Berufsleben zu orientieren, wie man weiterkommt, aber auch gleichzeitig Arbeitslosigkeit richtig und rechtzeitig anzugehen – mal an dem Problem der Langzeitarbeitslosen anschauen.

Es war das Ziel der Arbeitsamtsreform, der Arbeitsagenturreform, dass die Langzeitarbeitslosen erst gar nicht länger als zwölf Monate arbeitslos sein müssen, sondern dass ihre Handicaps schon im ersten Monate der Arbeitslosigkeit bearbeitet werden. Gelingt das überhaupt?

Weise: Es gibt erste Verbesserungen. Wenn heute jemand gekündigt wird oder kündigt, aber noch arbeitet, muss er sich innerhalb von drei Tagen melden und wir versuchen intensiv, ihn eigentlich wieder in Arbeit zu bringen, so dass Arbeitslosigkeit noch gar nicht eingetreten ist. Das sind immerhin rund 300.000 Fälle dieser Art, die wir nachweisbar selber bearbeiten.

Ich muss allerdings auch sagen, es gibt Misserfolge. Wir haben doch immer noch Menschen, die länger als zwölf Monate arbeitslos sind. Wir müssen differenzieren. Manchmal ist es nur ein Warten auf Rente. Dann hat jemand gar nicht das Interesse vermittelt zu werden. Aber es gibt welche, da schaffen wir es nicht und der Einzelne nicht. Na ja gut, da gilt jetzt die ganze Intensität Arbeit.

Deutschlandradio Kultur: Da arbeitet ja auch nicht allein die Bundesagentur, sondern Sie arbeiten ja auch zusammen mit den Kommunen, den ARGEN, also eine Kooperation mit Sozialarbeitern vor Ort. Das muss aber laut Bundesverfassungsgerichtsbeschluss zum 01.01.2010 verändert werden, damit die Trennung deutlicher wird. Haben Sie da eigentlich schon Vorstellungen, wie Sie das machen wollen, um trotzdem so effektiv zu sein, wie Sie es sich vorgenommen haben?

Weise: Die Konstruktion der Arbeitsgemeinschaften war im Prinzip gut – Zusammenarbeit BA mit privaten Dritten, mit Kommunen, mit Wohlfahrtspflege, praktisch aber eine Katastrophe. Es war ein Mitternachtsbierdeckelkompromiss von beruflich unerfahrenen Menschen, die gesagt haben, die BA arbeitet mit den Kommunen bundesweit 50:50 zusammen. Das Urteil hat die Chance gegeben, das zu überprüfen. Der Staatssekretär Scheele und ich haben im Auftrag von Verwaltungsrat und Bundesregierung ein neues Modell entwickelt. Das nennt sich "kooperatives Job-Center".

Deutschlandradio Kultur: Das ist das, was der Bundesarbeitsminister jetzt auch vorgeschlagen hat.

Weise: Genau. Er hat es natürlich modifiziert, nicht unseren Originalvorschlag genommen, sondern aus seiner übergeordneten Sicht viel angepasst. Aber im Prinzip sage ich auch heute noch und verspreche, in dieser Aufstellung könnte die BA noch bessere Beiträge leisten.

Deutschlandradio Kultur: Was machen diese kooperativen Job-Center anders als diejenigen, die heute arbeiten?

Weise: Wir werden einmal dem Verfassungsgericht gerecht, was ja sagt, der Bürger muss sich beschweren können. Er muss erkennen, gegen wen er sich beschwert. In der Arbeitsgemeinschaft waren alle für alles verantwortlich, aber keiner erkennbar. Im kooperativen Job-Center habe ich, Frank Weise, den Auftrag mit meiner Organisation sicherzustellen, dass die Beratung und in letzter Instanz die Vermittlung einwandfrei funktioniert. Und ich habe alle Kompetenzen dazu. Die Kommune hat den Auftrag sicherzustellen, dass so genannte sozial-integrative Leistungen zur Verfügung stehen. Ich habe ja allein 600.000 alleinerziehende Frauen. Die könnten sofort vermittelt werden, wenn Kinderbetreuung organisiert ist. In dem Sinne hat jeder in dieser Zusammenarbeit klare Aufgaben, ist verantwortlich, muss es objektiv belegen. Das ist aus meiner Erfahrung von Führung das viel bessere Modell, als 50:50 über Schreibtischhöhe, Kauf von Briefmarken oder sonst was zu entscheiden.

Deutschlandradio Kultur: Wenn man sich die Laune am Arbeitsplatz verderben will, dann muss man wissenschaftliche Begleituntersuchungen über einzelne arbeitsmarkpolitische Instrumente lesen. Da steht dann meistens drin: Ja – kann sein – kann auch nicht sein – bringt nichts – bringt was.

Es gibt Leute, die daraufhin sagen: Lassen wir das alles bleiben. Vermittlung, Vermittlung, Vermittlung und diese arbeitsmarktpolitischen Instrumente, beispielsweise Fortbildung, sollen eins nicht tun, nämlich den Vermittlungsprozess unterbrechen. Ist denn das wenigstens gelungen? Denn wenn Leute lange Zeit arbeitslos sind, dann auch oft deswegen, weil sie sich in irgendwelche Kurse gerettet haben und dann war die Zeit um.

Weise: Sie wollen ja gerne auch ein bisschen Schärfe in das Gespräch bringen. Wir brauchen aktive Arbeitsmarktpolitik. Zu sagen, ich kann darauf verzichten, halte ich für völlig falsch. Sie werden beobachtet haben, dass ich in der guten Konjunktur mehr für Qualifizierung ausgebe als früher, weil ich heute genau weiß, wenn ich diese Qualifizierung investiere, hilft es den Menschen. Früher sind die Menschen betrogen worden. Man hat sie zwei-, dreimal umgeschult, hat eigentlich die Gewissheit gehabt, der findet in der Region doch nichts, aber man hat irgendwie die Menschen ruhig gestellt. Was wir heute machen: Durch unser eigenes Institut erkennen wir, wie treffsicher ist die Arbeitsmarktpolitik. Unsere Berater und Vermittler haben zumindest von uns größere Freiheitsspielräume für den einzelnen Fall und sollen entscheiden, wann sie zum Beispiel Qualifizierung investieren.

Deutschlandradio Kultur: Aber Ihre Vermittler kennen doch die Instrumente zum Teil gar nicht oder können sie rein physisch gar nicht anwenden. 80 arbeitsmarktpolitische Instrumente haben Sie. Manche Leute sagen, zehn würden reichen.

Weise: Also, es ist wirklich übel. Es ist bestimmt aus gutem Willen entstanden, dass man bei allen Arten von Problemen irgendwie eine Antwort juristisch definiert hat. Daraus ist eine Unwucht entstanden. Praktisch kennen unsere Leute heute nicht alle. Praktisch wenden sie die an, von denen sie gute Erfahrungen haben. Deshalb ist ja die Initiative des Ministers, auf unseren Vorschlag die Instrumente zu vereinfachen, schon mal ein ganz guter Einstieg. Ich würde mir viel mehr Freiheitsgrade, viel mehr Ermessensleistung für meine Mitarbeiter wünschen und kann im Gegenzug das Vertrauen schaffen, dass wir das sehr transparent einsetzen, lernen, was hilft, lernen, was nicht hilft, und Mängel abstellen.

Deutschlandradio Kultur: Nehmen wir mal die Freiheitsgrade. Wir haben ältere Arbeitnehmer. Die sind irgendwie ausgepowert. Sie können aber noch nicht auf Rente gehen. Sie haben ihren Job verloren. Jetzt kommen sie zu Ihnen zur Bundesagentur und sagen, ich habe keinen Job mehr und eigentlich will ich auch gar nicht mehr. Trotzdem müssen die Vermittler versuchen, mit den Arbeitsmarktinstrumentarien, die ihnen zur Verfügung stehen, die Leute wieder ins Geschäft zu bringen, was die eigentlich gar nicht mehr wollen. Wären das Freiheitsgrade, wo Sie sagen würden, okay, da müssen wir andere Lösungen finden?

Weise: Nein, ich finde es zum Beispiel gut, dass eben ein Paragraph weggefallen ist, nach dem wir bestimmte Personengruppen ab 58 nicht mehr vermitteln durften, wenn die das nicht wollten. Heute muss sich jeder stellen. Und da führen wir schon ernsthafte Gespräche. Auch für einen 58-Jährigen ist es möglich, in bestimmten Regionen einen Job zu finden. Wenn das so ist, muss es intensiv gemacht werden.

Deutschlandradio Kultur: Aber Sie bekommen doch allein aus Demographiegründen wieder mehr ältere Arbeitslose. Und wenn die Widerstände in der Gesellschaft wachsen zum Beispiel gegen die Rente mit 67, und wir haben ja schon mit der Rente mit 65 ein Problem, irgendwas muss man doch tun, um den älteren Menschen ein Zutrauen zu geben, dass es noch geht am Arbeitsmarkt. Oder man muss einsehen, sie sind gesundheitlich gehandicapt, also braucht man eine Alternative.

Weise: Es gibt Berufe, ich weiß das von Anwälten, die können mit 75 gerade aufgrund der vielen Erfahrung noch gut arbeiten. Und ich muss anerkennen, dass es Berufe gibt, die körperlich beeinträchtigen, bei denen vielleicht die Grenzen anders gesetzt werden müssen. Das ist aber eine politische Debatte. Diese Einstellung, dass man heute als Älterer auch noch arbeiten muss, auch vielleicht sogar gerne arbeitet, ist ein gesellschaftliches Problem. Wir helfen mit dieses Bewusstsein zu schaffen und zu sagen: Eigentlich wäre es doch wichtig, flexible Zeiten, flexible Arbeitszeit vielleicht zu haben, aber letztlich, auch wenn man älter wird und kann noch, auch weiter zu arbeiten.

Und drittens machen wir es ganz praktisch, indem wir auch den Unternehmen klarmachen: Wenn sie heute eine offene Stelle haben, dann haben wir in der letzten Instanz sogar besondere Förderung und Unterstützung. Aber der Unternehmer ist gut beraten, jemanden mit 58 zu nehmen, der dann vielleicht mit Freude noch sieben Jahre arbeitet.

Deutschlandradio Kultur: Herr Weise, wenn diese Instrumentarien alle gut greifen und die Konjunktur nicht einbricht, dann – sagt der Bundesarbeitsminister – könnten wir in zehn Jahren möglicherweise eine Vollbeschäftigung in Deutschland haben. Teilen Sie diese Einschätzung?

Weise: Die Wissenschaftler sagen ja, Vollbeschäftigung ist eine Arbeitslosenquote von vier Prozent. Wir haben es im Teilen Deutschlands, ganz klar. Das ist eben die Differenzierung. Was nützt mir die mittlere Temperatur des Patienten, wenn der eine mit 55° tot ist und der andere mit 35 erfroren? Wir haben in Bayern, in Baden-Württemberg, in machen Regionen von Hessen ausgesprochen gute Situationen, sogar schon das wirklich sichtbare gravierende Problem des Bedarfs an Arbeitskräften. Und ich habe eben noch Regionen mit 12, 13, 14 Prozent Arbeitslosigkeit. Diesen Ausgleich jetzt ganz systematisch zu machen, ist unser Job.

Deutschlandradio Kultur: Wenn wir jetzt im Herbst auf drei Millionen heruntergehen, dann könnte das der neue Sockel sein, so es stimmt, dass wir in eine konjunkturelle Schwäche hineinlaufen. Dann ist die große Frage: Was ist geschafft worden? Springt dann die Arbeitslosigkeit wieder an? Oder würden Sie sagen, nein, wir haben in der derzeitigen Vermittlungsphase einen nachhaltigen Effekt?

Weise: Wir haben, wenn ich den Arbeitsmarkt noch mal so aufteile, in der Versicherung – das heißt, derer, die in der Regel zwölf Monate lang Arbeitslosengeld bekommen – einen Bestand von 900.000 Arbeitslosen und bestimmt einen Umschlag von sieben Millionen, die reingehen und rausgehen jedes Jahr. Da sagen mir die Wissenschaftler, es ist eigentlich ein gesunder Arbeitsmarkt. Und die Dauer von Arbeitslosigkeit ist im Schnitt unter drei Monaten. Vielleicht kriegt man die noch unter zwei Monate, vielleicht noch weiter runter, das muss auch das Ziel sein, und den Bestand noch ein bisschen runter. Aber in einer Wirtschaft, in der Flexibilität, Mobilität gewollt ist, in der Firmen insolvent gehen und die Solarindustrie in Thüringen aufbaut, ist so ein Umschlag gut.

Zweitens haben wir Menschen, die zum Teil Jahre nicht in Arbeit waren. Dort ist der Prozess, das gesund zu machen, einfach länger. Was dort wirklich der – ich sage mal – der "optimale Bestand" ist, kann ich noch nicht sagen. Eins kann ich aber sagen: Es wären ja aus heutigen Zahlen 2,5 Millionen. Und das ist eindeutig zu viel.

Deutschlandradio Kultur: Also, was immer kommt, Sie lassen sich daran messen, dass es nicht mehr als 2,5 in der Langzeitarbeitslosigkeit werden? Denn für die anderen, die Kurzzeitarbeitslosen können Sie ja nichts, wenn es ein Konjunkturproblem ist.

Weise: Ja, Sie legen mich schon fest. Ich habe es so nicht ausgesprochen. Aber ich müsste mich dieser Herausforderung tatsächlich stellen. Wenn die Konjunktur schlechter werden würde – und es gibt ja leider ein paar Warnzeichen – dann kann ich nur garantieren: schneller Umschlag, freundlich, fachlich. Aber die Zahl der Arbeitslosen kann ich als BA eben nur zu diesem einen Prozentpunkt beeinflussen.

Bei der Langzeitarbeitslosigkeit übernehme ich mehr Verantwortung. Ich kann sie heute nicht praktizieren, weil ich eben nur 50 Prozent habe. In diesem Prozess der Beratung, Vermittlung würde ich mehr Verantwortung übernehmen wollen und habe tatsächlich dann auch mehr Verantwortung, dass sich in guter und in schlechter Konjunkturlage nicht so viel bewegt.

Deutschlandradio Kultur: Wenn jetzt die Politik kommt und sagt, lasst uns die Arbeitslosenversicherungsbeiträge senken – auf 3,0 bzw. auf 2,8. Das stabilisiert den Arbeitsmarkt. Sind Sie dafür?

Weise: Na ja, diese BA ist – glaube ich – die einzige Sozialversicherung in Deutschland, sogar in Europa, die in diesem Maße sichergestellt hat, dass Sozialversicherung funktioniert. Der Beitragssatz ist noch mal aufgrund guter Konjunktur, guter politischer Rahmenbedingungen und guter Arbeit unserer Mitarbeiter von 6,5 auf 3,3 Prozent zurückgegangen in zwei Jahren. Das heißt: Beide – Arbeitnehmer, Arbeitgeber – haben 25 Milliarden Euro weniger zu zahlen. Das hat niemand erwartet. Und Politik muss stolz sein, dass es funktioniert, wenn man das will.

Ganz am Rande soll man dann sagen: Jetzt lösen wir die BA nicht auf, sondern lassen den Herrn Weise da noch eine Weile rumwerkeln.

Deutschlandradio Kultur: Herr Weise, wir danken ganz herzlich für das Gespräch.