Was sollte man - und was besser nicht?

Leidenschaftlich schweigen: Über den richtigen Umgang mit Rechts

Zwei Raben Silhouette vor untergehender Sonne
Zwei Raben Silhouette vor untergehender Sonne © imago images / imagebroker
Von Arnd Pollmann · 22.10.2017
Diskurs ist Auseinandersetzung – doch wann ist welche Auseinandersetzung geboten, verboten oder ausdrücklich erlaubt? Die Antwort ist ausgesprochen schwierig. Entscheidend ist, dass in dem Diskurs beide Seiten auch etwas verhandeln, statt nur an etwas festzuhalten.
Darf man das? Muss ich gar? Oder darf ich es auch lassen? Wann immer wir im Alltag mit moralischen Problemen konfrontiert sind, bieten sich aus Sicht der philosophischen Ethik drei Kategorien von Handlungen an: Die einen sind "verboten", andere "erlaubt" und wieder andere "geboten". Alles, was nicht ausdrücklich verboten ist, ist zunächst einmal erlaubt. Darum aber nicht auch schon geboten, denn das wäre die Handlung nur dann, wenn eine entsprechende moralische Pflicht besteht.

Raus aus der Echokammer

Zu welcher Kategorie nun gehört jene Handlung, die in diesen politisch aufgeheizten Tagen und seit den Tumulten auf der Frankfurter Buchmesse gern auf folgende Losung gebracht wird: "Mit Rechten reden"? Kaum jemand, nicht einmal der glühendste Antifaschist, dürfte ernsthaft der Ansicht sein, dass es moralisch verboten gehört, rechten bzw. sehr rechten Menschen ein Gesprächsangebot zu unterbreiten. Es mag unklug, sinnlos, unangenehm oder sogar gefährlich sein. Aber verboten? Es ist erlaubt. Wir dürfen das. Aber dürfen wir es auch lassen? Oder besteht tatsächlich so etwas wie eine moralische oder auch staatsbürgerliche Pflicht, sich mit weit rechts stehenden Menschen auseinanderzusetzen?
Genau mit dieser Forderung will man dieser Tage die Türen der linksliberalen Echokammern aufstoßen: Es soll das Gespräch mit den Rechten gesucht werden, und zwar nicht bloß aus taktischen Gründen, um den Gegner zu studieren oder zu stellen. Es müsse vielmehr um ein gemeinsames Reden, Streiten, Zuhören und Verstehen-Wollen gehen, denn dies sei die unhintergehbare Basis aller Demokratie. Frei nach Rosa Luxemburg: Kommunikative Freiheit ist immer die Freiheit der Andersredenden. Und erst das gemeinsame Gespräch mit diesen Anderen bestätigt unsere gemeinsame Freiheit, die Demokratie allererst ermöglicht. Das klingt natürlich toll, aber leider liegt hier ein doppeltes Missverständnis vor: Das erste betrifft die Demokratie, das zweite das Wesen der Kommunikation.

Stell dir vor, es ist Buchmesse, und keiner geht hin

Zweifellos verbietet die Demokratie die Unterdrückung unliebsamer Meinungen, etwa durch Zensur oder pöbelhaftes Niederbrüllen. Prinzipiell muss jede Stimme Gehör finden können. Aber die Demokratie gebietet uns nicht schon, mit jedem Menschen auch zu reden. Das ist das Missverständnis vieler Pegidisten in Dresden und anderswo, die so gern behaupten, wir lebten in keiner Demokratie, weil niemand mit ihnen spricht. So als hätte jeder grenzdebile Rassist ein Recht darauf. Noch einmal: Sie dürfen reden, was sie wollen, aber man darf das ignorieren. Stell dir vor, es ist Buchmesse – und keiner geht hin.
Das zweite Missverständnis betrifft das Wesen der Kommunikation. Folgt man Jürgen Habermas, so gibt es zwei grundverschiedene Arten von Diskursen. Die einen sind "verständigungsorientiert": Man redet und streitet, weil man gemeinsam herausfinden möchte, "was Sache ist". Völlig anders funktioniert das, was Habermas "strategische" Kommunikation nennt: Hier redet und streitet man, weil man die eigene Position durchboxen möchte; weil man sein Gegenüber manipulieren oder mundtot machen will. Haben Sie schon einmal eine weit rechts stehende Person getroffen, die verständigungsbereit gewesen wäre? Man kann die radikalen Ränder der Politik geradezu dadurch definieren, dass dort zwar ungeheuer viel geredet, aber eben nicht zugehört wird. Und mit jemandem, der nicht zuhört, braucht man auch nicht zu reden. Es sei denn, man ist ein kommunikativer Masochist.

Ein Hoch auf das Schweigen

Ein echter Diskurs fällt übrigens nicht nur mit sehr rechten, sondern auch mit sehr linken Menschen schwer. Auch Linke neigen oft zur Taktik, zur Besserwisserei und zur moralistischen Selbstvergewisserung. Angesichts dieser ideologisch gefärbten Voreingenommenheit auf beiden Seiten mögen verständigungsbereite Gesprächsteilnehmer demonstrativ verstummen. Und damit kommen wir zum wichtigsten Missverständnis der Debatte. Die Bewegung "Mit Rechten reden" ist offenbar der Ansicht, dass dieses Schweigen einem Abbruch von Kommunikation gleichkommt. Doch Schweigen ist keineswegs Nicht-Kommunikation, sondern selbst ein kommunikativer Akt. Die Botschaft nämlich lautet: »Ich werde nicht mit dir sprechen!«. Und ein solches Schweigen kann beredt und weise, sogar leidenschaftlich, ja, auf ganz eigene Weise radikal sein.
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