"Warum nicht Histotainment"

Moderation: Liane von Billerbeck |
Der neueste Roman von Tanja Kinkel spielt im Römischen Reich. Zwei Frauen stehen im Mittelpunkt: Andromeda, die Zwergin und Sklavin, und Julilla, die Enkelin der Kaiserin. Sie wolle ihre Leser gerne unterhalten, sagte Kinkel im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur, und habe nichts gegen den Begriff Histotainment.
Von Billerbeck: Tanja Kinkel ist Autorin sehr erfolgreicher historischer Romane. Deren verkaufte Gesamtauflage beträgt bisher immerhin schon dreieinhalb Millionen Bücher. Das ist etwas, wovon fast jeder Autor träumt und allein ihr in der Renaissance spielender Roman "Die Puppenspieler" wurde eine Million Mal verkauft. Für ihr jüngstes Buch, es ist das elfte und heißt "Venuswurf", hat sie sich wie immer eine historische Periode ausgesucht, um ihre Geschichte aus der Geschichte zu erzählen: das Römische Reich. Um Geschichte und Unterhaltung geht es in dem Gespräch, das ich gestern mit ihr geführt habe. Was, wollte ich als Erstes von ihr wissen, erfahren wir aus ihrem neuen Roman über das Römische Reich?

Kinkel: Ich hoffe, Sie bekommen einen lebendigen Eindruck von Rom zurzeit des frühen Kaiserreichs, zurzeit von Augustus im Jahr sieben und acht nach Christus, in dem dieses Buch spielt, und Sie bekommen einen Eindruck von Rom aus wortwörtlich der Perspektive von ganz unten. Einer der Gründe, warum ich meine Romanheldin gewählt habe, Andromeda, die eine Zwergin war und die es tatsächlich gegeben hat, war, dass sie einerseits absolut die machtloseste Person in dem Roman ist, also sie ist eine Frau, sie ist eine Sklavin und eine Zwergin, andererseits landet sie schließlich im Haushalt der Kaiserin Enkelin Julilla. Und das ist natürlich das absolute Gegenteil in der sozialen Hierarchie, ein Mitglied der herrschenden Dynastie, obwohl Julilla auch nicht so frei ist, wie es zuerst den Anschein hat. Diese Doppelperspektive war für mich sehr reizvoll, Rom aus beiden Perspektiven schildern zu können.

Von Billerbeck: Sie sind ja Romanautorin und Germanistin, haben da also studiert und haben auch eine Dissertation geschrieben über Feuchtwanger ...

Kinkel: Genau.

Von Billerbeck: Aber Sie sind keine Historikerin.

Kinkel: Nein.

Von Billerbeck: Das heißt also, Sie sind nicht vom Fach, obwohl man nach elf historischen Romanen sicher davon sprechen kann, dass Sie inzwischen ein breites Wissen erworben haben. Wie recherchiert denn eine Romanautorin anders als eine Historikerin?

Kinkel: Ich glaube, nicht sehr viel anders. Ich glaube, Recherche verläuft ziemlich schnell, wenn man erst einmal damit anfängt, und ich habe schon in meiner Schulzeit damit angefangen, auf sehr ähnlichem Weg. Wenn ich einen Roman über konkret eine bestimmte historische Figur schreibe wie, sagen wir mal, Leonore von Aquitanien, dann fange ich mit Biografien über Eleonore an und dann arbeite ich mich rückwärts vor, schaue, was diese Biografen als Quellen benutzt haben, schaue, was es an Büchern über die Zeit und die Zeitgenossen gibt. Wenn ich einen Roman schreibe, der in einer bestimmten historischen Epoche angesiedelt ist, aber eine erfundene Hauptfigur hat, wie zum Beispiel "Die Puppenspieler", dann fange ich mit Büchern in der Epoche an und versuche, so viel wie möglich über die Epoche zuerst herauszufinden, über die historischen Figuren, von denen ich möchte, dass sie meiner Hauptfigur begegnen und welcher Lebenslauf charakteristisch oder möglich wäre in dieser Zeit. Wenn ich eine Figur wie Andromeda habe, über die nun nicht sehr viel mehr bekannt ist, als dass sie gelebt hat, dann fange ich auch mit der Epoche an und mit den belegten Zeitgenossen, aber darüber hinaus versuche ich auch so viel wie möglich über, jetzt in ihrem Fall zum Beispiel, die Stellung von Sklaven im alten Rom zu dieser Zeit herauszufinden und überlege mir, inwieweit das sie geformt hat. Ich versuche, mir den Alltag zusammenzusetzen, und da gibt es gerade in diesem Fall sehr, sehr viel Quellen. Ich habe Bücher gehabt, wo die Quellenlage viel, viel schwieriger war, als hier, aus Rom haben wir, meine Güte, wir haben sogar Kochbücher, wir haben Bücher, in denen das Alltagsleben bis zum kleinsten Kleidungsdetail genau beschrieben ist. Das heißt, es ist sehr einfach, sich sowohl hier modernere Sachbücher und Biografien vorzunehmen als auch antike Quellen, die es ja auch in Übersetzungen gibt.



Von Billerbeck: Also, Sie müssen ja nicht wie Historiker, die sehr quellentreu arbeiten müssen und nach bestimmten Regeln arbeiten, mit Geschichte umgehen, wenn Sie sie literarisch verarbeiten und auch verändern können. Sie sind ja nicht den Gesetzen unterworfen, denen ein Historiker unterworfen ist, sondern den Gesetzen der Unterhaltungsindustrie. Sehen Sie darin ein Problem?

Kinkel: Nein beziehungsweise nicht auf diese Weise. Natürlich kann man theoretisch schreiben, was man möchte über Figuren, ob sie nun historisch oder erfunden sind, aber ich glaube, um ein gewisses Vertrauen vom Leser zu bekommen über mehr als ein Buch hinweg, und ich bin natürlich als Autorin daran interessiert, dass Menschen mehr als ein Buch von mir lesen, um ein gewisses Vertrauensverhältnis zwischen mir und den Lesern aufzubauen, sollten sie sich zumindest darauf verlassen können, dass bei mir der Hintergrund stimmt. Das heißt, natürlich ist nicht jeder Satz, der fällt, tatsächlich belegt und gesprochen und natürlich ist es eine höchst subjektive Sichtweise, die ich da vorlege, meine persönliche Interpretation dessen, was ich vorgefunden habe. Aber sie sollten sich darauf verlassen können, dass, sagen wir mal, zum Beispiel keine groben Anachronismen vorkommen wie ein Mensch in der Renaissance, der für das Frauenwahlrecht ist, und der viele Jahre bevor das überhaupt in die Mentalität hineingebracht hätte, für die Gleichberechtigung plädiert. Ich glaube aber auch, dass man, gerade wenn man anfängt zu recherchieren, egal, ob für ein Sachbuch oder einen Roman, sich sehr schnell von der Vorstellung verabschiedet, es gibt so etwas wie eine objektive Wahrheit gerade im Bezug auf historische Figuren. Biografen, und ich meine jetzt Sachbiografen nicht Romanbiografen, liegen sich gerade bei den interessanteren Figuren derart in den Haaren, nicht, weil der eine ganz andere Quellen als der andere hat, sondern weil jeder von uns seine subjektive Sichtweise reinbringt, dass man wirklich nur früher oder später eben sagen muss okay, die und die These scheint mir plausibel und die These weniger, der schließe ich mich an, aber nicht: Es gibt eine nachweisliche Wahrheit, der sich alle anschließen können.

Von Billerbeck: Im Radiofeuilleton sprechen wir mit Tanja Kinkel, der Romanautorin vieler historischer Romane. Ihr neuester Roman "Venuswurf" ist jetzt auf dem Markt. Es wird ja oft auch in andern Zusammenhängen von Histotainment gesprochen. Würden Sie Ihre Bücher auch unter diese Überschrift einsortieren oder wäre das vermessen, Sie als Histotainment-Autorin zu bezeichnen?

Kinkel: Ich habe kein Problem damit. Wissen Sie, für mich wäre es beleidigend, wenn man mir sagen würde, meine Bücher sind nicht unterhaltend. Und sie sind zum größten Teil, aber nicht ausschließlich, historisch. Ich habe ja auch zwei Fantasy-Romane und einen Gegenwartsroman geschrieben, aber Geschichte ist eine große Passion von mir und ich komme immer wieder darauf zurück in meinen Romanen. Deswegen bin ich mit dem Begriff durchaus einverstanden, sie sind historisch und sie sind unterhaltend, also ja, warum nicht Histotainment.

Von Billerbeck: Sie haben, habe ich in einem Artikel der "Süddeutschen Zeitung" gelesen, als Mädchen Geschichten über Cäsar in ihre Schulhefte geschrieben. Was fasziniert Sie denn so besonders an Rom?

Kinkel: Das war mein erster Romanversuch, der über ein paar Schulhefte hinweg ging und dann ein, weil ich damals einfach noch nicht die Ausdauer mit 13 hatte, Romane zu schreiben. Rom und speziell die späte Republik und das frühe Kaiserreich sind eine Lieblingsepoche von mir. Es ist eine Umbruchepoche, in der gleichzeitig sehr viel zu Ende ging und sehr viel Neues begann. Und es ist eine, die mehr mit unserer Gegenwart zu tun hat, als man auf den ersten Blick meinen möchte. Ich meine, für die Personen meines Romans "Venuswurf" ist es so, sehr viele von den Älteren können sich noch an diese Spätzeit der Republik erinnern und sie glauben durchaus daran, was man der Augusteischen Zeit so sehr zuschreibt, dass sie also Pax Romanum (Anmerk. d. Red.: im Hörprotokoll schwer verständlich) nun haben, Frieden, nur der Preis, der für diesen Frieden gezahlt wurde, ist natürlich auch eine immense Aufgabe an persönlichen Freiheiten. Für den Roman ist zum Beispiel wichtig diese Ehegesetzgebung, das wäre in der späten Republik undenkbar gewesen, etwas so privates wie die Ehe staatlich zu maßregeln, es ist aber im Kaiserreich möglich und ...

Von Billerbeck: ... und wo sehen Sie da die Parallele zur Gegenwart?

Kinkel: Ich komme darauf ... und es ging da los. Ich glaube, wenn man jahrzehntelang Bürgerkrieg hinter sich hat, und dann eben eine Diktatur, dann später eine Monarchie, dann ist man sicher bereit, allein um der Erleichterung willen, dass dieser Dauerkriegszustand beendet ist, persönliche Freiheiten aufzugeben, aber man muss sich auch fragen, was man dabei aufgibt und wie weit man dabei geht. Ich meine, es ist ja eine fortlaufende Entwicklung, es ging nicht auf einen Schlag alles, sondern Stück für Stück. Und das ist etwas, was gerade hier und jetzt auch eine Frage ist, die sich, ich denke uns sich hier in Europa stellt, nicht nur den Leuten in dem besten Äquivalent, was wir für das Rom dieser Tage derzeit haben, den USA, wie viel persönliche Freiheiten, wie viel Freiheiten sind wir bereit aufzugeben für Sicherheit, nachdem wir alle so zutiefst verunsichert worden sind durch die Erkenntnis, dass wir eben nicht in einer kriegsfreien Zeit leben, sondern in einer zunehmend wieder brutalisierteren Zeit.
Von Billerbeck: Am Ende des Römischen Reiches begann die Völkerwanderung, damals waren es die Germanen. Bei uns erleben wir gerade wie eine Wanderung also von Süden nach Norden passiert, dass die Afrikaner kommen. Womit haben wir zu rechnen, was sagt die Autorin Tanja Kinkel voraus?

Kinkel: Keine hundertprozentigen Voraussagen, aber ich glaube, die Kluft zwischen Arm und Reich und zwischen Erster und Dritter Welt wird immer größer und größer und es wird irgendwann mal zu einer Explosion führen, wenn man nicht tatsächlich versucht, etwas zu unternehmen. Und zwar nicht nur jetzt durch hier gelegentlich einen Uno-Einsatz und da einen Uno-Einsatz, bei dem das sowieso streng limitiert ist und bei dem man eigentlich nicht sehr viel mehr tut, als die Ausländer, die sich in dem jeweiligen armen Land befinden, rauszuholen und dann die Leute sich selbst überlässt. Es ist so, dass ich in der zunehmenden Gleichgültigkeit eine ungeheuer große Gefahr sehe, in der Tendenz, sich abzuschotten und zu denken, wenn man das Problem ignoriert, dann wird es weggehen, denn das wird es bestimmt nicht. Es kann durchaus so etwas ähnliches, ja wie dieses Völkerwanderungsphänomen in dem Sinne des Überrolltwerdens sich wiederholen, aber ich glaube auch, gerade als jemand der historisch interessiert ist, man sollte sich nie so sehr auf Parallelen verlassen, es kann auch völlig anders verlaufen. Es ist vielleicht auch möglich, auch wenn es schon eher eins vor zwölf als fünf vor zwölf ist, dass es nicht zu einer Explosion kommt, wenn wir rechtzeitig daran denken, dass eben dieses Abschotten absolut nichts bewirkt, sondern dass das unsere Verantwortung ist, was in der Dritten Welt passiert.