Waffenruhe in Syrien

"Alle Konfliktparteien sollten an den Verhandlungstisch"

Das Foto stammt von der Gruppe Albaraka News, die den Dschihadisten nahe steht. Es zeigt mutmaßliche Kämpfer des IS, die nahe der Grenze zwischen Syrien und dem Irak Stellung beziehen.
Mutmaßliche Kämpfer des IS nahe der Grenze zwischen Syrien und Irak. Ob es in Zukunft möglich wird, sie zu Verhandlungen zu bewegen, ist noch völlig offen. © picture alliance / dpa - Albaraka News
Christoph Günther im Gespräch mit Korbinian Frenzel  · 25.02.2016
Angesichts der ausgehandelten Waffenruhe in Syrien fordert der Islamwissenschaftler Christoph Günther, auch mit dem Islamischen Staat und der Al-Nusra-Front zu verhandeln. Es sei wichtig, mit allen Konfliktparteien zu sprechen.
Alle am Konflikt in Syrien beteiligten Parteien in Syrien müssten ernst genommen werden, sagte der Nahost-Experte Christoph Günther im Deutschlandradio Kultur. "Das bedeutet nicht nur den Islamischen Staat, sondern auch die Al-Nusra-Front", sagte Günther, der als Wissenschaftler am Max Planck Institut für ethnologische Forschung in Halle seinen Dienst antritt. "Wenn man auf eine langfristige Lösung dieses Konfliktes zielt, dann muss man mit allen Akteuren in Verhandlungen eintreten."

Etikett "Terror-Miliz" ablegen

Noch wichtiger sei für ihn allerdings, dass man sich von dem Begriff "Terror-Miliz" freimache, sagte Günther. Der IS müsse stattdessen als soziopolitische Bewegung und Konglomerat unterschiedlicher Gruppen und Individuen betrachtet werden, die ganz unterschiedliche Interessen mitbrächten. "Dann kann man durchaus Verhandlungspartner auf Seiten des Islamischen Staates identifizieren, die valide politische und ökonomische Interessen mitbringen", sagte er. All diese Gruppen einige das gemeinsame Interesse, die Regierungen in Bagdad und in Damaskus abzulösen.

Das Interview im Wortlaut:

Korbinian Frenzel: Wir warten alle gebannt und mit Hoffnung, dass es wahr wird, was Amerikaner und Russen für Syrien ausgehandelt haben: eine Waffenruhe. Am Samstag soll sie beginnen, Raum schaffen für politische Verhandlungen zwischen den Bürgerkriegsparteien. Wobei da nach wie vor ein Streitpunkt ist: Wer gehört eigentlich mit an den Tisch? Es gibt unterschiedliche Meinungen, aber eine große Einigkeit von Opposition über Kurden bis hin zum Regime von Präsident Assad, auch im Kreise der Mächte dahinter: Der IS, die Terrormiliz Islamischer Staat kann kein Verhandlungspartner sein. Ein Fehler! Das sagt unser Gesprächsgast in "Studio 9" Christoph Günther, Islamwissenschaftler. In wenigen Tagen tritt er am Max-Planck-Institut für ethnologische Forschung in Halle seinen Dienst an, guten Morgen!
Christoph Günther: Einen schönen guten Morgen, Herr Frenzel!
Frenzel: Warum müssen wir mit dem IS reden?
Günther: Weil dies zum einen bedeutet, dass wir alle am Konflikt in Syrien beteiligten Parteien ernst nehmen. Und das bedeutet eben, nicht nur den Islamischen Staat, sondern auch die Nusra-Front als einen Akteur dieses Konfliktes ernst zu nehmen. Und das heißt, wenn man auf eine langfristige Lösung dieses Konfliktes zielt, dann muss man mit allen Akteuren in Verhandlung treten. Zweitens bedeutet das – das ist für mich der wichtigere Punkt –, sich von dem Begriff der Terrormiliz freizumachen und den Beschränkungen, die damit einhergehen. Das heißt, wenn man über den Islamischen Staat nachdenkt oder den Islamischen Staat betrachtete als eine soziopolitische Bewegung, das heißt als ein Konglomerat von ganz unterschiedlichen Gruppen und Individuen, die auch ganz unterschiedliche Interessen mitbringen, dann kann man durchaus Verhandlungspartner aufseiten des Islamischen Staates identifizieren, die valide politische und ökonomische Interessen mitbringen.

Verhandlungspartner identifizieren

Frenzel: Verstehe ich Sie richtig: So schlimm sind die gar nicht, die vom IS?
Günther: Na ja, in der Generalität würde ich das nicht so sagen. Ich würde sagen: Der Islamische Staat ist tatsächlich zusammengesetzt aus ganz unterschiedlichen Gruppen und Interessen und Individuen, die eben ganz unterschiedliche Interessen mitbringen, die aber vor allem ein Interesse einigt, und das ist die Ablösung der Regierung in Bagdad beziehungsweise in Damaskus. Und diesem Interesse haben sich diese sozusagen verschiedenen Gruppen und Individuen verschrieben und sich damit zusammengeschlossen.
Frenzel: Das Ziel eint viele, Assad muss weg. Aber die Frage ist ja doch entscheidend: Was kommt danach? Gibt irgendwas, was der IS anbietet politisch, wo man sagt, das soll eine Zukunft haben in Syrien?
Günther: Na ja, ich glaube, es würde den Verhandlungspartnern aufseiten des Westens oder aufseiten der Anti-IS-Koalition gut tun, bestimmte Verhandlungspartner aufseiten des Islamischen Staates zu identifizieren, die man aus der kolportierten Einheit des Islamischen Staates herauslösen kann. Das heißt also, sehen Sie den Islamischen Staat nicht als ein homogenes Gebilde, als das er sich gerne darstellt und als das er auch, wenn man ihn als Terrormiliz betrachtet, dargestellt wird, sondern eben als einen Zusammenschluss ganz unterschiedlicher Gruppen! Und das heißt, wenn Sie zum Beispiel die Stammesverbände in Syrien und im Irak betrachten, wenn Sie die ehemaligen Angehörigen der Baath-Partei im Irak betrachten, dann sind das Individuen, die vor allem auf politische Macht abzielen, eine ökonomische Partizipation in ihren jeweiligen Ländern und die man also entsprechend an Verhandlungen beteiligen kann.

Das Risiko bleibt

Frenzel: Wie können wir die denn erreichen? Also, wir haben einen Namen, eine Adresse beim IS, Herrn Baghdadi, der wird ja wohl kaum teilnehmen. Wer hätte denn ein Verhandlungsmandat überhaupt?
Günther: Na ja, über Verhandlungsmandate ließe sich tatsächlich für den gesamten Islamischen Staat nicht sprechen, das ist sicherlich richtig. Sondern man muss dann tatsächlich darüber sprechen, wer zum Beispiel aufseiten bestimmter Stammesformationen über die entsprechende Autorität verfügt, in Verhandlungen einzutreten für diejenigen, die er vertritt. Gleiches gilt auch für politische Kräfte, Gleiches gilt für Menschen, die als Notabeln in bestimmten Städten oder Regionen gelten und die mit der dementsprechenden Autorität vonseiten ihrer Gefolgsleute ausgestattet sind.
Frenzel: Wir haben ja das Beispiel Afghanistan, wir haben die Taliban, mit denen lange nicht geredet wurde, dann wurde mit ihnen geredet, auch ein bisschen nach dem Vorbild, wie es Ihnen vorschwebt, also dass man mit den Gemäßigten spricht. Da bleiben natürlich die Radikalen. Ist das nicht das Risiko, dass man die Bewegung dann zwar spaltet, aber immer noch weiter wie in Afghanistan Terror hat?
Günther: Das Risiko bleibt sicherlich, Herr Frenzel. Sie werden aber die Radikalen weder … oder den Einfluss der Radikalen weder minimieren, indem Sie mit der Bewegung reden oder indem Sie nicht mit der Bewegung reden. Die Radikalen werden sogar möglicherweise ihren Einfluss innerhalb der Bewegung steigern können, wenn Sie eben nicht versuchen, bestimmte Teile von seien es die Taliban, sei es die Nusra-Front, sei es der Islamische Staat anzusprechen und in Verhandlungen einzubinden.
Frenzel: Der Islamwissenschaftler Christoph Günther. Er plädiert für Verhandlungen nicht mit dem ganzen IS, aber doch mit Teilen. Ich danke Ihnen ganz herzlich für das Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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