Von Tuten und Blasen

Von Ruth Jarre · 26.04.2007
"Jedem Kind ein Instrument". Allen Grundschulkindern des Ruhrgebiets soll ab dem kommenden Schuljahr das Erlernen eines Instruments ermöglicht werden. Auf vier Jahre ist diese Initiative angelegt.
Die kulturelle Bildung mit Blick auf Essen/Ruhrgebiet als europäische Kulturhauptstadt 2010, lässt sich das Land Nordrhein-Westfalen 50 Millionen Euro kosten. Unterstützung erhalten die Lehrer dabei von den kommunalen Musikschulen. Die Teilnahme kostet 20 Euro im Monat. Für Kinder aus finanzschwächeren Familien wird es Stipendien geben.

"So, guten Morgen, Euch allen.
Guten Morgen, Herr Dettke."

"Musik kann ganz vieles. Ich glaub, dass es den Kindern was an die Hand geben kann, sich selber besser kennen zu lernen, sich was zuzutrauen, Fähigkeiten zu erlernen, um sich ausdrücken zu können. Also ich glaub, die Musik ist da einfach eine…nimmt eine wunderbare Funktion ein, Dinge zu erlernen, die wir sowieso alle im täglichen leben brauchen."

Tabea Zimmerann, Bratschistin. Schirmherrin und Botschafterin von "Jedem Kind ein Instrument".

26 Erstklässler sitzen also im Kreis, singen ihr JeKi-Begrüßungslied und sind ein bisschen aufgeregter als sonst, denn:

"Heute ist ein ganz besonderer Tag im Jeki, denn heute stellt sich heraus, was ihr im zweiten Schuljahr für Instrumente lernt. Alle, die noch keinen Zettel abgegeben haben, bitte ich, die mir jetzt zu geben…"

JeKi – in irgendeiner Sitzung hat mal jemand den Namen des Projekts "Jedem Kind ein Instrument" so abgekürzt, und jetzt heißt es so. Jeki, "wir haben jetzt JeKi", sagen auch die Kinder in dieser Grundschule in Bochum. Ina, Zoe, Zeran, Goran, Maurice und Bela sitzen mir gegenüber und zählen auf, welche Instrumente sie im 2. Jahr gern spielen möchten:

"Wir haben drei Wünsche frei: Trompete habe ich genommen, äh … Querflöte und Klarinette. Ich find eigentlich alle Instrumente gut, Gitarre und Geige, Gitarre, Trompete und Geige, ich habe Geiger, Querflöte und Gitarre, ich hab Gitarre genommen."

Was Ina, Zoe, Goran und die anderen so machen im "JeKi"?

"Wir sprechen über Instrumente und dann im zweiten Jahr dürfen wir auch spielen.
Wir malen Instrumente, wir müssen so Farben wissen, wie die aussehen.
Wir lernen auch Instrumente kennen.
Wir hören auch zwischendurch mal schöne Geschichten und wir basteln Instrumente.
Also da ist sone Dose u. dadrüber war dann noch son Stock und so Bänder, da haben wir dann drüber gestrichen und dann kam Musik.
Wir malen Sachen von Geschichten.
Peter und der Wolf: da ist son Peter und so ganz viele Tiere, die spielen Instrumente. Die Ente spielt Oboe …."

"Im Grunde haben die Kinder das schon toll gesagt: der Schwerpunkt liegt ja beim Instrumente-Kennenlernen, das machen wir eben durch das Selberbasteln von ähnlichen Instrumenten, durch selber Musikmachen, wir singen Lieder, die dazu passen, für Zuhause gibt’s Arbeitsblätter mit Bildern, zum Auflockern und Kennen lernen von Musik singen wir natürlich auch viel und tanzen auch – aber der Schwerpunkt liegt auf jeden Fall beim Instrumente-Kennenlernen und –Ausprobieren."

Frank Dettke ist Geigenlehrer an der Musikschule in Bochum und seit gut zwei Jahren unterrichtet er das erste JeKi-Jahr an der Grundschule in der Vöde in Bochum, betreut im zweiten Jeki-Jahr eine kleine Geigengruppe und eine gemischte Streichergruppe dort. Sein Chef an der Bochumer Musikschule ist Manfred Grunenberg, und der ist gewissermaßen der Vater des Projekts:

"Also richtig los ging es schon im Jahre 2000, als die Zukunftsstiftung Bildung der GLS Treuhand gegründet war, und diese Stiftung nun auf der Suche war nach Stiftungszwecken/Zielen. Und da kam die Stiftung auf die Musikschule zu mit der Frage, ob man mit Geld etwas Nachhaltiges, etwas Gutes, etwas Gründliches machen könne, ob man also einem Missstand abhelfen könne oder irgendwas besonders gut darstellen und gut machen könnte, gut weiterentwickeln könnte. Und wir als Musikschule kamen dann auf die Idee, dass die Verbindung zur Grundschule zu gering, ist, dass wir ja auch damit rechnen müssen, dass die Ganztagsschule irgendwann das gesamte Schulwesen erfasst, dass wir als Musikschule also eine Position dazu haben müssen, und dass die musikalische Arbeit mit Grundschulkindern im Alter der Grundschule in der Musikschule etwas angestaubt war."

Seitdem kommt die Musikschule in Bochum zu den Kindern in die Grundschulen. In der Schulzeit. Stellt allen Kindern ein Instrument zur Verfügung – und hat damit riesigen Erfolg, wenngleich wohl nie 100 Prozent aller Grundschulkinder teilnehmen werden.

"Alles. Musik kann beruhigen, kann aufregen, kann erfreuen kann traurig machen, also alle Gefühle werden durch die Musik angesprochen."

… Brockschmidt. Grundschuldirektorin und Musiklehrerin in Bochum.

Die Nachfrage steigt – und schon lange ist klar: das Projekt ist nicht nur toll, sondern auch teuer. Vor allem, wenn man bedenkt, dass zum Schluss rund 212.000 Kinder aller 1000 Grundschulen im Ruhrgebiet teilnehmen werden.

"Wir haben bisher für unsere Kinder, die also schon in dem Projekt drin sind, etwa 600 Instrumente gekauft, und davon sind etwa 150 Geigen. Also das ist grob geschätzt. Da wir jetzt ja auf das Ruhrgebietsmodell umsteigen und eben nicht mehr nur für ein Jahr Instr. brauchen, sondern für drei Jahre, werden wir schließlich eine Größenordnung von 4000 bis 5000 Musikinstrumente brauchen. Die wir dann nicht nur anschaffen müssen, das erste Problem, sondern auch regelmäßig warten müssen, das ist das zweite Problem, und irgendwann auch neu beschaffen müssen. also wir haben da einen permanenten Finanzbedarf, der uns noch viel Freude machen wird."

50 Millionen Euro kostet "Jedem Kind ein Instrument" bis zum Jahr 2010. Dann ist Essen samt Ruhrgebiet Kulturhauptstadt Europas – und das ist ein glücklicher Umstand. Für das Ruhrgebiet, und besonders für alle Grundschulkinder im Ruhrgebiet. Denn das Projekt "Jedem Kind ein Instrument" ist Teil der Kulturhauptstadt – und so bereits zu fast vier Fünfteln finanziert: Das Land Nordrheinwestfalen beteiligt sich mit zehn Millionen Euro, ebenfalls zehn Millionen kommen von der Kulturstiftung des Bundes, der größte Posten wird erwirtschaftet durch Elternbeiträge. 10 bis 35 Euro pro Monat. Wer allerdings kein Geld hat und keine Arbeit, der zahlt nichts.

Hortensia Völckers, Direktorin der Bundeskulturstiftung, war im vergangenen Sommer im Ruhrgebiet unterwegs, um ein Projekt zu suchen, das die Stiftung im Rahmen der Kulturhauptstadt fördern wollte. Sie hat sich 250 Unternehmungen angeschaut, viel Berührendes erlebt – und ganz am Schluss kam sie nach Bochum, sah "Jedem Kind ein Instrument" und war sofort überzeugt: diese Projekt…

"Ist natürlich das Geeignetste, wenn man flächendeckend was machen will. Weil das ist organisiert. Jede Kommune hat eben eine Musikschule. Die haben einen Verband, die sind organisiert und. Herr Grunenberg kennt die alle, also das konnte man relativ schnell umsetzen und da muss man nicht sich rechtfertigen künstlerisch oder inhaltlich, sondern das ist so eindeutig eine Maßnahme, die flächendeckend auch funktionieren wird, dass das der Grund ist, weshalb man sich entschieden hat, ansonsten kulturpolitisch ist es toll, es hat n ganz großen Charme. Und es passiert einem nicht sehr oft in einem beruflichen Leben, dass plötzlich alles funktioniert. Es ist die richtige Zeit, um so was zu machen, alle sind aufmerksam auf diesen Themen, wir hatten den politischen Halt von alle Seiten, jeder ist begeistert, wenn er das hört und wir müssen noch zwölf Millionen Euro aquirieren. Also das ist noch n ganz harter Weg, wo wir die einzelnen Bürger dazu bewegen müssen, dass sie 300 Euro spenden für diese Instrumente und große Unternehmen, also das ist noch n ganz komplizierter Weg."

Kulturelle Bildung ist das Zauberwort unserer Tage … endlich – und die Kinder profitieren davon. Auch nach 2010: Die Landesregierung hat ihre Unterstützung "für alle Zeit" zugesagt. Jackie, Kim, Lina und Annika gehen in die dritte Klasse und spielen Querflöte. Und ab Herbst wird es auch an ihrer Schule ein JeKi-Ensemble geben, mit allem, was so dabei ist: ein Ensemble Kunterbunt.

"An Querflöte macht mir am meisten Spaß, dass wir auch sehr viel spielen und dass wir auch neue Lieder kennen lernen und dass ich auch Lieder erfinde. Das macht mir Spaß!
Und mir gefällt, dass die Frau Schumacher uns manchmal Sachen bringt.
Wir kriegen auch manchmal CDs von ihr. Dann kann man daraus Lieder spielen, das finde ich sehr schön.
Als erstes kommen wir alle rein, dann machen wir erstmal ne kleine Erzählrunde und danach spielen wir n bisschen und sie erzählt uns noch n bisschen was, die gibt uns dann auch Töne."

"Musik kann mir glaube ich Ruhe schenken, Musik ist was sehr Kommunikatives, weil ganz viel Musik mit den anderen gemacht wird, wo eben ich nicht alleine bin, sondern mit anderen Musik mache, mich unterordne, mich zurücknehme, mal im Vordergrund stehe, das ist schon ne ganz wichtige Seite von Musik und Musikmachen.
Erfolge kann ich dadurch bekommen, kann ich Kindern vermitteln."

Sigrid Schumacher, Querflötenlehrerin und Abteilungsleiterin Blas- und Schlaginstrumente an der Musikschule Bochum.

So kann er sich anhören, der Erfolg: Rund 70 Kinder zwischen 9 und 14 Jahren spielen seit dem Herbst 2006 im Kinderorchester Ruhr. Geprobt wird in mehrtätigen Arbeitsphasen während der Schulferien, gerade hat die zweite Probenphase des Orchesters stattgefunden. Mitmachen können Kinder aus dem Ruhrgebiet, die schon ein bisschen weiter sind auf ihrem Instrument.

"Und dieses Orchester soll auch eine Vorbildfunktion haben für 'Jedem Kind ein Instrument', dass die Kinder, die in dieser Bewegung mitmachen, auch sehen, wo die Reise hingehen soll. Und diese Kinder sollen dann irgendwann auch eben in dieses Kinderorchester hineinwachsen."

Sagt Gottfried Engels, Kontrabassist der Düsseldorfer Sinfoniker und Professor für Kontrabass an der Musikhochschule in Köln. Er leitet das Orchester. Ihm ist es wichtig, dass die Kinder lernen, kreativ zu sein – und ganz nebenbei erarbeiten sie sich im Ensemble noch viele andere Fertigkeiten:

"Wenn man im Orchester spielt muss man mindestens vier Sachen gleichzeitig machen. Das ist das berühmte Multitasking, schönes deutsches Wort, man muss in die Noten gucken, man muss den Dirigenten sehen, man muss die Nachbarn hören und die anderen Stimmen hören und man muss sein eigenes Instrument hören, und dann muss man's auch noch spielen. Da lernt man ne ganze Menge einfach dadurch, dass man's macht."

Am besten gefällt den Kindern, dass sie im Orchester mit anderen gemeinsam musizieren, das macht viel mehr Spaß als alleine zu üben. Marlena ist neun Jahre alt und spielt im Kinderorchester Ruhr Horn. Sie findet es schade, dass so wenige Kinder in ihrer Klasse ein Instrument spielen

"Weil die kriegen auch nicht richtig mit, wie das sich anfühlt und wie schön das ist. Also dass sie mal gucken sollten wie das denn ist, weil es soll ja auch keiner gezwungen werden Instrument zu lernen, aber sie sollten schon mal gucken. wie das so ist."

"Es stellt sich mehr die Frage: Was kann Musik nicht. Für mich es ist fast alles drin, was man erwarten kann von Live-Experience. Natürlich, man kann mit Musik nicht essen … und vor allem wichtig ist bei diesem Projekt 'JeKi', dass die Kinder werden erfahren und lernen, wie man ein Leben bereichern kann. Das Leben beginnt und endet nicht nur mit wie man über den Tag kommt. Die Frage des wie füllen wir unsere Leben mit bedeutenden Sachen und ich finde gerade so ein Programm genau richtig für so was."

Steven Sloane, Leiter der Bochumer Sinfoniker und künstlerischer Direktor des Themenfeldes "Stadt der Künste" zur Kulturhauptstadt 2010.

Und Ina, Zoe, Goran und die anderen Jeki-Kinder aus dem ersten Jahr? Welche Instrumente dürfen sie ab dem zweiten Jahr spielen?

"Also: es wird ziemlich sicher eine Gitarrengruppe geben, …"