Von Scheinzwergen und Möchtegernriesen

Von Matthias Lohre · 04.08.2008
In der Augsburger Puppenkiste gibt es die Figur des Scheinriesen. Wenn er am Horizont zu sehen ist, sieht er gewaltig aus. Doch je näher er kommt, desto mehr schrumpft er. Mit FDP und Grünen ist es genau umgekehrt. Je näher man rangeht, desto größer wirken sie.
Denn über künftige Koalitionen werden die beiden Großen, Union und SPD, weit weniger entscheiden als die kleinen Parteien. FDP und Grüne werden wegen der drückenden Mehrheit der Großen Koalition zwar kaum wahrgenommen. Doch von den vermeintlichen Zwergen hängt ab, wie sich Deutschland in den kommenden Jahren entwickeln wird.

Derzeit sieht alles danach aus, dass beide Zehn-Prozent-Parteien nach der nächsten Bundestagswahl mitregieren werden. Denn die Möchtegern-Volksparteien sind längst nicht mehr groß genug, um mit nur einem kleineren Partner zu koalieren. Sofern die Große Koalition keine Fortführung erlebt, wird ihr ein Dreierbündnis folgen. Entweder eine Ampel-Koalition mit der SPD oder ein Jamaika-Bündnis inklusive der Union.

Grüne und FDP hätten die Wahl. Sie können sich von SPD oder CDU auseinanderdividieren lassen. Das würde sie gegenseitig lähmen - und der größte Koalitionspartner wäre der lachende Dritte. Oder aber die beiden Lieblingsfeinde verbünden sich, um sich so gegenseitig zu stärken. Nach dem Motto: Gönne ich Dir mehr Geld zur Förderung regenerativer Energien, unterstützt Du mich beim Subventionsabbau.

Der Haken ist nur: Die einstige Spaßpartei und die Möchtegern-Ökos verbindet seit Jahrzehnten eine innige Hassliebe. Legendär ist die Antipathie zwischen den Alphatieren beider Parteien. Guido Westerwelle beispielsweise wird nachgesagt, er ertrage es nicht, mit dem einstigen Umweltminister Jürgen Trittin an einem Tisch zu sitzen. Aber das hat ja nicht wirklich etwas mit politischen Inhalten zu tun.

Nur auf den ersten Blick trennt FDP und Grüne noch immer ein tiefer Graben: Hier die Liberalen im Maßanzug, die nach mehr Eigenverantwortung rufen und Sozialleistungen für ein süchtig machendes Übel halten. Dort die angegrauten Grünen, die Umwelt und Minderheiten schützen wollen, aber kaum Gespür für Wirtschaft haben.

Wer genauer hinschaut, dem offenbaren sich große Gemeinsamkeiten, und in einer Dreierkoalition könnten sie sich in ihnen bestärken. Nicht nur zum eigenen Nutzen, sondern zu dem des ganzen Landes. Bestes Beispiel: die Bürgerrechtspolitik.

Die CDU-SPD-Regierung schränkt das Recht der Bürger, selbst über persönliche Informationen zu bestimmen, zunehmend ein. Während die großen Parteien immer mehr Telefon-, Internet- und Personendaten speichern wollen, setzen FDP und Grüne auf das Recht auf Privatheit. Das mögen sie unterschiedlich begründen, aber im Ziel sind sie sich einig. Gemeinsam könnten sie weitere Einschnitte bürgerlicher Freiheiten verhindern, allein niemals.

Ein weiteres Beispiel ist die Finanzpolitik. Fast vergessen ist mittlerweile, dass zu Zeiten von Gerhard Schröder es die Grünen waren, die am lautesten auf einen ausgeglichenen Haushalt pochten. Wenn es ums Geld geht, verstehen sich die Finanzexperten von FDP und Grünen seit langem bestens. Anders als die breiter aufgestellten Regierungsparteien müssen sie sich nicht sorgen, auch ja alle Interessengruppen mit Milliardensummen zufrieden zu stellen.

Zugegeben, es gibt auch weiterhin Unterschiede zwischen den Scheinzwergen, bei Bildung und Forschung zum Beispiel. Doch der größte Unterschied ist nicht inhaltlicher, sondern emotionaler Natur. Bei der FDP fühlen sich vor allem Männer, Gewerbetreibende und Landbewohner zu Hause, die Grünen hingegen ziehen vorwiegend Akademiker und Großstädter an, darunter viele Frauen.

Auch dieser mentale Graben lässt sich überbrücken. Grüne und FDP haben prozentual weit mehr junge Mitglieder als die so genannten Volksparteien. Dieser Nachwuchs hat immer weniger Verständnis für die Hassliebe der Parteigrößen. Wer heute unter 30 ist, den befremdet das Revierverhalten von Westerwelle und Trittin. Die Jungen sind längst so pragmatisch und flexibel, wie es ein Fünf-Parteien-System mit wechselnden Bündnissen nun mal erfordert. Der heutige Chef der Jungen Liberalen beispielsweise war als Teenager bei den Grünen.

Und vielleicht steckt hinter der liebevoll gepflegten Abneigung von Westerwelle und Trittin ja auch gar kein Unterschied, sondern eine Gemeinsamkeit: Beide verstehen sich als Platzhirsche, jeder würde lieber heute als morgen Außenminister werden. Beide haben ihre Karriere im Gefühl aufgebaut, gegen einen ideologischen Gegner zu kämpfen. Das klare Feindbild ist ihnen mittlerweile weg gebrochen.

Die politische Nähe der beiden Scheinzwerge jedenfalls ist evident. Jetzt müssen sie es nur noch einsehen.

Matthias Lohre, Jahrgang 1976, ist politischer Journalist. Nach einem Studium der Geschichte und der Anglistik in Köln und einem längeren New-York-Aufenthalt 2001 besuchte er die Berliner Journalisten-Schule. Anschließend arbeitete er unter anderem für die Frankfurter Rundschau, den Tagesspiegel und Deutsche Welle TV. Seit 2005 ging er als Politikredakteur zur taz, seit 2008 ist er dort Parlamentskorrespondent.
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