Von Maximilian Steinbeis

03.07.2012
In der Neuen Zürcher Zeitung gibt es "nichts Neues". Die "Frankfurter Rundschau" und die "taz" bereiten das Kölner Beschneidungsurteil nach. Die "Welt" und die "FR" rezensieren Calixto Bieitos Stuttgarter Inszenierung der Rameau-Oper "Platée". Außerdem wird der Film "Ice Age 4" besprochen.
Was ist das für eine Zeitung, die sich traut, ihren Feuilletonteil mit der Nachricht aufzumachen, es gebe nichts Neues? So auf ihre Newsprint-Funktion zu pfeifen, traut sich nur die älteste aller überregionalen Zeitungen des deutschsprachigen Raums, die 1780 gegründete und dennoch NEUE genannte ZÜRCHER ZEITUNG.

"Nichts Neues über Newton" gebe es zu berichten, lässt die NZZ voll alliterativem Spieltrieb ihre Leser wissen. Von der Helmut-Newton-Ausstellung im Grand Palais zu Paris braucht man, glaubt man dem NZZ-Rezensenten Marc Zitzmann, überhaupt nicht Notiz zu nehmen, denn es handelt sich um einen "Allerwelts-Überblick" voller "dekorativer Arrangements", deren "Hängung einzig und allein dem Prinzip der Symmetrie zu gehorchen scheint."

Aber die NZZ wäre niemals so alt geworden, besäße sie nicht die Professionalität, den Lesern trotzdem einen Grund zum Hingucken zu geben, genauer deren fünf: Ölig glänzend, muskelschwellend, nackt bis auf den knappen Slip, fünf – so die ganz un-NZZ-hafte Bildunterschrift – "heiße Jungs" sowie zwei "kühle Mädchen" am Pool arrangiert auf Newtons Klassiker "Stern, Los Angeles" von 1980, über eine halbe Seite abgedruckt. Wer braucht da noch was Neues.

Helmut Newtons perfekte, leblose Körper: das stößt sich hart mit dem Dauerthema dieser Woche, der feuilletonistischen Aufarbeitung des Kölner Beschneidungs-Urteils. Und doch geht es auch dabei um den Körper, den eigenen Körper, wie der irakische Schriftsteller Najem Wali im Alter von 12 Jahren buchstäblich am eigenen Leib erfahren hat und in der TAZ auf das Eindringlichste beschreibt:

"Nein, es war keine Beschneidung, es war meine erste Begegnung mit der Folter. Ich habe geschrien, aber vergeblich. Mein Schrei ging in den Tränen unter, die mir über das Gesicht liefen."

In der FRANKFURTER RUNDSCHAU stellt dagegen der Münsteraner Mediävist Thomas Lentes die Gleichsetzung von Körpereingriff und Verstümmelung mit Nachdruck in Frage. "Über Jahrhunderte, wenn nicht Jahrtausende gehörte der Eingriff am eigenen Körper zum unhinterfragten Kernbestand von Religion und wird erst seit der Neuzeit – nicht zuletzt durch ein verändertes Körperverständnis – zunehmend infrage gestellt und abgelehnt."

Alle möglichen Kulturen bestünden darauf, den "nackten Körper des Babys" kulturell und religiös zu überformen und ihm dadurch erst "Humanität und Integration in die kulturelle und religiöse Gruppe" zuzuschreiben. "Wie beim Binden der Füße in asiatischen Kulturen, dem des Kopfes in manchen afrikanischen, der kulturellen Manipulation der Ohren und dem Stechen von Tätowierungen in vielen Kulturen wird auch bei der Beschneidung eines angestrebt: die kulturell-religiöse Perfektionierung des Körpers, und keineswegs dessen Verstümmelung!"

Wer sich bei diesem Thema unwohl fühlt, der sollte vielleicht besser Calixto Bieitos Stuttgarter Inszenierung der Rameau-Oper "Platée" fernbleiben, denn dort wird, wie wir bei Manuel Brug in der WELT lesen, "eifrig an Jupiters monströsem Eselsplastikpimmel gezogen, bis sich die Allongeperücke seines Trägers noch steiler aufstellt." Dem Welt-Kritiker indessen hat der Abend sehr gefallen, ebenso Joachim Lange, der in der FRANKFURTER RUNDSCHAU dem "einstigen Bühnenbrutalo" Bieito auf das Heftigste applaudiert:

"Dass Barock rockt, ist längst Allgemeingut. Dass Barock auch poppt, war bei Bieito zu erwarten. Da gab es dann einen echten Busenalptraum als Bacchus und einen falschen, schlaff hängende Riesenpimmel für den balzenden Jupiter, Kondome zum Aufblasen für die auf Schabernack versessenen Spielmacher" (…), und, so jubelt FR-Autor Lange, "dieses ganze Drum und Dran zündet unmittelbar, weil es die abgeklärte Anything-goes-Mentalität von heute mit der Frivolität des französischen Adels kurzschließt."

Jetzt bleibt uns keine Zeit mehr für die Würdigung des soeben angelaufenen Films Ice Age 4, den Kritiken in der FRANKFURTER ALLGEMEINER ZEITUNG und TAZ nach zu schließen eine womöglich noch größere Albernheit als Bieitos Popp-Oper, aber wir haben noch Platz für folgende, von Andreas Platthaus in der FAZ zitierte Sentenz eines der Protagonisten dieses Films, des Faultiers Sid: ""Dinosaurier und Eiszeit, das ergibt keinen Sinn", erklärt Sid einmal seiner Oma, "macht aber Spaß"."