Von André Hatting

04.02.2006
Der Wochenrückblick auf die Feuilletons listet noch einmal die prägenden Themen auf, die da sind: die Integrationsdebatte, der Streit um die Mohamed-Karikaturen und um Meinungsfreiheit, die Stasi-Affäre von Regisseur István Szabó sowie der 100. Geburtstag Dietrich Bonhoeffers.
Schon der flüchtige Rückblick macht klar, die Feuilletons interessierte in der vergangenen Woche vor allem das Thema Integration.

"Die Kommunikation der Kinder bedarf einer lingua franca", fordert in der FRANKFURTER ALLGEMEINEN ZEITUNG Nordrhein-Westfalens Minister für Integration, Armin Laschet. Und welche ist die moderne freie Sprache? Englisch? Falsch:

"Das ist eben Deutsch."

Behauptet der CDU-Politiker. Er meint die lingua franca des Schulhofes. Die TAGESZEITUNG jongliert mit Begriffen wie "Akkulturation" und "Rechtskonformität". Integration definiert sie ganz einfach als "Identifikation mit Deutschland" und vermisst ein Wort von der neuen Staatsministerin für Integration im Kanzleramt.

Die Integrationsdebatte in Deutschland habe boulevardeske Züge, schimpfen sechzig Wissenschaftler in der Wochenzeitung DIE ZEIT. Sie fordern deshalb in einem offenen Brief "Gerechtigkeit für Muslime!".

Unsere Politik sei geprägt von Vorurteilen. Schuld seien Muslime. Genauer: Wissenschaftler türkischer Abstammung. Wie zum Beispiel Necla Kelek. Ihr Buch "Die fremde Braut" trivialisiere die Diskussion um die Integration. Kelek sei in ihrer Dissertation zum Thema Zwangsheirat zu gegenteiligen Erkenntnissen gekommen, als denen, die sie später in ihrem Buch dem breiten Publikum unterbreitet habe. Und das, obwohl das Interviewmaterial stellenweise dasselbe gewesen sei, empören sich die Unterzeichner des Offenen Briefes. Der sei, schreibt wiederum Harry Nutt in der FRANKFURTER RUNDSCHAU:

"Ausdruck eines Kampfes um Deutungshoheit, der jedoch nicht im Feld von Medienkampagnen gewonnen werden kann."

Um die Wochenmitte tauchte dann der Prophet Mohammed auf, mit grimmigem Antlitz, in seinem Turban eine Bombe: Nach der FAZ im November druckt nun auch die Zeitung DIE WELT einen Teil der zwölf umstrittenen Karikaturen. Auf ihrer Titelseite. Der Kulturteil sekundiert mit einer kleinen Reihe. Am Samstag hat Werner Thissen, Erzbischof von Hamburg, das Wort. Er findet, dass "eine solche Karikatur (…) mit Witz und Humor wenig zu tun (hat). Sie ist Religionskritik pur", schreibt der Geistliche in der WELT und ergänzt:

"In dieser Karikatur lese ich vor allem die Angst und die Ohnmacht des Zeichners."

Die FRANKFURTER ALLGEMEINE ZEITUNG fordert eine europaweite Solidarität der Tageszeitungen - gleichsam den Aufstand durch Abdruck:
"Tatsächlich ist in dieser Phase der Eskalation, in der wir seit der erzwungenen Entschuldigung der dänischen Zeitung stehen, nicht Kuschen, sondern Publizieren der gebotene Schritt zur Deeskalation."

Ob dieser Schritt wirklich geboten ist, leidet mittlerweile einigen Zweifel angesichts der Massendemonstrationen in aller Welt, gestürmten UN-Vertretungen und Morddrohungen gegen Redakteure. In der SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG stellt Heribert Prantl in seinem Artikel "Streitkultur ist Leitkultur" die Frage:

"Kann es wirklich sein, dass es von der Militanz der Anhänger einer Religion abhängt, ob Gotteslästerung bestraft wird oder nicht? Dann wäre es in deutschen Gerichten künftig so, das die Beleidigung des christlichen Gottes und der Heiligen straflos bliebe, weil sich die Christen heutzutage kaum noch militant aufführen."

In der ZEIT lesen wir eine wunderbare Reportage. Katja Nicodemus nimmt uns mit auf eine Expedition durch die Teheraner Filmszene. In ihr regierten Gegensätze und Widersprüche. Eines aber verbinde alle:

"Diese Entschlossenheit, trotz allem die Filme zu machen, die man will"."

Wir dürfen gespannt sein. Am Donnerstag beginnt die Berlinale. Auch iranische Filmautoren werden dort ihre Arbeiten zeigen.

Gegen Ende der Woche beschäftigt ein Spitzelfall die Feuilletons. Ausnahmsweise einmal kein IM der Stasi. Es geht um Ungarns Geheimdienst und die Rolle des Filmregisseurs und Oscar-Preisträgers István Szabó darin. Die SÜDDEUTSCHE ZEITUNG erklärt, dass Szabó Teil einer ganzen Enttarnungswelle sei. In den vergangenen Jahren seien viele Künstler, Sportler und Journalisten als Informanten der ungarischen Staatssicherheit entlarvt worden. Im TAGESSPIEGEL bemerkt Christiane Peitz:

""Ungarn bleibt cool"."

Das kann man von Wolfgang Sandner in der FAZ nicht behaupten.

""Wo bleibt die Debatte?"

Schleudert er den Lesern entgegen.

Das Samstagsfeuilleton, vor allem das Berliner, würdigt den Theologen und Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer. Vor einhundert Jahren wurde der Pfarrer in Breslau geboren. Am 9. April 1945 richteten ihn die Nazis im KZ Flossenbürg hin. In seinem Bonhoeffer-Porträt für den TAGESSPIEGEL schreibt Thomas Lackmann:

"Der Mann, nach dem mehr protestantische Häuser, Kirchen, Institute benannt sind als nach irgendeinem anderen modernen Heiligen, ist für deutsche Bürger, für evangelische Christen nach 1945 zur Verkörperung ihrer besseren Geschichtegeworden: eine vielfältige Projektionsfigur."

Die FRANKFURTER RUNDSCHAU lädt ihre Leser zu einem interessanten Vergleich ein. Markus Brauck geht es bei seiner Gegenüberstellung von Susanne Osthoff und Ursula von der Leyen vor allem um deren verwandeltes Bild in den Medien. Die Journalisten würden sich langweilen. Entführungsopfer Osthoff und Karrierefamilienmutter von der Leyen seien die Ventile dieses journalistischen Dégoûts. Die neue Rolle von der Leyens in den Medien sei, schreibt der Autor,

"ein erster Verweis darauf, dass alles Gerede darüber, es herrsche ein neuer Ernst in der Mediengesellschaft und es seien plötzlich Emotionen nicht mehr so wichtig wie Inhalte, großer Käse ist."