Vom Hippie zum Manager

13.05.2008
Roman-Protagonist Michel blickt zurück auf seine Flucht aus der westdeutschen Provinz der 60er und 70er Jahre. Er beschreibt seine weiten Reisen, seine Erfahrungen mit Drogen - und seine Mutation vom Hippie zum Manager. Georg Meier ist mit "Alle waren in Woodstock - außer mir und den Beatles" ein moderner Schelmenroman gelungen.
"Woodstock", "Beatles" – schon im Titel flirren die Signalwörter, die das Themenfeld dieses Romans genau abstecken. Rebellion, sex and drugs …, 68, all das. Es irritiert natürlich ein wenig, dass da eigentlich von Abwesenheiten geredet wird, aber alles klärt sich schnell, denn das geografische Zentrum dieses Romans ist die hessische Stadt Gießen. Hier wurde der Ich-Erzähler Michel kurz nach dem Zweiten Weltkrieg geboren, hier verbrachte er seine Jugendjahre, hierhin kehrte er aber auch immer wieder zurück, wenn ihn seine geistigen, realen und psychedelischen Ausfahrten gleichsam zurück an den Strand warfen.

Insofern signalisiert dieser Romantitel genau das Richtige, nämlich jene Diskrepanz, die zwischen dem Hochsymbolischen der großen Worte und seiner Ausformung in der (altbundes-) deutschen Provinz bestand. Wo ließe sich das alles besser darstellen als im "Fußvolk" des Aufbruchs, in der Schicht jener "Aussteiger", "Gammler", "Beatniks", "Hippies" oder - o ja - "Junkies", die diesen Aufbruch auf ihre Weise gelebt haben? Diffus links in politischer Hinsicht, aber doch getrieben von einem heftigen existenziellen Druck, der sich aus den Lebensumständen, den Eltern, den Zuständen insgesamt speiste, fand dieses "Fußvolk" für sich vor allem die eine Formel: Raus hier!

Und so handelt dieses Buch über weite Strecken von den ausgedehnten Reisen des Romanhelden Michel. Wie er zunächst durch Europa (Marseille, Amsterdam, London, Barcelona u. a.) trampt und dann seine Touren weiter ausdehnt (Afghanistan, Indien). Wie er, der "ausgestiegene" gelernte Koch, auf diesen Reisen Bekannte, Freunde, Mädchen findet und manchmal auch auf die Polizei trifft oder sie auf ihn. Wie er zu Drogen kommt, mit denen er zuweilen dealt, um sein Leben und seine Reiseunternehmungen zu finanzieren. Welche Musik (mit genauen Titelangaben) er in dieser oder jener Phase besonders einschneidend fand, welche politischen oder sonstigen Themen in welcher Kneipe (an all den Orten) besonders angesagt waren, welche Drogen in welcher Form wo genommen wurden – all das erfährt man in diesem Roman, dargelegt in epischer Breite.

In dieser Breite liegt das Manko des Romans, aber es wird aufgefangen durch den selbstironischen, oft schnurrig-aphoristischen Ton der Erzählung. Denn dieser sich erinnernde Ich-Erzähler referiert sein Leben aus deutlicher Distanz zu seiner Vergangenheit: Eine neuerliche und zeitnahe Reise an die alten Orte – es ist die zweite Ebene des Romans – ruft diese Erinnerungen wach. Freilich ist aus dem "Hippie" von einst offenbar ein rechter "Geldsack" geworden, der von der Auto- bis zur Unterwäsche-Marke nur die feinsten Adressen gelten lässt und der durchaus von den Neurosen des Wohlstandsbürgers geschüttelt wird. Kann das sein, wie geht das zusammen?

Es geht im gleichen Maß zusammen, wie ein Angehöriger der Frankfurter Stadtguerrilla Außenminister Deutschlands werden konnte (Joschka Fischer, erwähnt im Roman). Der letzte Teil zelebriert in knappen Passagen den Aufstieg des "Hippies" zum "Manager" eines kleinen Imperiums aus Kneipen, Restaurants, Spielautomaten und Immobilien. Ein überraschendes Romanende stellt dann praktisch die gesamte Geschichte auf den Kopf, widerruft große Teile des Erzählten und unterstreicht damit die selbstironische, burleske Tendenz dieses modernen Schelmenromans.

Rezensiert von Gregor Ziolkowski

Georg Meier: Alle waren in Woodstock - außer mir und den Beatles
Roman

Dittrich Verlag, Berlin 2008
484 Seiten, 22,80 Euro