Völkerbund der Literaten

Von Christian Linder · 05.10.2006
Am 5. Oktober 1921 beschlossen 41 Autoren in London , sich zu einem Club zusammenzuschließen. Heute sind die PEN-Zentren in über 100 Ländern vertreten und engagieren sich für Frieden und Meinungsfreiheit.
Die 41 Autoren, die am 5. Oktober 1921 in London einer Dinner-Einladung ihrer Kollegin Catherine Dawson-Scott folgten, waren sich bald einig und gründeten im Laufe des Essens einen Club, den sie "PEN" nannten, und diese drei Buchstaben standen für "Poets, Playwrights, Editors, Essayists und Novelists", für Dichter, Dramatiker, Herausgeber, Essayisten und Romanschreiber.

Catherine Dawson-Scott, die die meisten Dinner-Teilnehmer, nach einem ihrer frühen poetischen Stücke, liebevoll "Sappho" nannten, schwebte kein weiterer Club nach alter englischer Tradition vor. Sie hatte sich während des Ersten Weltkriegs und dann vor allem nach Ende des Krieges in der Friedensbewegung engagiert. Hätten in den Jahren 1914 bis 1918 Frauen in der ganzen Welt ihren Einfluss geltend machen können, schrieb sie, wäre es nicht zum Krieg gekommen. Gegen Militarismus, Rassen- und Völkerhass, gegen Resignation und Reaktion hoffte sie, neue Zeichen zu setzen. Der zu gründende PEN-Club, träumte sie, könnte als eine Art "Völkerbund der Literaten" agieren. Die Charta, auf die sich die Dinner-Teilnehmer schnell einigten, war eindeutig:

Die Mitglieder des PEN-Clubs verpflichten sich, jeder Art der Unterdrückung der Äußerungsfreiheit in ihrem Lande oder in der Gemeinschaft, in der sie leben, entgegenzutreten, ebenso auch in der übrigen Welt, soweit dies möglich ist. Der PEN erklärt sich für die Freiheit der Presse und verwirft die Zensurwillkür überhaupt, und erst recht in Friedenszeiten.

Er ist des Glaubens, dass der notwendige Fortschritt der Welt zu einer höher organisierten politischen und wirtschaftlichen Ordnung hin eine freie Kritik gegenüber den Regierungen, Verwaltungen und Einrichtungen gebieterisch verlangt. Und da Freiheit auch freiwillig geübte Zurückhaltung einschließt, verpflichten sich die Mitglieder, solchen Auswüchsen einer freien Presse, wie wahrheitswidrigen Veröffentlichungen, vorsätzlicher Lügenhaftigkeit und Entstellung von Tatsachen, unternommen zu politischen und persönlichen Zwecken, entgegenzuarbeiten.


Der Traum der 41 Londoner Dinner-Teilnehmer, ihr Club möge sich überall auf der Welt verbreiten, erfüllte sich bald. 1923, dem Jahr des 1. Internationalen PEN-Kongresses, gab es bereits in elf Ländern ein PEN-Zentrum und fünf Jahre nach der Gründung fünfundzwanzig Sektionen, darunter auch in Deutschland. In Berlin traf sich die PEN-Vereinigung 1926 zu ihrem mittlerweile 4. Internationalen Kongress. Die Zeichen standen aber auf Sturm. Denn vielen jüngeren deutschen Autoren wie Bertolt Brecht, Joseph Roth, Robert Musil oder Kurt Tucholsky erschien der Club nur als eine Altherren-Verbindung. Brecht polemisierte in der Zeitschrift "Die literarische Welt":

"Ich glaube, dass die Berliner Tagung des PEN-Clubs unter dem Zeichen des Festessens stehen wird, über das, was die alten Leute erreichen könnten, habe ich nicht erst nachgedacht. Sie haben so bewusst alles Junge ausgeschlossen, dass diese Tagung jedenfalls absolut hoffnungslos überflüssig und schädlich ist."

Rivalitäten, auch politische Auseinandersetzungen untereinander spielten in diesem intellektuellen Club der Individualisten, in den Autoren nicht eintreten, sondern nur hinein gewählt werden können, immer eine große Rolle. Doch die noch größere Rolle spielten dann die tatsächlichen politischen Ereignisse in Europa: In Deutschland waren die Nationalsozialisten an die Macht gekom-men, da stand ein Kongress in Dubrovnik an, zu dem eine deutsche Delegation erschien, die von dem englischen Autor und damaligen Generalsekretär des Internationalen PEN Hermon Ould direkt gefragt wurde:

"Hat der deutsche PEN-Club gegen die Verfolgungen von Intellektuellen protestiert und hat man auf die Bücherverbrennung reagiert? Ist es zutreffend, dass man Briefe an Mitglieder geschrieben und ihnen mitgeteilt hat, diejenigen, die kommunistische oder linksradikale Ansichten vertreten, könnten sich nicht mehr als Mitglieder des Clubs betrachten?"

Der Neuanfang nach 1945, in Zeiten des Ost-West-Konflikts, der innerhalb des deutschen PEN-Clubs zur Gründung eines west- und eines ostdeutschen PEN-Zentrums geführt hatte, war schwierig. Erich Kästner, 1952 auf der ersten Ta-gung des westdeutschen PEN-Zentrums zum Präsidenten gewählt, zog aus der Geschichte die Konsequenz:

"Freiheit und Friede - wir alle haben erfahren und erfahren täglich aufs Neue, dass man diese Worte und Werte abnützt und mit Füßen tritt. In der PEN-Charta haben Freiheit und Frieden ihren alten und unveräußerlichten Sinn behalten. Resignation ist kein Gesichtspunkt."

Das 20. Jahrhundert, meinte Heinrich Böll, von 1971 bis 1974 Präsident des Internationalen PEN-Clubs, wenn es einmal einen Namen bekommen sollte, müsste das Jahrhundert der Flüchtlinge genannt werden. Diese Flüchtlingsgeschichte hat auch die Geschichte des PEN-Clubs mitgeschrieben, ablesbar allein in den vielen Gründungen von sogenannten Exil-PEN-Clubs, in denen sich aus ihren Ländern vertriebene Autoren zusammenschlossen - wenn ihnen die Flucht gelang.

Als bedeutendste Institution des PEN-Clubs gilt das Komitee "Writers in prison", das sich für wegen ihres Engagements inhaftierte Autoren einsetzt. Geschichtliche Erfahrung, meinte Siegfried Lenz, rate Schriftstellern, "das Wort zu nehmen", und ein Wort zu nehmen, sei gleichbedeutend mit Handeln, wenn man den Frieden bedroht sehe. Dass dieses "Wort nehmen" überall in der Welt für Autoren aber gefährlich ist, weil sie dafür in vielen Ländern immer noch Gefängnisstrafe riskieren, erklärt die Existenznotwendigkeit des PEN-Clubs.