Virtuelles Wasser

Peter A. Wilderer im Gespräch mit Stephan Karkowsky · 19.08.2008
Derzeit findet die sogenannte World Water Week in Stockholm statt. Der Brite John Anthony Allan wird dort für eine Methode ausgezeichnet, mit der sich errechnen lässt, wie viel Wasser beispielsweise eine Rose aus Tansania verbraucht, bis sie beim europäischen Verbraucher ankommt. Der Wissenschaftler Peter A. Wilderer forderte, die Methode in Zukunft in politische Entscheidungsprozesse einzubeziehen.
Stephan Karkowsky: Wasser kommt bei Ihnen und bei mir aus der Leitung und es ist so billig, dass nur wenige von uns sparsam damit umgehen. Gerade mal 30 Cent kosten 100 Liter Leitungswasser in Berlin mit feinster Trinkwasserqualität. Anderswo auf der Welt verdursten Menschen, 34.000 Tote täglich, weil Seen und Flüsse austrocknen und Landschaften veröden. Und oft sind wir da nicht ganz unschuldig dran. Wie viel Wasser in allem steckt, was wir zu Hause haben, das lässt sich nun durch eine Methode namens Virtual Water ausrechnen. Für diese Erfindung bekommt ein Brite nun quasi den Wasser-Nobelpreis in Stockholm auf der World Water Week. Zu dessen Vorgängern als Preisträger zählt Professor Peter A. Wilderer, Emeritus für Wasserwirtschaft an der TU München. Guten Tag!

Peter A. Wilderer: Guten Tag, Herr Karkowsky!

Karkowsky: Bevor wir uns von Ihnen das Virtual-Water-Modell erklären lassen, reden wir erst mal über Ihre eigene Erfindung. Sie haben ein Recycling-System entwickelt zur Trinkwasseraufbereitung. Das wird jetzt sogar in den neuen Riesenjumbos eingebaut, den A380, damit die erste Klasse immer frisches Wasser zum Duschen hat. Ich nehme mal an, Sie haben es nicht extra dafür erfunden, oder?

Wilderer: Nein, nein. Und ich bin auch nicht sicher, ob das wirklich eingesetzt wird. Das hängt ja von den Airlines ab, ob die das wollen oder nicht. Aber mir ging es eigentlich bei dieser Entwicklung darum, eine Alternative zu finden für die Entnahme von Wasser aus der Natur. Und das ist für Großstädte, die rasch wachsen, Großstädte halt ein dringendes Problem, den zunehmenden Wasserverbrauch in diesen Städten zu begrenzen, sodass die Natur, die Gewässer, die Wassergüter in den Gewässern Schaden leidet.

Karkowsky: Was kann denn Ihr System besser, als andere herkömmliche Wasseraufbereitungssysteme?

Wilderer: Die Vorgabe war, dass der Passagier, der diese Dusche benutzen will, mit 15 Litern auskommen muss, dass er aber duschen kann, solange er will. Und es soll aus dem Duschkopf nicht nur tröpfeln, sondern richtig einen Strahl geben.

Karkowsky: Und zwar in Trinkwasserqualität.

Wilderer: Trinkwasserqualität, also es soll nicht schäumen, und es lässt sich also nur dadurch erreichen, dass man das Wasser unten sammelt, aufreinigt und dann wieder zurückführt. Und die zweite Schwierigkeit war, es gibt keinen Platz, um die Reinigung durchzuführen im Flugzeug.

Karkowsky: Da haben Sie also was Kompaktes entworfen.

Wilderer: Also, man muss auf höchst engem Raum etwas machen und es ist uns gelungen, dieses zu erreichen durch eine Kombination aus Membranfiltration und Aktivkohleeinsatz.

Karkowsky: Ist denn das Hauptproblem in den wasserarmen Gebieten, dass es dort kein Trinkwasser gibt oder dass es überhaupt kein Wasser gibt? Denn Wasserrecycling braucht ja zumindest irgendetwas, was es recyceln kann.

Wilderer: Also, es hängt natürlich sehr stark von der klimatischen Situation ab. Das größte Problem meine ich ist, wie ich schon gesagt habe, in den rasch wachsenden Großstädten, da gibt es schon Wasser, aber es gibt halt nicht genug Wasser, um die immer größer werdende Zahl von Verbrauchern zu befriedigen. Und da ist eine Wasserwiederverwendung eben die Möglichkeit, die man einsetzt, Wasserwiederverwendung also beispielsweise zur Toilettenspülung oder zum Waschen oder zum Reinigen oder auch meinetwegen zum Gartengießen, wenn einer da ist.

Karkowsky: Sie sind gerade auf der World Water Week in Stockholm, wir hören es im Hintergrund. Da treffen Wissenschaftler auf Politiker, Aktivisten treffen Konzernchefs und alle reden über das Wasser. Welche Regionen der Welt haben denn derzeit die größten Wasserprobleme?

Wilderer: Also, jetzt mal so im ländlichen Raum gesprochen und nicht die Großstädte, da ist Afrika an der Spitze, aber auch Südamerika und im Übrigen auch Teile von Europa. Ich komme gerade aus einer Sitzung raus, da ging es um Bulgarien und Rumänien, auch dort große Schwierigkeiten, den Wasserbedarf der Menschen zu befriedigen, also, Wasser zu gewinnen und bereitzustellen, das also einen nicht krank macht, sondern gesund erhält.

Karkowsky: Verschwindet Wasser denn von der Erde oder verteilt es sich nur anders?

Wilderer: Es verteilt sich nur anders glücklicherweise. Wenn es verschwinden würde, hätten wir also nur noch begrenzte Aussichten, uns zu erhalten auf diesem Planeten.

Karkowsky: Sie hören im Deutschlandradio Kultur Professor Peter A. Wilderer, Emeritus für Wasserwirtschaft an der TU München und derzeit auf der World Water Week in Stockholm. Herr Wilderer, was ist denn eigentlich tatsächlich das Problem? Dass es auf der Welt zu wenig Trinkwasser gibt oder dass dieses Trinkwasser nicht da hinkommt, wo es benötigt wird?

Wilderer: Also, das erste Problem ist, wir haben zu viele Menschen und diese bündeln sich an einzelnen Stellen, also in Form von Städten. 50 Prozent der Erdbevölkerung wohnen jetzt schon in Städten und man rechnet, dass in den nächsten 15 oder 20 Jahren diese Prozentzahl auf 60, 70 Prozent hochgeht. Also, das ist, die Konzentration der Weltbevölkerung an einzelnen Plätzen, also sprich diese Städte, das ist das Problem.

Karkowsky: Nun wird übermorgen in Stockholm quasi der Wasser-Nobelpreis verliehen. Sie haben ihn schon. Nun geht er an den Briten John Anthony Allan. Was ist das für ein Mann?

Wilderer: Tony Allan ist ein hochgewachsener überaus aktiver Frühsiebziger, wollen wir mal so sagen. Er ist Professor an der Universität in London, King's College, und er ist hervorgetreten 1993 mit einem Artikel, in dem er den Begriff Virtuelles Wasser geprägt hat. Das hat zunächst mal niemand verstanden und ist aber inzwischen also einfach zu einem politischen Leitelement geworden in der Entscheidungsfindung.

Karkowsky: Also, ich habe das Modell so verstanden, Virtual Water ist eine Methode, auszurechnen, wie viel Wasser in von Menschen erzeugten Produkten steckt, also nicht nur in Obst und Gemüse, auch in industriellen Waren, und habe da eine Zahl mir gemerkt: Für ein Kilo Steak werden demnach 14.000 Liter Wasser verbraucht. Wissen Sie, wie sich das zusammensetzt?

Wilderer: Na ja, die Kuh, die Kraft, und dafür muss man also Wasser haben, um das Gras zu erzeugen, dass das Gras wachsen kann, das ist die eine Sache. Und wenn die Kuh dann geschlachtet wird, braucht man natürlich beim Schlachtvorgang und bei der Herstellung der Steaks jede Menge Wasser, aus hygienischen Gründen schon. Also so setzt sich das am Schluss zusammen.

Karkowsky: Wie ist denn Allan drauf gekommen, auf diese Idee, so eine Rechenmethode zu erfinden?

Wilderer: Also, er ist von der wirtschaftlichen Seite an das Wasserthema gegangen. Und in der Welt wird angebaut landwirtschaftliche Produkte an Stellen, wo man eigentlich gar kein Wasser hat. Also beispielsweise Weizen in Libyen.

Karkowsky: Ja, soweit müssen wir gar nicht gehen. Oder Tomaten in bestimmten spanischen Regionen.

Wilderer: Ja, oder Israel. Also, überall da, wo also Wassermangelsituation ist, dort findet plötzlich die landwirtschaftliche Produktion ihren Höhepunkt, und das hat natürlich wirtschaftliche Interessen dahinter. Also, ich meine, in Israel oder in Spanien hat es die Sonne, und da reift alles wunderbar und sehr früh und kann hier dann auf den heimischen Markt gelangen.

Karkowsky: Aber so ganz klar ist mir noch nicht, was wir mit diesem Rechenmodell anfangen können, dem Virtual Water.

Wilderer: Na ja, wir transportieren auf die Art und Weise Wasser von, also virtuelles Wasser oder scheinbares Wasser, von einem Platz zum anderen, nehmen das einer Region weg, der das dann nachher fehlt für andere Dinge, also beispielsweise für die Trinkwasserversorgung. Und sein Rechenmodell, eigentlich seine Politik, die er, oder der Politikvorschlag, den er bringt, ist, man sollte eigentlich die Weltwirtschaft so organisieren, dass landwirtschaftliche Produkte oder aber auch, also, andere Produkte des täglichen Bedarfs dort hergestellt werden, wo man Wasser hat.

Karkowsky: Haben Sie denn den Eindruck, dass die Weltwirtschaft das zulassen würde, diese idealistischen Bedingungen anzulegen?

Wilderer: Also, ich bin in der Beziehung kein Optimist. Aber immerhin, es ist einfach so, dass dieses Thema oder dieses Denkmodell oder auch die Methode, die er aufgelegt hat, verstanden wird und auch diskutiert wird, und ich meine auch in den politischen Entscheidungsprozess zumindest gedanklich mit eingebunden wird und das ist halt schon ein Schritt vorwärts. Und ich meine, der Preis wird zwar jetzt noch weiterhin Vorschub leisten zu der Anwendung dieses Gedankenmodells.

Karkowsky: Aber die Tatsache, dass ich nun weiß, für ein Glas Wein werden 120 Liter Wasser verbraucht, muss mir das nun ein schlechtes Gewissen machen?

Wilderer: Nein. Das ist genauso, wenn wir Rosen kaufen, viele der Rosen, die bei uns verkauft werden, kommen aus Tansania. Tansania ist ein Land mit Wassermangel. Das Wasser, um die Rosen dort anzupflanzen, geht den Leuten verloren. Aber wenn die Rosen dann bei uns sind, die einfach nicht zu kaufen, ist natürlich ein Quatsch. Also das ist nicht der Verbraucher, der das nachfragt. Der Verbraucher fragt nicht, ob die Rose aus Tansania kommt oder von woanders, das Problem ist ein weltwirtschaftliches Problem und sollte eigentlich in die GATT-Verhandlungen eingebunden werden.

Karkowsky: Professor Peter A. Wilderer, Ihnen herzlichen Dank für diesen Bericht. Er ist Emeritus für Wasserwirtschaft an der TU München und derzeit auf der World Water Week in Stockholm.