Verschwörungsängste in Syrien

Von Jan Kuhlmann · 04.04.2012
Die Arabische Liga hat sich in ihrer "Erklärung von Bagdad" gegen ausländische Einmischung in den Syrien-Konflikt verwahrt. Diese Warnung an den Westen mag historisch verständlich sein, politisch richtet sie sich zumeist gegen die eigene Opposition.
Mächtig ist, wer die meisten Waffen besitzt. Und wer sie wie Baschar al-Assad rücksichtslos einzusetzen weiß. Der Diktator von Damaskus kennt keine Hemmungen, wenn es darum geht, das eigene Volk zu unterdrücken.

Zumindest bislang ist die syrische Armee für ihn ein verlässlicher Partner. Genauso wie Russland und China, die ihm sein blutiges Treiben durchgehen lassen, ohne mit der Wimper zu zucken. Glücklich ist, wer sich auch in Krisenzeiten auf seine treuen Freunde verlassen kann. Aber es sind nicht nur Panzer und Partner, mit denen Assad in den Kampf zieht. Auf seiner Seite steht auch etwas, was man als große Erzählung bezeichnen könnte.

Eine große Erzählung – das ist eine immer wiederkehrende Rhetorik, die eine Masse von Menschen glaubt, ohne sie zu hinterfragen. Sie gilt quasi allgemein als wahr, was ihr eine ungeheure Macht verleiht, wenn man sie geschickt für die eigenen Zwecke nutzt. Wie das funktioniert, das führt Baschar al-Assad geradezu exemplarisch vor.

Die große Erzählung – in Syrien lautet sie, dass es vor allem ausländische Mächte sind, welche die ansonsten zufriedenen Syrer gegen ihre treu sorgende Regierung aufgebracht haben. Die fremden Kräfte, sie wollen Chaos erzeugen, ihre eigenen Interessen durchsetzen, die Syrer unterdrücken und das Land spalten.

Wer diese dunklen Mächte sind, das weiß jeder, ohne dass sie genannt werden müssen: die USA natürlich, der böse Satan; Israel, der zionistische Feind; auch Europa; die reichen Golfstaaten, die mit dem imperialistischen Westen gemeinsame Sache machen; der TV-Sender al-Jazeera als journalistischer Handlanger der Politik. Es ist Verschwörungsrhetorik in reinster Form.

Aber sie zeigt ihre Wirkung. Der Sturz des Assad-Regimes ist bislang vor allem deswegen nicht gelungen, weil wichtige Gruppen im Land noch immer hinter dem Diktator und seinem System stehen. Sie sehen den Assad-Clan als Schutzmacht, die nur im Interesse des Landes handelt und Syrien vor einem Zerfall bewahrt.

Dass diese große Erzählung auf so fruchtbaren Boden fällt und sprießt und blüht, lässt sich vor allem aus der arabischen Geschichte erklären. Sehr gut nachzulesen ist das etwa in dem gerade auf Deutsch erschienenen Buch "Die Araber" des Oxford-Historikers Eugene Rogan.

Die Geschichte der arabischen Welt – sie erzählt vor allem davon, wie eine Region über Jahrhunderte von fremden Mächten beherrscht wurde. Erst waren es die Osmanen, die von Istanbul aus regierten. Dann kamen Briten und Franzosen. Später die Amerikaner. Der Krieg gegen Saddam Hussein nach den Anschlägen vom 11. September – er bestätigte in den Augen vieler Araber nur das böse Treiben der dunklen ausländischen Mächte.

Man kann es sogar verstehen.

Da wundert es nicht, dass diese große Erzählung auch in anderen arabischen Ländern weit verbreitet ist – in Ägypten etwa. Die Konrad-Adenauer-Stiftung in Kairo hat es zu spüren bekommen, deren leitende Mitarbeiter angeklagt sind, weil sie ihre Aktivitäten für die Demokratie angeblich mit ausländischen, darum illegalen Geldern finanziert haben. Jetzt, so hört man oft, entscheiden nur noch die Ägypter über Ägypten – und nicht mehr die Ausländer.

So sehr dieses Streben nach Unabhängigkeit zu verstehen ist, es ist im 21. Jahrhundert dann unzeitgemäß, wenn es eine Kooperation über Landesgrenzen unmöglich macht. Und es ist inakzeptabel, wenn es sich gegen die Demokratie richtet.

Hinter dem Kairoer Prozess steckt vor allem eine Ministerin, die schon unter dem gestürzten Präsidenten Mubarak im Kabinett saß. Hier kämpft das alte System gegen die Demokratie – das alte System wohlgemerkt, das sich früher nicht zuletzt mit Milliarden-Hilfen aus dem Ausland ein angenehmes Leben finanzierte.

Die große Erzählung – sie ist mächtig. Keine physische Waffe, mag sie noch so gewaltig sein, kann sie zerstören. Wer im syrischen Konflikt siegen will, der muss vor allem die Köpfe der Menschen für sich gewinnen.

Jan Kuhlmann, Jahrgang 1971, schreibt als freier Journalist in Berlin über Islam, Integration und Nahost: Studiert hat er Geschichte, Islamwissenschaft und Arabisch an der Universität Hamburg und der American University Cairo (AUC). Danach war er u.a. Politik-Korrespondent der Wochenzeitung "Rheinischer Merkur" in Berlin.
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