"Verschlingen wird ihn die Pest!"

Von Andrea Westhoff · 13.05.2010
Die Berliner Charité feiert dieses Jahr ihr 300-jähriges Bestehen. Den Anstoß gab König Friedrich I. Am 13. Mai 1710 begannen die Bauarbeiten für ein "Pesthaus" vor den Toren der Stadt. Der Soldatenkönig legte damit den Grundstein einer der größten Universitätskliniken Europas.
Es begann – glaubt man der Überlieferung – mit einer unheimlichen Begegnung: Als der preußische König Friedrich I. am 12. November 1709 spät nachts von politischen Gesprächen mit Zar Peter dem Großen in sein Schloss zurückkehrt, soll ihm eine weißgewandete Gestalt mit "bluttropfenden Händen" entgegen getreten sein, mit den Worten:

"Seht ihn, den König Babylons … Seht ihn, denn die Strafe für seine Sünden ist nahe …Verschlingen wird ihn die Pest!"

Den König ergriff Panik, denn der Legende nach erschien die "weiße Frau" immer dann, wenn der Tod eines Hohenzollern bevorstand. Heute nimmt man an, dass es Friedrichs Frau, Königin Sophie Luise, war, die langsam dem Wahnsinn verfiel und allnächtlich durchs Schloss geisterte.
Doch die Bedrohung durch den "schwarzen Tod" war durchaus real in jenen Jahren, erzählt der Direktor des Medizinhistorischen Museums der Charité, Professor Thomas Schnalke:

"Seit dem späten Mittelalter wütet ja die Pest immer wieder in ganz Europa, und von Nordosten her hatte sich die Pest wieder einmal aufgemacht, und bedrohte jetzt die preußischen Lande und insbesondere Berlin."

Was das bedeutet, hat der König auf seiner Reise durch Ostpreußen, zum Zaren, gerade gesehen: Verlassene Dörfer, Leichen am Straßenrand, die auf Karren eingesammelt werden, Hunger und Unruhe in der Bevölkerung, abgeriegelte Städte und Pestgalgen zur Abschreckung vor den Toren.

Also erlässt Friedrich I. am 14. November 1709 ein umfangreiches "Pest-Reglement", dessen wichtigste Bestimmung war,

"...dass weit außerhalb jeder Stadt … 'Lazareth-Häuser’ zu errichten sind, an solchen Orten, die luftig seyn und von Winden bestrichen werden können ..."

Für die preußische Hauptstadt stellt der König selbst ein Grundstück zur Verfügung: Ackerland, draußen vor dem Spandauer Tor, das heute mitten in Berlin liegt. Und am 13. Mai 1710 beginnen die Bauarbeiten für das so genannte Pesthaus: In größter Eile wird ein quadratischer Fachwerkkomplex hochgezogen, wehrhaft anmutend durch die vier Ecktürme, zweistöckig mit Platz für 400 Betten und erstaunlich komfortabel geplant für die damaligen Verhältnisse:

"Zwischen den Bett-Ständen von beyden Seiten muss genugsamer Raum bleiben …"

Normalerweise teilen sich zu dieser Zeit in Krankenhäusern mehrere Patienten ein Bett!

"Es ist auch nöthig, dass in den Gemächern sowohl ausserwärts als innwärts genugsame Fenster gemacht werden, … damit … die inficirten Dämpfe … wegführen können",

weil man glaubt, eine Infektion erfolge durch giftige Ausdünstungen der Erkrankten.

Aber die Pest verschont Berlin und die Mark Brandenburg, und aus dem riesigen Bau vor der Stadt wird ein Arbeits- und Armenhaus, in dem Bettler und "gefallene Mädchen" aufgenommen und notdürftig medizinisch versorgt werden. Ab 1713, als Friedrich Wilhelm I. die Herrschaft übernimmt, dient es dann auch als Garnisonslazarett. Schließlich, 1726, wird das alte Pesthaus komplett in ein "Bürgerhospital" umgewandelt. Es bleibt allerdings ein Ort vor allem für die armen Berliner, und zu dieser Zeit bekommt es auch seinen heute weltberühmten Namen:

"Der König notiert am 14. Januar 1727 auf ein ja - Schriftstück - da ging es um die Versorgung mit Essensgütern dieses Pesthauses: 'Es soll das Haus die Charité heißen’."

Allerdings geht es Friedrich Wilhelm I. nicht nur um "Barmherzigkeit" – französisch: "Charité" – bei seiner Unterstützung für das Bürgerkrankenhaus:

"Es ging dem König eindeutig darum, er ist ja auch der Soldatenkönig, eine Einrichtung zu haben, in der seine Militärchirurgen ausgebildet werden können."

Schon 1713 war ein "Theatrum anatomicum" hinzugebaut worden, für den anschaulichen Anatomie-Unterricht – auch mit Leichen aus dem "Pesthaus". 1724 wird dann das "Collegium medico-chirurgicum" gegründet, eine praktische Lehranstalt für die "Feldscheren", wie die Militär-Chirurgen hießen. Und zu Beginn des 19. Jahrhunderts wächst das Bürgerhospital nach und nach mit der Medizinischen Fakultät der gerade gegründeten Berliner - und späteren Humboldt-Universität zusammen.


"Es gab mehrere Um- und Ausbauphasen, dann hat man das Pesthaus abgetragen und dort dann die alte Charité und dann die neue Charité errichtet, wie sie heute auch noch zu sehen ist, in dieser Backsteingotik mit den vereinzelt gesetzten Klinikgebäuden."

So ist das seinerzeit etwas voreilig errichtete "Pesthaus" der "Grundstein" für eine der größten Universitätskliniken Europas geworden: ein internationales Zentrum modernster Forschung und Therapien.