Verhängnisvolle Wahlen

Von Andreas Baum · 06.06.2005
Die erste Reichstagswahl der Weimarer Republik am 6. Juni 1920 wurde zu einer Schlappe für die gemäßigten Parteien der Mitte. Die "Weimarer Koalition" aus SPD, Zentrum und Deutscher Demokratischer Partei (DDP) musste empfindliche Verluste hinnehmen und verlor ihre absolute Mehrheit. Der Ausgang dieser Wahl zeigte einen Trend, der am Ende verhängnisvoll für die Weimarer Republik werden sollte. Sobald es zu Problemen kommt - ob wirtschaftlicher oder politischer Natur - wird dies den bürgerlichen Parteien der Mitte angelastet.
Als am 6. Juni 1920 in Deutschland der Reichstag in gleicher und geheimer Wahl vom Volk bestimmt wurde, geschah dies zum ersten Mal in der Geschichte der Weimarer Republik. Die Nationalversammlung, die seit 1919 regiert hatte, sollte von Anfang an nur provisorischen Charakter haben. Auch die Frauen in Deutschland wählten zum ersten Mal einen Reichstag. Trotzdem war die Demokratie in ihrer ersten Krise. Die Euphorie der Anfangstage, als Philip Scheidemann anderthalb Jahre zuvor, am 9. November 1918, die Republik ausrief, war längst vergessen.

" Der Kaiser hat abgedankt! Er und seine Freunde sind verschwunden! Über sie alle hat das Volk auf ganzer Linie gesiegt. Prinz Max von Baden hat sein Reichskanzleramt dem Abgeordneten Ebert übergeben. Unser Freund wird eine Arbeiterregierung bilden, der alle sozialistischen Parteien angehören werden!... Es lebe das Neue! Es lebe die deutsche Republik! "

1920 fühlten sich viele Deutsche gedemütigt und zu unrecht zu Kriegsverlierern gemacht. Grund war der Friedensvertrag von Versailles. Den Regierungsparteien der so genannten Weimarer Koalition, der SPD, der DDP und dem Zentrum, blies nun der Wind ins Gesicht. Auch der Kapp-Putsch vom März 1920 sorgte dafür, dass sogar manche Partei jedes Vertrauen in die Weimarer Republik verloren hatte.

" Du sollst nicht wählen! "

- heißt es auf einem Plakat der Kommunistischen Arbeiterpartei im Mai 1920.

" Der Parlamentarismus ist die demokratische Kulisse für die Herrschaft des Kapitals und seine Republik schützen die kapitalistischen Haifische u. morden die Arbeiterklasse. Alle Macht den Räten. Übt Wahlboykott! "

Aber auch die politische Rechte polemisierte gegen die Demokraten und das neue System an sich. Seit 1919 beförderte sie die Mär von einer Armee, die im Krieg von hinten erdolcht worden war.

" Der Sieg war zum Greifen nah! "

In diesem aufgeheizten politischen Klima gerieten die Reichstagswahlen vom 6. Juni 1920 zu einer Katastrophe für die gemäßigten Parteien der Weimarer Koalition. Hatten sie in der Nationalversammlung noch über eine absolute Mehrheit von 76 Prozent verfügt, so sackten sie nun auf 43 Prozent ab. Die Stimmen der SPD halbierten sich, die kommunistische USPD wurde zweitstärkste Partei im Reichstag. Auch die gemäßigten bürgerlichen Parteien verloren gut die Hälfte ihrer Wähler an die Nationalisten der DVP und der DNVP. Weder rechts noch links der Mitte gab es eine Mehrheit, und die Sozialdemokraten zeigten wenig Neigung, die Weimarer Koalition als Minderheitsregierung weiterzuführen. Funktionäre wie der Mitvorsitzende Otto Wels wollten, dass sich die SPD in der Opposition erneuert.

" Wir müssen aus dem Konkurs des Alten herauskommen und das schwindende Vertrauen der Arbeiter wiedergewinnen. "

Kaum hatte der politische Alltag der Weimarer Republik begonnen, war sie unregierbar geworden. Die Autoren der Verfassung waren von den Wählern abgestraft worden, die Radikalen dagegen, denen das neue System von Anfang an nicht gepasst hatte, wurden belohnt. Und mit diesem Ergebnis hatten selbst die Demokraten, so schien es, die Lust an der Demokratie verloren. Am Ende einigte man sich auf eine rechtsliberale Minderheitsregierung, die von den Sozialdemokraten geduldet werden sollte. Am 25. Juni 1920 ernannte Reichspräsident Friedrich Ebert Konstantin Fehrenbach zum Reichskanzler. Vorher war der badische Zentrumspolitiker Präsident der Nationalversammlung gewesen.

" Eine neue Zeit ist im politischen Leben des deutschen Volkes angebrochen. Es ist selbstverständlich, dass manche Kreise in Hinblick auf die Großtaten der Vergangenheit diesem Neuen kritisch, zweifelnd, ja sogar ablehnend gegenüberstehen. Wir erhoffen von den Leistungen der neuen Zeit eine versöhnende und klärende Wirkung. "

Fehrenbach selbst galt als Politiker, der, wie viel Mitglieder seiner Partei, des katholischen Zentrums, die Republik als Tatsache akzeptiert hatte, von ihr aber wenig begeistert war. Das böse Wort von der "Republik ohne Republikaner" wurde erstmals in seiner Regierungszeit geprägt.