Verbote treffen alle Demonstranten

Von Stephan Hebel · 16.05.2012
Kölner und Bonner Polizisten schützen Rassisten, während Frankfurter Polizisten die Bürger vor antikapitalistischen Parolen schützen sollen. Ist das nicht unerträglich? Ja, das ist es. Aber nicht mehr Verbote können die Antwort sein, sondern nur weniger Verbote, findet Stephan Hebel.
Die Polizei in Frankfurt am Main hat sich dieser Tage Gedanken über eine Demonstration gemacht. In einem Akt unwiderstehlicher Wahrheitsfindung sagte sie folgendes voraus. Zitat: "So werden Bürger mit Meinungen konfrontiert, denen sie nicht oder nur schwer ausweichen können." Zitat Ende.

Sehr richtig! In der Tat dienen Demonstrationen dem Zweck, Meinungen oder Forderungen zu Gehör zu bringen. Und zwar möglichst auch denjenigen, die sie nicht ohnehin schon hören wollen. Deshalb ist das Grundrecht der Meinungsfreiheit besonders geschützt. Demonstrationen inklusive.

Das Dumme ist nur: Der Satz von der Konfrontation der Bürger mit womöglich unerwünschten Meinungen war nicht als Lob der Redefreiheit gedacht, im Gegenteil: Er diente der Begründung eines Verbots. Die Stadt Frankfurt hat die Proteste, welche für diese Woche im Bankenviertel geplant waren, komplett untersagt.

Alle Aktionen gegen das Spardiktat von Politikern und Finanzinstituten, die unter dem Titel "Blockupy" geplant sind, wurden pauschal für illegal erklärt. Das ist mal ein spezielles Verständnis von Meinungsfreiheit: Die Freiheit der Bürger von Meinungen, die sie vielleicht nicht hören wollen.

Die Frankfurter Verbotsverfügung erging zur selben Zeit, als die rechtslastige Partei "Pro NRW" in Nordrhein-Westfalen Wahlkampf machte. Mit den dänischen Mohammed-Karikaturen, die seit Jahren als gezielte Provokation gegen Muslime verwendet werden, stellten sich die Fremdenfeinde vor Moscheen in Köln und Bonn.

Einige Salafisten beantworteten die aggressive Dummheit des anti-islamischen Feindbilds, indem sie eben dieses Feindbild bestätigten: Mit Gewalt gingen sie auf Polizisten los, die die Pro-NRW-Demonstranten schützten. Wie ähnlich die islamischen und die antiislamischen Fundamentalisten einander sind, hat wieder mal jeder gemerkt außer ihnen selbst. Nun diskutiert alle Welt darüber, wie den Salafisten das Handwerk zu legen sei. Über Pro NRW aber redet fast niemand, über Verbote gegen die Antiislamisten schon gar nicht.

Also: Kölner und Bonner Polizisten schützen Rassisten, während Frankfurter Polizisten die Bürger vor antikapitalistischen Parolen schützen sollen. Niemand verbietet die Aktionen von Pro NRW wegen der Gewalttaten, die andere begingen. Aber Frankfurt verbietet Blockupy unter anderem deshalb, weil der Protest, gegen den Willen seiner Veranstalter, eventuell Gewalttäter anlocken könnte.

Ist das nicht unerträglich? Schreit es nicht zum Himmel, dass die Proteste von Kapitalismuskritikern verboten, die Provokationen von Fremdenfeinden aber geduldet und polizeilich gesichert werden? Ja, das ist es. Aber niemand sollte sich zu falschen Schlüssen verleiten lassen. Nicht mehr Verbote können die Antwort sein, sondern nur weniger Verbote. So abstoßend die Provokationen von Rassisten sind: Eine Demokratie wird sie ertragen müssen. Gegen Volksverhetzung und Beleidigung, gegen Körperverletzung und Sachbeschädigung gibt es Gesetze.

Verbote aber, die mit dem vagen Verdacht möglicher Straftaten begründet werden, treffen nicht nur Straftäter, sondern alle Demonstranten und letztlich die Meinungsfreiheit selbst. Die Frankfurter Behörden haben genau dies unternommen: einen Anschlag auf die Meinungsfreiheit. Der zuständige Dezernent, ein CDU-Politiker, hat ein grundlegendes Gesetz der Demokratie verletzt. Es lautet: Die Beförderung der Freiheit erweist sich erst darin, dass man sie dem Andersdenkenden gewährt.

Man muss das Verhalten der Frankfurter Behörden kritisieren. Aber glaubhaft ist die Kritik nur dann, wenn man die Meinungsfreiheit auch seinerseits dem Andersdenkenden zugesteht. Sogar den Rassisten von Pro NRW, so widerlich ihre Provokationen sind. Wer Meinungen bekämpfen will, sollte das im Meinungsstreit tun. Und nicht mit Verboten, egal gegen wen.

Stephan Hebel, Journalist, geboren 1956 in Frankfurt am Main, studierte Germanistik und Romanistik, bevor er 1986 Redakteur der "Frankfurter Rundschau" wurde. Er arbeitete im Nachrichtenressort, als Korrespondent in Berlin, im Ressort Politik und als Mitglied der Chefredaktion. Seit 2011 ist er als politischer Autor tätig.
Stephan Hebel, freier Autor
Stephan Hebel, freier Autor© Frankfurter Rundschau