US-Juristin Ruth Bader Ginsburg

Gesetze sind nicht in Stein gemeißelt

04:02 Minuten
Richterin Ruth Bader Ginsburg spricht bei einer Zeremonie des Nationalarchivs am 14. Dezember 2018.
Ruth Bader Ginsburg bei einer Rede. © Getty Images / Alex Wong
Ein Einwurf von Antje Schrupp · 06.03.2019
Audio herunterladen
Ruth Bader Ginsburg ist Richterin am Supreme Court. Wie sie in den 70er-Jahren die von Männern beherrschte Justizwelt der USA aufmischte, zeigt jetzt ein Film – und dass Mut zur Veränderung sich lohnt, meint die Politologin Antje Schrupp.
"Die Berufung" erzählt vom Beginn der Karriere von Ruth Bader Ginsburg in einer damals noch komplett von Männern beherrschten Justizwelt. Erstaunlich, wie kurz das alles her ist. Uns erscheint heute die Gleichberechtigung ganz selbstverständlich. Aber noch vor 50 Jahren fanden es viele unmöglich, Männer und Frauen als "Gleiche" zu behandeln.

Gesetze müssen sich mit der Kultur weiterentwickeln

Der Film zeigt, wie gesellschaftliche Entwicklungen und Justiz miteinander zusammenhängen. Gesetze, so wird deutlich, sind nicht in Stein gemeißelt, sondern sie müssen sich zusammen mit der Kultur weiterentwickeln.
Eine der schönsten Szenen ist die Begegnung zwischen der jungen Ruth Bader Ginsburg und einer älteren Juristin, Dorothy Kenyon. Kenyon hatte bereits eine Generation zuvor gegen frauendiskriminierende Gesetze protestiert – aber ohne Erfolg. Das gesellschaftliche Klima der 50er-Jahre gab das einfach nicht her.
Doch dann kam die Frauenbewegung. Ruth Bader Ginsburg hatte Rückenwind, von ihren Studentinnen, von ihrer Tochter, und viele dieser jüngeren Frauen wollten einen noch radikaleren Wandel. Der Film zeigt: Erst wenn sich das gesellschaftliche Klima im Alltag, auf der Straße, in den Küchen und Büros, schon verändert hat, erst dann gibt es auch eine Chance, neue Gesetze zu machen.

Irgendjemand muss die Sache durchfechten

Aber: Das muss dann eben auch jemand machen. Irgendjemand muss mutig genug sein, die Sache durchzufechten. Man muss den gesellschaftlichen Wandel in trockene Tücher bringen, damit die neuen Werte und Überzeugungen auch in den Institutionen verankert sind.
Von selbst geschieht das nämlich nicht. Wer weiß, wo wir in Deutschland heute stünden, wenn Elisabeth Selbert 1949 nicht dafür gesorgt hätte, dass der Satz "Männer und Frauen sind gleichberechtigt" ins Grundgesetz kommt. Oder was mit der Ehe für alle wäre, wenn Volker Beck sie nicht vor zwei Jahren quasi im Alleingang durch den Bundestag gebracht hätte.
Beim ärztlichen Informationsverbot zu Abtreibungen, also Paragraf 219a des Strafgesetzbuchs, wurde die Chance erstmal vertan. Direkt nach der Verurteilung der Gießener Ärztin Kristina Hänel im Herbst 2017 war die Gelegenheit günstig gewesen. Viele Menschen hatten gar nicht gewusst, dass es so ein Verbot gibt, und hielten es für antiquiert.
Die Mehrheit der Bundestagsabgeordneten wollte den Paragrafen abschaffen. Aber die SPD ließ die Gelegenheit ungenutzt, aus Rücksicht auf den Koalitionspartner CDU. Jetzt kommt wohl ein langwieriger Gang vors Bundesverfassungsgericht.

Manchmal geht es ums Prinzip

Begründet hat die SPD ihre Kompromissbereitschaft damit, dass es doch genüge, die konkreten Informationsmöglichkeiten zu verbessern. Auf einer Streichung des Paragrafen zu bestehen, sei bloße Symbolpolitik. Aber manchmal genügt es nicht, nur eine pragmatische Lösung zu finden. Manchmal geht es um mehr, ums Prinzip.
Es gibt so etwas wie einen "Kairos", den rechten Zeitpunkt, die gute Chance, die geöffnete Tür. Solche Gelegenheiten muss man nutzen. Es ist fast wie eine Wette: Man wettet darauf, dass sich die Welt verändert hat. Dass die alten Prinzipien nicht mehr gültig sind, dass eine neue Ära bereits begonnen hat.
Eine Erfolgsgarantie gibt es dabei nicht. Auch im Film fiebert das Publikum am Ende mit: Werden die Richter Ruth Bader Ginsberg recht geben und den Weg zur Gleichberechtigung frei machen? Wir wissen heute, wie die Geschichte ausgegangen ist. Aber damals war das nicht so sicher. Die Welt verändern zu wollen, heißt immer ein Risiko auf sich nehmen – ein Risiko mit offenem Ausgang.

Antje Schrupp, 54, ist Politikwissenschaftlerin und Journalistin und lebt in Frankfurt am Main. Sie schreibt für verschiedene Medien und ist Autorin zahlreicher Bücher. Zuletzt erschien von ihr die Biografie der ersten amerikanischen Präsidentschaftskandidatin Victoria Woodhull ("Vote for Victoria!", Ulrike Helmer Verlag) und der Comic "Kleine Geschichte des Feminismus im euro-amerikanischen Kontext" (zusammen mit Patu, Unrast-Verlag).

Porträt der Politikwissenschaftlerin und Journalistin Antje Schrupp
© Laurent Burst
Mehr zum Thema