US-Demokraten

Das Vorwahlsystem beschädigt die Kandidaten

04:25 Minuten
Joe Biden und Bernie Sanders auf der Bühne während der Debatte der Präsidentschaftskandidaten der Demokraten.
Auch beim Sieger wird das Vorwahlsystem der Vereinigten Staaten bleibende Verletzungen bei den Kanditaten hinterlassen, meint der Historiker Max Paul Friedman. © Imago / ZUMA Press / CNN
Von Max Paul Friedman · 17.03.2020
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Wenn kein Wunder geschieht, wird Joe Biden als Sieger aus den Vorwahlen der Demokraten hervorgehen. Doch auch er ist vom harten Wahlkampf gezeichnet. Das ist ein Fehler des Systems, meint der Historiker Max Paul Friedman.
Waren die ersten Vorwahlen eher eine Achterbahnfahrt, bei der sich die Spitzenreiter jede Woche änderten, sieht es nun so aus, als würde der ehemalige Vizepräsident Joe Biden der Kandidat der Demokraten werden.
Aber er ist jetzt schon gelähmt, weil das Nominierungssystem fehlerhaft ist. Das Vorwahlsystem in den Vereinigten Staaten ist darauf ausgelegt, die Kandidaten im Kampf zu testen, ihre Schwächen zu finden und festzustellen, ob sie stark genug sind, um die harten Angriffe bei den allgemeinen Wahlen im November zu überleben. In diesem Sinne funktioniert das chaotische Spektakel dieses Frühlings auch, aber es hinterlässt bleibende Verletzungen auch beim Sieger.
Millionen Anhänger von Bernie Sanders haben sich und andere in der Hitze des Kampfes davon überzeugt, dass Biden nicht vertrauenswürdig ist, dass er Renten kürzen wird, gerne Kriege beginnt und möglicherweise senil ist. Hat sich das Ganze gelohnt?

Vorwahlen bis Ende der 1960er-Jahre unverbindlich

Unsere offene Wahl von Parteikandidaten muss in Europa etwas seltsam erscheinen, wo die Parteien ihre Führer auf eigenen Parteitagen und aus ihren eigenen Reihen wählen. Unser eigentümliches System brachte uns das letzte Mal Donald Trumps feindliche Übernahme der Republikanischen Partei.
Manche meiner Landsleute denken schon nostalgisch zurück an die gute alte Zeit, in der die Vorwahlergebnisse nur Vorschläge an die Partei waren. 1920 und auch 1924 hat ein Demokrat namens William McAdoo die Vorwahlen gewonnen aber die Nominierung durch die Partei trotzdem nicht bekommen. 1952 hat Estes Kefauver die Vorwahlen gewonnen, aber Adlai Stevenson wurde nominiert.
Das Volk durfte seine Meinung zwar äußern, aber die Vorwahlen waren bis Ende der 1960er-Jahre unverbindlich. Sie wurden deshalb oft als "Schönheitswettbewerbe" verspottet. Wirklich ausgewählt wurden die Kandidaten dann von Parteifunktionären - in geheimen Verhandlungen in verrauchten Hinterzimmern bei den großen Conventions. Ein System, das immerhin Franklin Roosevelt, Dwight D. Eisenhower und John F. Kennedy an die Spitze des Landes brachte.

Nur zwei alte Männer sind noch dabei

Ob Parteifunktionäre sich auch für Biden entschieden hätten? Schwer zu sagen. Er ist zwar ein Insider, aber kein starker Kandidat. Er wirkt oft müde und hat manchmal Probleme, seine eigenen Sätze zu beenden, besonders wenn er ohne Teleprompter spricht.
Vielleicht hätten sich Parteigremien auch für einen energischeren und jüngeren Kandidaten entschieden. Oder gar eine Kandidatin – doch die wurden schnell Opfer des unter den Wählern grassierenden Sexismus.
Nur zwei alte Männer sind noch dabei: Biden, 77 Jahre alt, und Bernie Sanders, der mit 78 nicht aufgeben will. Beide gehören - das ist gerade ein Thema in den USA - zu der Gruppe von Menschen, die durch das Coronavirus am stärksten bedroht ist Wenn einer von ihnen also die Nominierung erhält, dann aber krank genug wird, um aus dem Rennen auszusteigen, dann sind wir wieder bei einer Parteientscheidung, diesmal ganz ohne Vorwahl.

Weiter machen mit dem very American Way?

Dann wird es hektische Verhandlungen in den Hinterzimmern geben, wenn auch ohne Zigarettenrauch. Wir können uns dann trösten, dass es wahrscheinlich nicht so chaotisch sein wird wie 1968: Ein Albtraum einer Vorwahl, bei der der aussichtsreiche Robert Kennedy ermordet wurde und es später bei der National Convention in Chicago tagelang zu wüsten Szenen kam. Draußen verprügelte die Polizei Antikriegs-Demonstranten, drinnen griffen sich die Delegieren aufs heftigste an. Wünschen kann das niemand. Wenn wir also langsam anfangen über unser einzigartiges Gesundheitssystem nachzudenken, sollten wir vielleicht auch überlegen, ob wir weitermachen wollen mit der einzigartigen Auswahl unserer Kandidaten, nach einem very American Way.

Max Paul Friedman ist Geschichtsprofessor an der American University in Washington. Im Januar erhielt er den Friedrich-Wilhelm-Bessel-Forschungspreis der Alexander von Humboldt-Stiftung. Derzeit forscht er als Gast am Lateinamerika-Institut der Freien Universität Berlin. Sein bekanntestes Buch "Rethinking Anti-Americanism" erschien bei Cambridge University Press.

Der Historiker Max Paul Friedman
© American University / Jeff Watts
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