Ursula Heinen: "Ein Akt für Menschlichkeit"

Ursula Heinen im Gespräch mit Jörg Degenhardt · 15.11.2010
Mit der Präimplantationsdiagnostik (PID) blieben Eltern qualvolle Situationen wie Fehl- und Totgeburten erspart, sagt die Bundestagsabgeordnete Ursula Heinen vor dem Bundesparteitag der CDU in Karlsruhe, bei dem das Thema auf der Agenda steht.
Jörg Degenhardt: Gewissensfragen sind nicht selten heikle Fragen und eigentlich Gift für das straffe Programm von Parteitagen. Die CDU will es dennoch wissen, sie will in Karlsruhe auf ihrem Treffen die Debatte um die Präimplantationsdiagnostik, kurz PID, führen. Das könnte ein langer Abend werden, denn die Christdemokraten sind sich in dieser Frage alles andere als einig. Mit der PID, das noch mal kurz zur Erklärung, können bei der künstlichen Befruchtung Embryonen mit Anlagen zu Erbkrankheiten aussortiert und vernichtet werden. Diese Selektion ist in Deutschland nach dem Embryonenschutzgesetz nicht erlaubt, allerdings auch nicht eindeutig verboten. Zudem verlangt der Bundesgerichtshof eine Neuregelung. Ursula Heinen sitzt für die CDU im Deutschen Bundestag, sie ist auch parlamentarische Staatssekretärin im Umweltministerium und sie ist für die PID. Guten Morgen, Frau Heinen!

Ursula Heinen: Ja, guten Morgen!

Degenhardt: Eigentlich ist doch die Sache klar: Im CDU-Grundsatzprogramm steht seit dem Jahr 2007, wir treten für ein Verbot der Präimplantationsdiagnostik ein – warum soll das nicht mehr gelten?

Heinen: Weil der Bundesgerichtshof gerade ein neues Urteil gesprochen hat, in dem er ganz klar formuliert hat, dass die Präimplantationsdiagnostik in engen Grenzen zulässig bleiben soll. Und aus dem Grund wird sich die Politik, wird sich der Deutsche Bundestag mit dem Thema PID noch einmal intensiv auseinandersetzen müssen. Und deshalb haben wir jetzt auch für den Bundesparteitag einen Antrag formuliert, der sich sehr eng an das BGH-Urteil anlehnt und der eben die Zulässigkeiten möglich machen soll.

Degenhardt: Also gibt es nur juristische Gründe, dieses Verbot aufzuweichen?

Heinen: Nein, überhaupt nicht. Es ist wirklich eine ganz, ganz wichtige Sache für Eltern, die sich nichts sehnlicher wünschen als ein Kind und die aber um schwere erbliche Vorbelastungen wissen. Und mit der PID haben diese Eltern wirklich eine Chance, ein Kind überhaupt zu bekommen. Und es bleiben ihnen sehr qualvolle Situationen erspart – Fehlgeburten, Todgeburten, Krankheiten, bei denen ein Baby direkt nach der Geburt stirbt. Und deshalb ist es für mich auch wirklich ein Akt für Menschlichkeit und für Hilfe bei diesen Eltern.

Degenhardt: Aber Ihre Parteivorsitzende, Angela Merkel, tritt für ein komplettes Verbot der PID ein, es sei nicht möglich, zwischen einer schweren genetischen Krankheit und einem nicht schwerwiegenden Defekt zu unterscheiden. Was erwidern Sie?

Heinen: Dass es mittlerweile seit zwei Jahrzehnten PID gibt. Sie wird in vielen Ländern der Welt angewendet, und es hat bisher keinen Missbrauch oder Ähnliches gegeben. PID wird sehr verantwortungsvoll international angewendet. Und hier geht es wirklich ja um einen sehr kleinen Kreis betroffener Eltern, die ein Kind haben möchten.

Degenhardt: Aber einige Ihrer Parteifreunde meinen allen Ernstes, wenn jetzt der PID Tür und Tor geöffnet würden, dann hätten wir übermorgen Designerbabys.

Heinen: Ja, aber Tür und Tor sind doch bereits geöffnet, und das ist auch etwas, was beispielsweise im BGH-Urteil zum Ausdruck kommt: Ich darf nicht die befruchtete Eizelle untersuchen, bevor sie im Mutterleib eingesetzt wird, aber ich darf ein Baby im Mutterleib komplett untersuchen, je nachdem auch mit ganz fatalen Konsequenzen, nämlich einer Abtreibung. Das heißt, ich erlaube nicht die Untersuchung vorher, aber ich erlaube eine komplette Untersuchung bei einem Baby. Sie sehen ja selbst schon bei einem zweieinhalb Zentimeter großen Baby im Ultraschall das Köpfchen und wie es sich entwickelt zum Menschen, und dieses Menschlein im Mutterleib dürfen Sie töten, wenn bestimmte Voraussetzungen vorliegen, sogar noch nach der zwölften Woche.

Degenhardt: Ist diese Diskussion gerade für eine christliche Partei wie die CDU eine besonders schwierige?

Heinen: Es ist sicherlich eine schwierige Diskussion. Ich erinnere mich auch daran, dass wir ja schon sehr engagierte Diskussionen hatten, beispielsweise um die embryonale Stammzellforschung. Das sind Sternstunden auch eines Parteitags, indem er mit sich selber ringt, um die beste Antwort zu finden. Der Bundesvorstand hat gestern einen Antrag auch beschlossen, in dem auch noch mal alle Gemeinsamkeiten zusammengefasst werden, und es dann verschiedene Abstimmungsvarianten zum Thema Präimplantationsdiagnostik gibt.

Degenhardt: Wie sieht denn dann die beste Lösung aus? Die beste Lösung ist dann ein fauler Kompromiss?

Heinen: Ich wünsche mir natürlich, dass wir die Zulässigkeit beschließen, diese Variante, aber ich kann auch verstehen und habe das gestern Abend schon in Gesprächen mit vielen Delegierten gemerkt, dass einfach noch Beratungsbedarf dort ist, dass die Unsicherheit auch groß ist. Viele wissen natürlich auch aus eigenem Erleben, wie schwierig Schwangerschaftskonflikte, -momente sind, und sie möchten auch noch mehr hören, mehr wissen. Und deshalb kann eine tiefer gehende Analyse schon gut und richtig sein. Aber das wird sich heute am Abend ergeben, wenn wir das Thema auf dem Parteitag diskutieren.

Degenhardt: Müssten die Eltern, die Mütter zumal, in dieser Diskussion nicht stärker gehört werden?

Heinen: Die Mütter werden ja auch stark gehört, und ich glaube, es werden sich sehr viele Frauen auch heute zu Wort melden.

Degenhardt: Wäre denn, wenn es jetzt nicht zu einer Kompromisslösung käme, könnte das möglicherweise auch das Image von Kanzlerin Merkel beschädigen, die ja gegen die PID ist?

Heinen: Nein, überhaupt nicht. Angela Merkel hat ja gerade mehrfach betont, dass es wirklich eine Gewissensentscheidung ist, und ich finde, das zeigt ja auch die Größe, zu sagen, der Parteitag soll über dieses schwierige Thema befinden, soll darüber diskutieren und gegebenenfalls noch mal zu einem späteren Zeitpunkt weiter darüber sprechen.

Degenhardt: Ursula Heinen, sie sitzt für die CDU im Deutschen Bundestag, sie wird heute in Karlsruhe auf dem Parteitag ihrer Partei über das schwierige Thema Präimplantationsdiagnostik diskutieren. Frau Heinen, vielen Dank, dass Sie heute Morgen schon Zeit hatten!

Heinen: Ja, bitte!



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