Unabhängigkeits-Debatte in Hongkong

Offen diskutieren kaum noch möglich

Demonstranten halten Schilder mit chinesischen Schriftzeichen hoch.
7,4 Millionen Menschen leben in Hongkong - immer wieder gibt es Proteste. © AFP
Von Steffen Wurzel · 17.10.2017
Seit der Übergabe der britischen Kronkolonie an China 1997 bestitzt Hongkong noch immer freie Marktwirtschaft, weitgehende Meinungsfreiheit und eine hohe Autonomie von Peking. Auch über die Unabhängigkeit wird gesprochen, aber wohl nicht mehr lange.
In Hongkong fordert eine kleine Minderheit die Unabhängigkeit von China. Vor allem an den Universitäten der Stadt wurde das Thema bislang lebhaft diskutiert. Doch damit könnte bald Schluss sein: An mehreren Hochschulen der ehemaligen britischen Kolonie werden chinakritische Debatten inzwischen verhindert. Viele Professoren und Studenten sind entsetzt.
Bei einer Veranstaltung der Chinese University wird über die Unabhängigkeit diskutiert.
Bei einer Veranstaltung der Chinese University wird über die Unabhängigkeit diskutiert.© Steffen Wurzel
Eine Pressekonferenz unter freiem Himmel, auf dem Campus der Hongkonger Baptist University im Stadtteil Kowloon. Studentenvertreter, Politaktivisten und Anhänger der Hong Kong National Party sprechen über ihre Vorstellungen zur Zukunft der Sieben-Millionen-Einwohner-Stadt. 20 Jahre nachdem die ehemalige britische Kolonie eine autonom regierte Sonderverwaltungszone Chinas wurde, wollen die Aktivisten die Abspaltung von der Volksrepublik.
"Hongkong ist immer noch eine Kolonie. Eine chinesische. Seit 20 Jahren kolonisiert China uns."
Andy Chan, Chef der Hongkonger Splitterpartei National Party. Mehrheitsfähig ist deren radikale Forderung nach einem unabhängigen Stadtstaat Hongkong absolut nicht. Das geht selbst denen zuweit, die nicht wollen, dass der politische und kulturelle Einfluss Festlandchinas auf Hongkong weiter wächst.

Bald Schluss mit "Ein Land, zwei Systeme"?

Doch entscheidend ist: Selbst eine unpopuläre Forderung wie die nach Unabhängigkeit darf in Hongkong zumindest noch diskutiert werden. Denn in der Sonderverwaltungszone gilt das Prinzip "Ein Land, zwei Systeme". Anders als in Festlandchina herrschen in Hongkong Meinungs- und Pressefreiheit. Vor allem an den zahlreichen Universitäten der Stadt wird traditionell lebhaft, offen und engagiert diskutiert. Doch viele kritische Studenten und Professoren fürchten, dass damit bald Schluss sein könnte.
Zwei Frauen und drei Männer sitzen an einem Tisch vor der Mensa der Chinese University of Hong Kong. Sie diskutieren über die ihrer Ansicht nach schwindende Meinungsfreiheit an Hongkonger Universitäten. Ganz links am Tisch sitzt Li Ming.
"We want to defend the freedom of speech as lecturers and professors."
Wir wollen unsere Redefreiheit als Dozenten und Professoren verteidigen, sagt die 32-jährige Soziologiedozentin. Und Redefreiheit beinhalte eben auch die Freiheit, über eine mögliche Unabhängigkeit Hongkongs diskutieren zu dürfen.
"Die Situation verschärft sich. Mehr und mehr Rektoren und Personen des öffentlichen Lebens behaupten, man verletzte das Hongkonger Grundgesetz, wenn man die Unabhängigkeit fordere. All diese falschen Behauptungen. Den Leuten soll Angst gemacht werden, um zu verhindern, dass sie ihre Gedanken offen äußern."
Im Hongkonger Grundgesetz wurden nach dem Ende der britischen Kolonialzeit vor 20 Jahren die Autonomierechte der Sonderverwaltungszone festgeschrieben. In Artikel 1 heißt es:
"Die Sonderverwaltungszone Hongkong ist ein unveräußerlicher Teil der Volksrepublik China."
Vertreter der pro-pekinger Regierung Hongkongs leiten daraus auch ein striktes Verbot jeglicher Diskussion über das Thema ab. Junius Ho, ein pro-pekinger Abgeordneter des Hongkonger Parlaments, sorgte vor kurzem für Aufsehen, als er indirekt den Tod all derer forderte, die sich für Unabhängigkeit einsetzten.
"Wenn diejenigen, die die Unabhängigkeit wollen, das Schicksal unserer Nation unterwandern - wenn 1,3 Milliarden Menschen in unserem Vaterland dafür bezahlen müssten - warum sollten diejenigen dann nicht getötet werden dürfen?"
Äußerungen wie diese machen deutlich: An der Diskussion über Unabhängigkeit hat sich eine handfeste generelle Debatte über Meinungsfreiheit in Hongkong entzündet. Willy Lam, Professor an der Hongkonger Chinese University:
"Nur ein sehr geringer Anteil der Bevölkerung unterstützt die Unabhängigkeitsbewegung. Chinas Staatsführung um Xi Jinping nutzt die Uanabhängigkeitsbewegung als Vorwand, um die Meinungsfreiheit in der Intellektuellen- und Akademikerszene zu beschneiden."

Druck auf Universitäten wächst: "Kulturrevolution 2.0"

Im Büro von Ho Sik Ying im fünften Stock eines Gebäudes auf dem Geländer der Hong Kong University. Sie ist Professorin an der Fakultät für Soziologie. Spezialgebiet: Geschlechterforschung. Seit sie sich in der Hongkonger Pro-Demokratie-Bewegung engagiere, spreche man an der Uni aber immer häufiger über ihre Rolle als Aktivistin, statt über ihre Arbeit als Professorin, sagt sie:
"Auf meiner Stirn scheint geschrieben zu stehen: Störenfried. Einige Kollegen sagten mir sogar: Weil man sie gemeinsam mit mir beim Mittagessen gesehen habe, hätten sie Probleme bekommen. Ich denke, dass das ein bisschen übertrieben ist. Aber so ist ihre Wahrnehmung."
Hongkonger Universitäten schneiden bei internationalen Rankings sehr gut ab. Sie sind Stolz auf ihre traditionelle akademische Unabhängigkeit. Doch seit in Seminaren und in von Studenten organisierten Veranstaltungen immer wieder auch über eine mögliche Unabhängigkeit Hongkongs diskutiert wird, wächst der Druck aus Peking auf die Hongkonger Stadtregierung als Aufsichtsbehörde der Universitäten. Und die gibt ihn weiter an die Universitäts-Leitungen. Professorin Ho Sik Ying:
"Das ist Kulturrevolution 2.0. Wenn die Parteilinie in Peking vorgibt: Der Ruf nach Unabhängigkeit ist etwas Böses, dann muss man das so äußern. Man muss sich dann ausdrücklich von solchen Rufen distanzieren. Und man muss all die verurteilen, die Unabhängigkeit fordern. So läuft das!"
"Natürlich sollte man das Recht haben, über Unabhängigkeit zu diskutieren", sagt die 22-jährige Philosophie-Studentin Stephanie. Auch, wenn sie selbst dagegen sei. Aber, dass sich Studenten zusammensetzen und das Thema diskutieren, das sollte gefördert werden.
Die 32-jährige Soziologie-Dozentin Li Ming will das mit ihren Studierenden ausdrücklich weiterhin tun. Auch wenn sie selbst mit den Argumenten der Unabhängigkeitsaktivisten nicht viel anfangen kann.
"Nicht wirklich. Die Zeit ist nicht reif für Unabhängigkeit. Die meisten Unabhängigkeits-Unterstützer argumentieren mit sehr nationalistischen Argumenten. Damit stimme ich nicht überein."
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