Unabhängig aus Kalkül

Von Christoph Burgmer · 25.05.2006
1946 wurde das Königreich Jordanien unabhängig. Aus weltpolitischem Kalkül entließ Großbritannien das Land in die Eigenstaatlichkeit und Abdallah I. wurde inthronisiert.
"Ein Mann trat hinter einer großen Tür rechts von ihm hervor. Er sah ungewöhnlich aus. Er hielt eine Pistole in seiner Hand, und bevor jemand etwas tun konnte, schoss er. Er war nur zwei Yard entfernt, aber mein Großvater hat ihn nicht gesehen. Er war am Kopf getroffen und fiel sofort hin. Sein Turban rollte weg. Dann begann der Mann zu laufen. Als ich in seine Richtung stürzte, sah ich im Augenwinkel, dass die meisten der so genannten Freunde meines Großvaters nach allen Seiten flohen."

So erinnerte sich König Hussein von Jordanien später an das dramatische Ende seines Großvaters Abdallah. Dessen Ermordung beendete abrupt eine politische Karriere, deren Höhepunkt die Gründung eines unabhängigen jordanischen Staates war. Am 25. Mai 1946 wurde Abdallah als König Abdallah I. inthronisiert. Doch was so gewaltig klang, veränderte zunächst nicht viel. Der Generalbevollmächtigte der Britischen Regierung im Foreign Office in Amman, Sir Alec Kirkbride, spöttelte damals:

"Nachdem ich schon zwischen einigen untergeordneten Anstellungen in Palästina und Jordanien gewechselt hatte, wurde ich im Juni 1939 Britischer Gesandter in Amman. Als Jordanien dann 1946 unabhängig wurde, änderte sich nur mein Titel. Meine politischen Zuständigkeiten blieben dieselben. So wurde ich zum ersten britischen Minister im neuen haschemitischen Königreich."

Doch solcher Spott der britischen Kolonialoffiziere störte Abdallah wenig. Seit der Übernahme der Familiengeschäfte von seinem Vater im Jahr 1921 hatte er gelernt, jeder direkten Konfrontation mit der britischen Kolonialmacht aus dem Weg zu gehen. Im geheimen Sykes-Picot-Abkommen war nach dem Ersten Weltkrieg die östlich des Jordans liegende Region zum britischen Mandatsgebiet erklärt worden. Und auch das 1923 geschaffene Emirat Transjordanien, mit Zustimmung des Völkerbundes, war Resultat britischer geostrategischer Kolonialpolitik. Sein Emir war in den Augen der Weltöffentlichkeit eine Marionette der Weltmacht. Abdallah herrschte über ein Gebiet, in dem lediglich 300.000 Menschen lebten, davon nur 130.000 sesshaft. Man war loyal gegenüber seiner Religionsgruppe, seinem Stamm oder dem Königshaus, ein politisches nationales Denken existierte nicht. An die Jahre kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkrieges erinnerte sich der spätere König Hussein.

"Für unsere Familie war das Leben alles andere als leicht. Es gab Zeiten, in denen wir sehr arm waren. Niemand hatte ein privates Vermögen. Als ich ein Jahr alt war, brachte meine Mutter eine kleine Tochter zur Welt, die nach einem Monat in der bitteren Kälte des Ammaner Winters starb. Sie starb an Lungenentzündung, weil wir uns eine gute Heizung in unserem Haus nicht leisten konnten."

Abdallahs Ziel war ein unabhängiger Staat. Es war entscheidend, die verschiedenen ethnischen und kulturellen Gruppen zusammenzuführen. Außenpolitisch stand Abdallah fest zu Großbritannien, auch gegen die Politik anderer arabischer Protektorate. Innenpolitisch nutzte er seine angeblich bis auf den Großvater des Propheten Muhammad zurückreichende Herkunft und regierte wie ein absoluter Herrscher, trotz existierender Verfassung. Es gab kaum politische Parteien und keine zivile Administration. Der Emir lehnte den türkischen Kemalismus ab und setzte sich nach dem Zweiten Weltkrieg, gegen den Willen der arabischen Liga, für eine Teilung Palästinas ein. Soviel politische Treue zu Großbritannien verschaffte ihm in der Zeit des sich ankündigenden Kalten Krieges plötzlich neue Optionen. Die sowjetische Unterstützung eines eigenständigen kurdischen Staates schürte im Westen Ängste vor einem Vordringen des Kommunismus in die Ölregion des Mittleren Ostens.

"Russland verfolgt eine offensive Politik in Iran und Kurdistan. Sie hat vielleicht ihr Ziel im Persischen Golf und am Mittelmeer. Dagegen wäre es doch wünschenswert, eine Abwehrfront von der Türkei, Iran und Afghanistan herzustellen, mit Rückendeckung der arabischen Länder."

Seine Argumente überzeugten die Briten. Nicht nach einem Unabhängigkeitskrieg gegen die Kolonialmacht, sondern aus weltpolitischem Kalkül wurde Jordanien in die Eigenstaatlichkeit entlassen. Am 25. Mai 1946 wurde Abdallah zum König gekrönt und die offizielle Landesbezeichnung von "Emirat Transjordanien" in "Haschemitisches Königreich Jordanien" geändert.