Überwachung

"Das ist nicht mehr die Postkutschenzeit"

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Auch diplomatische Verwicklungen sollte die Bundesregierung nicht scheuen, findet Hoffmann-Riem. © picture alliance / dpa
Wolfgang Hoffmann-Riem im Gespräch mit Julius Stucke |
Der frühere Richter am Bundesverfassungsgericht, Wolfgang Hoffmann-Riem, hat die Bundesregierung zum Handeln in der NSA-Affäre aufgefordert. Selbst diplomatische Verwicklungen mit den USA solle sie nicht fürchten, wenn es um den Freiheitsschutz jedes Bürgers gehe.
Julius Stucke: Missstände aufdecken und sie beklagen – das ist der Anfang von Veränderung, aber ohne Handeln ändert sich nichts. Aufgedeckt wurde viel durch Edward Snowden über die NSA und andere Geheimdienste, über deren weltweites Datensammeln, beklagt wurde auch viel. Aber wie wird jetzt gehandelt? Was kann gegen die digitale Überwachung getan werden? Das wird heute Thema vorm NSA-Untersuchungsausschuss. Gehört werden dazu Verfassungsrechtler. Einer von ihnen, der frühere Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem, wir hören ihn jetzt. Ich grüße Sie, Herr Hoffmann-Riem!
Wolfgang Hoffmann-Riem: Guten Tag, Herr Stucke!
Stucke: Sie haben ein Gutachten vorgelegt für den Untersuchungsausschuss. Was ist der zentrale Punkt? Wie könnte Deutschland seine Bürger schützen?
Hoffmann-Riem: Zunächst mal muss man ja fragen, ob die Bürger geschützt sind nach jetzigem Recht, und wir haben in der Tat ja ein gutes Grundgesetz mit vielen Grundrechtsnormen wie Telekommunikationsfreiheit, Schutz auf informationelle Selbstbestimmung – aber das nützt alles nichts, wenn man nichts von Maßnahmen erfährt oder wenn die Maßnahmen extraterritorial, also außerhalb Deutschlands, durchgeführt werden.
Und deswegen muss man jetzt, in Zeiten der globalen Informationsinfrastrukturen, umdenken, den Grundrechtsschutz weiter ziehen, also globale Dimensionen bedenken und fragen, ob der Freiheitsschutz nicht am besten dadurch gesichert wird, dass Systemschutz gewährt wird, das heißt, dass man dafür sorgt, dass die Netze sicher sind, denn der einzelne Bürger kann ja die Sicherheit selbst nicht garantieren.
Und mit der Frage, welche Aufträge, welche Handlungsaufträge es im Grundgesetz dazu gibt, wie weit es welche im europäischen Recht gibt oder gar im Völkerrecht, das frage ich mich dann in meiner Ausarbeitung.
Stucke: Und zu welcher Lösung kommen Sie?
Internationale Akteure wie Google an europäisches Recht binden
Hoffmann-Riem: Die mag für die Bürger zunächst etwas unbefriedigend sein, weil es nicht sofort eine Lösung ablesbar aus den Gesetzen gibt. Aber es gibt eben Handlungspflichten. Wir Juristen sprechen davon, dass auch Grundrechtsnormen sogenannte objektivrechtliche Gehalte haben, das heißt, sie verpflichten die Staatsorgane, etwas zu tun, hier zum Schutz der Bürger, sie haben gewisse Gestaltungsmöglichkeiten dabei, aber es muss sicher sein, dass die Bürger ihre Freiheit auch so ausüben können, dass es reale Voraussetzungen dafür gibt. Und wenn heute Kommunikation digital und global erfolgt, dann ist das nicht mehr die Postkutschen-Zeit. Also brauchen wir andere Sicherungssysteme.
Wir müssen einmal darüber nachdenken, wie weit man auch internationale Akteure – nicht nur die NSA, möglicherweise auch solche wie Google – auch an deutsches und europäisches Recht bindet. Dazu hat der Europäische Gerichtshof gerade wichtige Entscheidungen getroffen.
Aber man muss vor allem fragen, ob die alte Netzphilosophie beim Internet noch richtig ist. Das Internet ist ja eine großartige Einrichtung und ich benutze sie auch sehr gern und ich finde auch, wir können gar nicht mehr auf das Internet verzichten. Aber die Gefährdungspotenziale, die wir jetzt erleben, die müssen versucht werden, zu bereinigen, und wenn das nicht auf globaler Ebene geht, dann müssen wir auch versuchen, auf europäischer Ebene oder auf deutscher Ebene Teile von Netzen sicher zu machen. Und dazu gibt es durchaus Ansatzpunkte, sowohl im deutschen, als auch im europäischen Recht.
Zahlreiche Netzwerkkabel stecken in einem Serverraum in Berlin in einem Netzwerkverteiler.
Ein eigenes europäisches Netz könnte helfen.© picture alliance / dpa / Matthias Balk
Stucke: Wie könnte man es denn europäisch lösen?
Hoffmann-Riem: Na, zunächst mal ist natürlich das Problem, dass man einen europäischen Konsens braucht, und wir wissen ja, dass nicht nur die NSA abgehört hat, sondern auch der britische Geheimdienst, übrigens auch der deutsche Bundesnachrichtendienst. Also sie sind alle irgendwie in einem Boot und sind – diese Geheimdienste – nicht daran interessiert, dass ihnen Schranken auferlegt werden. Also muss die Politik handeln.
Und das geschieht einmal natürlich dadurch, dass man sich überlegt: Wie weit reicht der gesetzliche Schutz, auch der Strafrechtsschutz, und wie weit kann der ausgedehnt werden auch auf ein Handeln, das außerhalb Deutschlands durchgeführt wird, aber Kommunikationsbeziehungen im Hinblick auf deutsche Kommunikation natürlich zum Gegenstand hat. Darüber hinaus wird man fragen müssen, ob nicht das Routing von den Verkehrsströmen so gesichert werden kann, dass Zugriffe Dritter möglichst ausgeschlossen werden oder dass man eigene dezentrale Netze baut.
Stucke: Also ein europäisches Netz?
Hoffmann-Riem: Das wäre eine Möglichkeit. Wer googeln will oder wer Computerspiele weltweit machen möchte, der braucht ja nicht unbedingt ein solches Netz, aber wer Wert darauf legt, dass seine Kommunikation nicht solchen Zugriffen ausgesetzt ist, der muss eine Alternative bekommen.
Stucke: Herr Hoffmann-Riem, ehrlich gesagt, mir fehlt immer noch dabei der konkrete Punkt: Was können wir tun? Denn Sie haben es gesagt, es ist ein globales Problem, aber wir haben gesehen: Die NSA hat kein Interesse und Amerika hat auch kein Interesse, daran grundlegend etwas zu ändern. Auf europäischer Ebene, haben Sie auch gesagt, da ist dann das Problem: Die Briten waren mit dem GCHQ auch nicht besonders sauber in dieser Affäre. Da komme ich als Bürger dann zurück auf das Land, in dem ich lebe, von dem ich auch einen gewissen Schutz erwarte: Was kann Deutschland konkret tun, um seine Bürger vor diesem Rechtsbruch zu schützen?
Regierung soll mehr Druck machen
Hoffmann-Riem: Zunächst einmal müsste die deutsche Regierung auch auf internationaler Ebene mehr Druck machen. Und es gibt ja Abkommen – die sind löchrig. Man muss versuchen, die eventuell zu verändern, zu kündigen, neue zu schließen. Und wenn das alles nicht geht, dann muss man auch einen nationalen Alleingang, was diese Netzsicherheit betrifft, versuchen. Dazu gibt es auch im Grundgesetz Anhaltspunkte.
Nur, wenn Sie fragen nach einer sofortigen Lösung: Die kann ich Ihnen nicht bieten. Es geht jetzt erst mal darum, den rechtlichen Boden dafür aufzubereiten, weil immer gesagt wird, so was geht schon rechtlich nicht. Die Frage der praktischen Umsetzung – das müssen die Telekommunikationsunternehmen dann, nach ihren Möglichkeiten natürlich auch, prüfen. Dazu bin ich nicht der Experte.
Aber Anstöße zu geben, einmal, dass es solche Aufträge für die Politik, für die Regierung gibt, aber auch für die Öffentlichkeit, hier Druck zu machen, ... Das ist ja ein Ding, das uns alle angeht, und ich vermisse beispielsweise die öffentliche Aufregung, die es bei der Volkszählung 1983 gegeben hat, dass die hier anhält, dass die Bevölkerung auch wirklich fordert, dass etwas geschieht. Aber Patentlösungen wird es nicht geben.
Stucke: Das ist der Blick in die Zukunft. Noch einmal ein Blick zurück, rückwirkend: Den bisherigen Rechtsbruch, muss man den juristisch angehen, sprich, klagen gegen die NSA und andere?
Diplomatische Verwicklungen mit USA in Kauf nehmen
Hoffmann-Riem: Ja, gegen die NSA wird man kaum klagen können, weil man kein Gericht dann hat. Natürlich gilt für jeden Mitarbeiter der NSA, der in Deutschland Maßnahmen durchführt, das deutsche Strafrecht. Einmal, wenn eine Strafrechtsnorm verletzt wird, ist es eine Aufgabe auch der Polizei, der Ordnungsbehörden, die abzuwehren. Dann gibt es die Möglichkeit der Strafverfolgung – allerdings: In solchen internationalen Dingen kann die Staatsanwaltschaft aus Gründen des öffentlichen Interesses von Verfolgungsmaßnahmen absehen.
Aber mir scheint angesichts der Massivität der Freiheitsgefährdung, die wir hier erleben, kein wirklicher, rechtfertigender Grund, von Strafverfolgungsmaßnahmen abzusehen, ... Man muss auch in Kauf nehmen, dass es diplomatische Verwicklungen etwa mit den USA gibt. Wir müssen auch unsere Rechtsordnung in dem Sinne ernst nehmen, dass wir jedem gegenüber deutlich machen: Sie gilt für jeden, der in Deutschland gegen Gesetze verstößt, so wie für Deutsche auch für Ausländer.
Stucke: Wie können die Bürger vor Überwachung geschützt werden? Dazu der frühere Verfassungsrichter Wolfgang Hoffmann-Riem. Er wird heute vor dem NSA-Untersuchungsausschuss gehört. Herr Hoffmann-Riem, ich danke Ihnen sehr fürs Gespräch und einen erfolgreichen Tag!
Hoffmann-Riem: Ja, vielen Dank, Herr Stucke. Auf Wiedersehen!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.