Über das Für und Wider der Religion

26.08.2009
"Was würde es für unsere Kultur bedeuten, wenn wir unsere religiösen Wurzeln kappten?" Antwort: "Wie sollte das denn gehen? Durch Kirchenschließungen, Bilderstürme, Bücherverbrennungen oder drakonische Umerziehung wie bei den Sowjets? Es geht vielmehr um die Tatsache, dass diese Wurzeln weitgehend abgestorben sind und fast keinen kulturellen Lebenssaft mehr transportieren!"
Der das bedauert, ist kein evangelischer Bischof, sondern Herbert Schnädelbach aus Hamburg. Ein 73-jähriger emeritierter Professor für Philosophie, studierter Germanist, Historiker und Soziologe, der bei Theodor W. Adorno promoviert hat und im Jahre 2000 einen Artikel in der "Zeit" veröffentlichte unter dem Titel "Der Fluch des Christentums. Die sieben Geburtsfehler einer altgewordenen Religion".

Das Echo hallt noch immer durch den Blätterwald, denn seither gilt Herbert Schnädelbach vielen Atheisten als Speerspitze gegen alle Religion. Das aber wollte der gar nicht sein, sondern, Zitat, "ein nachdenklicher, irreligiöser Sympathisant der Religion". Nanu ?

Klärung bringen jetzt 13 Aufsätze und Reden von Herbert Schnädelbach in einem Buch. Weder thematisch noch chronologisch geordnet, mit langweiligem Cover und hochtrabendem Titel, aber: voll hinreißender Gedanken, präziser Beobachtungen und geradezu altersweisen Thesen. Zitat:

"Was Aufklärung als Religionskritik von jeher sein wollte: Berichtigung und Reform des Religiösen und nicht einfach Religionsvernichtung. Aufklärung im Sinne Immanuel Kants als Ausgang aus der Unmündigkeit war schon im Judentum und erst recht im Christentum von vornherein als Ziel enthalten: Sie sind Religionen der Freiheitsverheißung. Die meisten Aufklärer verstanden sich keineswegs als neue Heiden, sie waren gläubige Christen, bestanden aber darauf, dass das Geglaubte mit den Ansprüchen der mündigen Vernunft vereinbar sein müsse."

Gleich zu Beginn – und das ist für Laien die Lesehürde, weshalb ich empfehle, das Buch von hinten anzufangen – unterscheidet Herbert Schnädelbach die Begriffe Vernunft und Sinn, Wahrheit und Evidenz, Aufklärung und Moderne, Religion und Glaube. Beim Stichwort "Glauben" unterscheidet er zwischen "faith", lateinisch "fides" - also einem Zustand des Bewusstseins, einer Beziehung, einer Gewissheit - und den "beliefs", lateinisch "opinio" - also Überzeugungen und Grundsätzen. Wer den Glauben als ein dummes Fürwahrhalten kritisiert, trifft jene Gläubigen nicht, die Glauben als ein Vertrauensverhältnis leben und er-leben.

Natürlich: Papst Benedikt im Gespräch mit Jürgen Habermas, Philosoph Robert Spaemann und sein vermeintlicher Gottesbeweis, Bischof Wolfgang Huber und seine Rede von der "Wiederkehr der Religion" – sie alle bekommen von Herbert Schnädelbach kräftig eins auf den Hut. Aber – und das hat mich überrascht– er geht eben auch mit den "konfessionellen Atheisten", wie er sie nennt, des Humanistischen Bundes und der Giordano-Bruno-Stiftung ins Gericht:

"Deren Atheismus war mal das Denkmal einer Befreiung gewesen, einer Gottlosigkeit im Sinne des ‚Endlich sind wir den Alten los!’ So viel Frohsinn aus dem 19. Jahrhundert ist dem modernen, dem frommen Atheisten verdächtig, denn er bedenkt die Kosten: Sein Unglauben ist das Denkmal eines Verlustes. Die Frömmigkeit des heutigen Atheisten besteht darin, dass er das Verlorene religiös ernst nehmen muss."

Das Verlorene religiös ernst nehmen? Wie man das machen soll, sagt Herbert Schnädelbach auch:

"Es empfiehlt sich ein dritter Weg zwischen Gottesglaube und Atheismus hindurch: Wir sollten so leben, dass wir die Existenz eines gerechten und gütigen Gottes durch unser Tun glaubwürdig machen und im Übrigen die Frage, ob Gott ist und wo er ist auf sich beruhen lassen. Von einer Antwort hängt dann nichts weiter ab."

Eine schlecht editierte, intellektuell anspruchsvolle, aber unbedingt lesenswerte Lektüre, finde ich.

Besprochen von Andreas Malessa

Herbert Schnädelbach: Religion in der modernen Welt
Fischer Verlag, Frankfurt 2009
189 Seiten, 12,95 Euro