Türkei verbannt Charles Darwin aus den Schulen

"Das sind einfach dumme Leute, die das Sagen haben"

Die Evolution des Menschen
In der Türkei und in Polen setzen sich die Evolutionskritiker durch und wollen Charles Darwin und seine naturwissenschaftlichen Erkenntnisse aus den Schulen verbannen. © picture alliance / dpa / De_Agostini/Photoshot
Ernst Peter Fischer im Gespräch mit Ute Welty · 27.06.2017
Der Diplomphysiker Ernst Peter Fischer hat die Evolutionstheorie von Charles Darwin verteidigt. Der frühere Professor für Wissenschaftsgeschichte sprach von "Borniertheit" in Polen oder der Türkei, wenn dort Darwin aus dem Schulunterricht genommen werde.
Die Evolutionstheorie Charles Darwins soll ab 2019 aus den türkischen Schulbüchern verschwinden. Der neue Lehrplan wird am heutigen Dienstag vorgestellt, der von Staatspräsident Recep Tayyip Erdoğan bereits abgesegnet sein soll. Die Evolutionstheorie sei für Schüler dieses Alters zu kontrovers und kompliziert und sowieso umstritten, hieß es zur Begründung aus dem türkischen Bildungsministerium. Daher solle das Kapitel aus dem Biologieunterricht entfernt werden. Darwins Lehre von der Entstehung der Arten werde erst später an der Universität gelehrt. Auch in Polen gibt es solche Bestrebungen, Darwin aus den Schulbüchern zu verdammen.

Rückfall in frühere Zeiten

Für den Diplomphysiker Ernst Peter Fischer spricht diese Entscheidung allein von "Borniertheit". Der emeritierte Professor für Wissenschaftsgeschichte sagte im Deutschlandfunk Kultur: "Das sind einfach dumme Leute, die das Sagen haben und die jetzt meinen, sie könnten jetzt etwas besonders machen, in dem die Darwin wieder ins 19. Jahrhundert zurück katapultieren." Dabei sei der Evolutionstheoretiker im 19. Jahrhundert von der Kirche anerkannt und in Westminister beerdigt worden. Der damalige Pfarrer habe gesagt, dass Darwin der Welt gezeigt habe, dass Gott die Welt so gemacht habe, dass sie sich selbst machen könne. "Das ist das einzige, was Darwin getan hat", sagte Fischer. Der Evolutionsforscher habe versucht zu verstehen, wie Lebewesen sich durchsetzen mussten.

Mehr Marketing für Naturwissenschaften

"Naturwissenschaftliche Erkenntnisse haben immer das Problem, dass sie schwierig sind, dass sie sich gegen den gesunden Menschenverstand richten", sagte Fischer. Deshalb richte sich die Erkenntnis oft gegen die eigene Trägheit und dagegen müsse man sich wehren. "Die Naturwissenschaften machen vielleicht ein schlechtes Marketing und das sollte man vielleicht mal überlegen."

Das Interview im Wortlaut:

Ute Welty: "I think" (Ich denke) schrieb Charles Darwin 1837 in sein Notizbuch, darunter eine Zeichnung irgendwo zwischen dem Spätwerk Picassos und dem Frühwerk von Paul aus der Kita. Darwin hatte seinen ersten Stammbaum des Lebens entworfen, der bislang in keinem Schullehrplan fehlen durfte – bisher –, denn sowohl die Türkei als auch Polen gehen jetzt andere Wege oder beabsichtigen dies zumindest. Darwins Werk und seine Erkenntnisse stehen in der Kritik, und das beileibe nicht zum ersten Mal. Sigmund Freud als der Vater der Psychoanalyse beispielsweise bezeichnete die Evolutionstheorie als eine der drei Kränkungen der Eigenliebe der Menschheit.
Warum Darwin offensichtlich für Teile dieser Menschheit nach wie vor oder wieder eine Provokation darstellt, das kann ich jetzt mit dem Diplomphysiker Ernst-Peter Fischer besprechen, langjähriger Professor für Wissenschaftsgeschichte und Autor von Büchern wie "Gott und der Urknall". Guten Morgen, Herr Fischer!
Ernst-Peter Fischer: Guten Morgen, Frau Welty!
Welty: Was vermuten Sie als Grund dafür, dass Darwin jetzt sowohl in der Türkei als auch in Polen in Ungnade fällt und dass seine Erkenntnisse nicht mehr weiter verbreitet werden sollen?
Fischer: Also wenn Sie mich böse antworten lassen wollen, ist es einfach Borniertheit. Ich glaube, das sind einfach dumme Leute, die das Sagen haben und die jetzt meinen, sie könnten was Besonderes machen, indem sie Darwin wieder ins 19. Jahrhundert zurückkatapultieren. Dabei ist das im 19. Jahrhundert schon viel besser gelöst worden. Darwin ist ja bekanntlich in Westminster beerdigt worden, also der ist von der Kirche anerkannt worden, und der damalige Pfarrer hat da gesagt, Darwin hat gezeigt, nicht dass Gott die Welt gemacht hat, sondern dass Gott die Welt so gemacht hat, dass sie sich selbst machen kann.
Und das ist das Einzige, was Darwin getan hat. Das ist überhaupt nichts gegen Gott, das ist ein großartiger Entwurf, um zu verstehen, wie eine Welt entstehen kann, zu der wir auch gehören. Die Leute, die das ablehnen wollen, also die Türken und die Polen, das sind einfach bornierte kleine Leute. Die sind dumm, und da sollte man sich nicht weiter drum kümmern.

Kritik an Sigmund Freud

Welty: Aber solche Leute gibt es auch beispielsweise in den USA.
Fischer: Die gibt es massenhaft in den USA, weil da immer so Leute rumlaufen, dass sie die Besten sind, die Höchsten sind, die Größten sind. Und auch die Idee von Sigmund Freud ist dumm. Wenn Sigmund Freud sagt, dass Darwin gesagt hat, dass der Mensch nicht mehr sozusagen die Krone der Schöpfung ist, dann ist es einfach so, dass der Mensch natürlich an der Spitze der Schöpfung steht, aber er hat sich selbst da hingebracht. Das ist doch eine viel stolzere Erklärung. Es ist sowieso in vielen Fällen Irrtum, wissenschaftliche Fortschritte als etwas antireligiöses oder antichristliches zu bezeichnen.
Zum Beispiel die berühmte Idee von Kopernikus, den Menschen aus der Mitte der Welt zu nehmen, ist ja nicht, dass der Mensch von einer zentralen, guten Position wegkommt, sondern von einer schlechten, denn in einer Welt, wo die Erde in der Mitte ist, ist das der tiefste Punkt, zu dem sie fallen könne. Und wenn Sie die Erde jetzt um die Sonne sich kreisen lassen, dann bewegen Sie die Menschen näher zu Gott, denn Gott ist oben. Und was Darwin getan hat, hat den Menschen eine höhere, göttlichere Position gegeben. Wir müssen das nur richtig verstehen. Deshalb glaube ich, dass Sigmund Freud, die Türken und die Polen dumm sind, und wir plappern das dumme Zeug nach, und das ist das, was mich ärgert.
Welty: Ja, das merkt man, dass Sie das ärgert. Woran liegt das denn, dass Darwin offensichtlich immer wieder falsch verstanden wird, missinterpretiert, oder vermuten Sie da auch eine Absicht dahinter, dass er eben so ausgelegt wird?
Fischer: Nein, das ist keine Absicht. Ich glaube, das ist, weil sie einfach von diesem Satz schockiert sind, der am Anfang mal gefallen ist, dass Darwin gesagt hat, die Menschen stammten von Affen ab. Da gibt es auch einen schönen Witz dazu: Eine Frau sagt, was, Darwin hat gesagt, wir stammen vom Affen ab, hoffentlich stimmt das nicht. Und wenn es stimmt, hoffentlich erfährt das keiner. Wir stammen doch nicht so in dem Sinne vom Affen ab, dass da irgendein Affe mal einen Menschen gezeugt hat, sondern das ist ein viel komplexerer, komplizierterer Vorgang, und das ganze evolutionäre Geschehen des Lebens ist eine unheimlich spannende Geschichte, die die Wissenschaft noch erforschen kann.
Was ich persönlich nur glaube, ist, dass die Menschen immer noch so das Gefühl haben, es müsste alles ewig und unveränderlich sein, und sie sind sozusagen diejenigen, die das bestimmen. Das hat Platon schon gedacht, das ist dieser Platonismus, der furchtbar ist, der sozusagen das Wesentliche ist, das Unveränderliche, das ist das Christentum, das an dieser Stelle einfach furchtbares Zeug redet, dass es die ewige, unveränderliche, unverbesserliche Schöpfung ist. Es ist nicht so. Das Leben kann nur bestehen, weil es sich ändert. Die Erde ändert sich, und das Leben auf der Erde muss sich ändern. Es ist eine flexible, dynamische, evolutionäre Geschichte, die wir lernen müssen. Das kostet ein bisschen Hirnkraft, und die fehlt an den Stellen, wo jetzt der Darwin wieder abgeschafft werden soll. Denen fehlen einfach … Die Leute sind dumm. Punkt.

Der Kampf ums Überleben

Welty: Darwin wird ja oft bezeichnet als derjenige, der das Recht des Stärkeren propagiert, was ja dann auch wiederum in den Sozialdarwinismus mündet.
Fischer: Das hat Darwin überhaupt nicht gesagt, das ist eine Unterstellung. Darwin hat niemals gesagt, dass aus der …
Welty: Ich habe nur gesagt, er wird oft bezeichnet als derjenige.
Fischer: Ja, weil er einen Satz von einem Philosophen übernommen hat, der von dem Überleben des Tüchtigsten spricht, aber das ist ja eine Tautologie, wie man auch weiß. Darwin hat was ganz anderes gemacht: Darwin hat versucht zu verstehen, wie Lebewesen sich durchsetzen müssen. Der Kampf ums Überleben fängt doch bei jedem von uns an, schon wenn Sie morgens aufstehen. Die Tasse Kaffee müssen Sie sich selbst holen, das hat Darwin gesagt, die bringt Ihnen keiner.
Welty: Fürchten Sie, dass die Art der Ablehnung von naturwissenschaftlichen Erkenntnissen jetzt noch weiter um sich greift?
Fischer: Ich meine, das hat es immer mal wieder gegeben. Ich glaube, das könnte auch kommen. Naturwissenschaftliche Erkenntnisse haben immer irgendwie das Problem, dass sie schwierig sind, dass sie gegen den gesunden Menschenverstand sich richten, sodass derjenige, der die Natur so erkennen will, wie die Wissenschaften das machen, auch etwas gegen seine eigene Trägheit machen muss, und gegen die Trägheit kämpfen selbst die Götter vergebens.
Ich glaube, dass das Ablehnen der Naturwissenschaften nur eine Trägheit von bestimmtem Denken zeigt, und da muss man sich natürlich gegen wehren. Die Naturwissenschaften machen vielleicht ein schlechtes Marketing, und das sollte man mal überlegen.

Abstammung der Arten

Welty: Was empfehlen Sie denn jetzt, um sinnvoll und effektiv diese Art von Ansinnen zu entkräften, damit wir nicht immer wieder von vorne anfangen müssen?
Fischer: Also ich würde mich erst mal erkundigen, was man dadurch verstanden hat. Sehen Sie, zum Beispiel Darwin hat einen Vorschlag gemacht einer evolutionären Abstammung der Arten im 19. Jahrhundert. Da kannte man überhaupt noch nichts von Genetik und Genen. Jetzt hat man die weiter untersucht, und jetzt haben diese ganzen Untersuchungen, also eine unheimliche Fülle von Daten, Darwin glänzend bestätigt in der Richtung.
Die ganze Antibiotika-Resistenz, all diese Dinge können wir sowieso nur verstehen, die Entstehung von Krebs nur verstehen, wenn wir den evolutionären Gedanken einschieben. Wollen Sie etwa sagen, dass Gott den Krebs gemacht hat, um den Menschen zu strafen? Auf welchem Niveau diskutieren denn die Türken und Polen?
Welty: Die Evolutionstheorie von Charles Darwin steht einmal mehr in der Kritik. Zu Unrecht, sagt der Diplomphysiker und Wissenschaftshistoriker Ernst-Peter Fischer. Dafür herzlichen Dank für dieses Gespräch!
Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandfunk Kultur macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

Ernst Peter Fischer, Gott und der Urknall. Religion und Wissenschaft im Wechselspiel der Geschichte, Herder Verlag, 24,99 Euro.

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