Trumps Mexiko-Pläne

Eine Mauer, die Jobs und Träume zerstören würde

Zaun an der Grenze zwischen Mexiko und den USA: "Auch auf dieser Seite gibt es Träume" steht links.
Zaun an der Grenze zwischen Mexiko und den USA: "Auch auf dieser Seite gibt es Träume" steht links. © Foto: Nicole Graaf
Von Nicole Graaf · 26.04.2017
Eine "große, schöne Mauer" nach Mexiko war Donald Trumps prominentestes Wahlversprechen. Sie würde auch Berufspendlern das Leben schwer machen – den Mexikanern genauso wie den US-Amerikanern.
Die Grenze zwischen Tijuana und San Diegos Stadtteil San Ysidro gilt als eine der am stärksten frequentierten der Welt. Täglich überqueren hier rund 70.000 Fahrzeuge und 20.000 Fußgänger den Übergang von Mexiko in die USA. Ab etwa halb vier am Morgen bilden sich lange Schlangen von Pendlern, die in Tijuana und Umgebung leben, aber drüben in San Diego arbeiten. In der Rush Hour zwischen fünf und sieben Uhr morgens kann die Einreise in die USA zuweilen drei Stunden dauern. Neben diesem größten Übergang gibt es in Tijuana noch zwei weitere, um die Flut an Autos, LKW und Fußgängern zu bewältigen. Ein vierter ist in Planung.
David Arredia steckt in einem grünen Arbeitsanzug. Er ist Landschaftsgärtner drüben in San Diego. Um sechs muss er auf der Arbeit sein:
"Ich stehe jeden Morgen sehr früh auf, damit ich die Grenze in nur fünf bis 15 Minuten überqueren kann. So gegen halb vier am Morgen stelle ich mich an. Ich mache das jeden Tag seit zwei Jahren."
Die Krankenschwester Lu, die nur ihren Vornamen nennen möchte, hat vor zwei Wochen ihren neuen Job angetreten:
"Vorher, als ich meine Ausbildung gemacht habe, musste ich nur dreimal pro Woche rüber und die Schlange war um die Zeit nicht so lang. Jetzt fange ich um sieben an zu arbeiten und komme um fünf oder sechs um die Grenze zu überqueren. Das muss ich, denn manchmal dauert es sehr lange."

Die Amerikaner kommen zum Feiern

Der Grenzübertritt gehört für Tausende zum Alltag. In Mexiko sind die Lebenshaltungskosten wesentlich niedriger: Eine vierköpfige Familie kommt dort mit rund 6000 bis 7000 US-Dollar im Jahr gut über die Runden; in San Diego kostet allein die Miete für ein Ein-Zimmer-Apartment zwischen 1000 und 2000 Dollar im Monat. In den USA finden sich jedoch wesentlich besser bezahlte Jobs. Deshalb pendeln viele Mexikaner täglich zum Arbeiten dort hin.
Auch zum Einkaufen fahren sie gern hinüber. Vor allem Elektronikartikel sind wegen der niedrigeren Steuern in den USA günstiger. US-Amerikaner im Gegenzug kommen rüber nach Mexiko zum Feiern: Das ist dort viel billiger und man darf ab 18 Jahren Alkohol trinken, nicht erst ab 21 wie in den USA. Und viele aus der Grenzregion gehen im Nachbarland zum Arzt, weil auch die Kosten für medizinische Behandlungen sehr viel günstiger sind.
Guillermo Olíman schätzt es, dass er in Tijuana mehr Lebensqualität für weniger Geld bekommt. Der 44-Jährige hat die doppelte Staatsbürgerschaft und lebt in Playas de Tijuana, einer ruhigen gehobenen Wohngegend. Olímans Apartment liegt zehn Minuten zu Fuß vom Strand entfernt. Derzeit baut er ein Haus für sich und seine Eltern. Drüben in San Diego könnte er sich das niemals leisten. Olíman arbeitet dort als Busfahrer, früher für ein Reiseunternehmen. Jetzt steuert er für einen Eventveranstalter einen Partybus durch die Stadt:
"Diese Limousinenbusse gibt es außerhalb der USA nicht, von daher habe ich keinen Vergleich. Aber als ich für das Reiseunternehmen gefahren bin, habe ich etwa 300 bis 400 Dollar pro Tag verdient. Hier in Mexiko würde ich vielleicht 50 Dollar bekommen."
Am Grenzübergang zwischen Tijuana und San Diegos Stadtteil San Ysidro stauen sich die Pendler.
Am Grenzübergang zwischen Tijuana und San Diegos Stadtteil San Ysidro stauen sich die Pendler.© Foto: Nicole Graaf
Viele der Pendler hier sind nervös, seit US-Präsident Donald Trump die Wahl gewonnen hat, wegen dessen scharfer Rhetorik gegen Einwanderer und insbesondere gegen Mexikaner. Trump plant, an der Grenze zu Mexiko eine Mauer bauen lassen, um die illegale Einwanderung zu stoppen. Zwischen Tijuana und San Diego schützt bereits ein vier Meter hoher und mehrfach gesicherter Zaun die Grenze, aber nur ein paar Kilometer außerhalb des Stadtzentrums wird er von einem einfachen und niedrigeren Zaun abgelöst. Weite Teile der 3200 Kilometer langen Grenze zwischen den USA und Mexiko sind mit solchen Zäunen, aber zusätzlichen Kameras, Patrouillen und Drohnen gesichert. Manche Abschnitte, vor allem in unwirtlichen Gegenden wie Wüsten und Bergen, haben jedoch nur eine grüne Grenze. Zwischen 30.000 und 70.000 Menschen pro Monat sind in den letzten fünf Jahren beim illegalen Übertritt geschnappt worden. Wie viele es geschafft haben, ist unklar.
Die meisten der illegalen Einwanderer sind einst mit einem Touristenvisum in die USA eingereist und nach dessen Ablauf einfach geblieben. Wie viel da eine neue Mauer bringen würde, ist fraglich . Die Pendler in den Grenzstädten fürchten denn auch weniger die Mauer; sie machen sich Sorgen, ob in Zukunft an den Übergängen schärfer kontrolliert wird. Mit seiner amerikanischen Staatsbürgerschaft kümmern Guillermo Olíman die Einwanderungsgesetze der USA wenig, aber andere wird es hart treffen, glaubt er.
"In my case, as an American citizen, I really don't care, because I'm not gonna be affected.”
"Die, die mit Touristenvisa jeden Tag rüberfahren, vor allem morgens: die werden sie sich als erstes vornehmen, denn es ist klar, dass sie zum Arbeiten rübergehen. Und dann könnte es auch die mit einer Greencard treffen, denn sie sollten eigentlich in den USA leben, nicht in Mexiko."
Eine Greencard bekommt nur, wer tatsächlich auch in den USA lebt. Bekommen die Behörden mit, dass jemand von Mexiko aus pendelt, kann die Greencard entzogen werden. Es gibt zwar auch Greencards mit Pendlerstatus; mit der darf man offiziell in Mexiko oder auch Kanada leben, aber in den USA arbeiten. Doch diese Greencardkategorie zu beantragen, erfordert eine Menge Bürokratie und Kosten. Und: Wer später die amerikanische Staatsbürgerschaft beantragen möchte, kann es schwerer haben; um sie zu bekommen, muss man mindestens fünf Jahre permanent in den USA gelebt haben. Die Zeit im Pendlerstatus wird abgezogen.

Jobs, die nicht auffallen

Deshalb pendeln viele einfach mit der normalen Greencard und melden ihren Wohnsitz in Mexiko nicht. Mexikanische Staatsbürger ohne Greencard brauchen ganz regulär ein Visum, um in die USA einzureisen. Wer nah an der Grenze lebt, ein gewisses Vermögen nachweisen kann und dass er in Mexiko verwurzelt ist – etwa durch ein eigenes Haus oder durch die Familie – hat gute Chancen auf ein Langzeitvisum. Das ermöglicht beliebig viele Grenzübertritte, berechtigt jedoch nicht zum Arbeiten. Viele nutzen dieses Visum jedoch genau dafür, vor allem für Jobs, die nicht auffallen, wie Kindermädchen, Haushaltshilfe, private Altenpflege.
Selbst manche, die die amerikanische Staatsbürgerschaft haben, sind besorgt, dass sich die Situation unter Trump verschärfen könnte, wie die 28-jährige Diana Guevara. Sie arbeitet als therapeutische Masseurin in San Diego und besitzt seit ihrer Geburt den amerikanischen Pass und zwar allein den. Sie lebt auch lieber in Mexiko als im viel teureren San Diego, aber sie beobachtet zunehmend Probleme, wenn sie die Grenze überquert:
"Die packen uns hart an, selbst uns US-Bürger, jeden, der etwas anders aussieht. Vor kurzem wurde mein Pass gestohlen, und jetzt habe ich jedes Mal Probleme, wenn ich über die Grenze will. Sie befragen mich sehr lange, um sicherzugehen, dass es wirklich ich bin. Und ich denke mir: Hey, ich komme jeden Tag hierher, ihr seht mich hier jeden einzelnen Tag und jedes Mal schickt ihr mich zur Zweituntersuchung."
Als Reaktion auf Trumps Tiraden gegen Mexikaner haben die mexikanischen Grenzbehörden angefangen ihrerseits US-Bürger strenger zu kontrollieren, erzählt Guevara. Früher reichte ihr ein einfacher Ausweis, um nach Mexiko zu fahren. Jetzt braucht sie einen Reisepass:
"Ich wurde einmal von Mexiko aus abgeschoben, weil ich keinen Reisepass hatte. Sie haben mich vier Stunden in die Zange genommen. Sie haben mich gefragt, warum die USA die Mexikaner nach Papieren fragen können, sie uns aber nicht kontrollieren sollen. Sie haben ja recht, ich hätte einen Reisepass dabei haben sollen, aber sie sollten uns nicht gerade so hart anfassen. Diese ganze Situation mit der Grenze wird in letzter Zeit sehr ungemütlich."

Furcht vor der Grenzpolizei

Es sind nicht nur die individuellen Pendler, die sich Sorgen machen. Auch Unternehmen sind betroffen. Der 36-Jährige José leitet eine Werbeagentur, die ihren Sitz sowohl in San Diego, als auch in Tijuana hat. José ist nicht sein richtiger Name. Den möchte er nicht nennen, aus Angst um sein Geschäft, da er nicht weiß wie sich die ganze Situation weiter entwickeln wird. José lebt in San Diego; er kam als Kind mit seinen Eltern in die USA und hat seit seinem 21. Lebensjahr die amerikanische Staatsbürgerschaft. Aber die Furcht vor der Einwanderungsbehörde scheint bei ihm tief zu sitzen:
"Die Grenzpolizei ist immer so drauf: Wenn einer schlechte Laune hat, kann er es an dir auslassen. Bloß weil ihnen etwas nicht an jemandem gefällt, können sie ihn zur Zweitkontrolle schicken. Meine Mutter sieht aus wie eine typische Mexikanerin und hat einen Akzent. Jedes Mal, wenn ich mit ihr die Grenze überquere, werden wir in die Zweitkontrolle geschickt. Das dauert ungefähr eine Stunde und wie sie mit Dir umgehen, kann einem Angst machen. Ich will mir das einfach ersparen. Deshalb fahre ich nur rüber, wenn es unbedingt notwendig ist. Früher bin ich etwa einmal die Woche gefahren. Jetzt war ich seit September nicht mehr dort."
Vielleicht ist seine Angst ein wenig übertrieben, aber so fühlen derzeit viele. José macht sich auch Sorgen, dass ein strengeres Grenzregiment sein Geschäft negativ beeinflussen könnte. Die meisten seiner Grafiker sitzen in Tijuana und haben allein die mexikanische Staatsbürgerschaft. Sie bedienen von dort aus aber auch Projekte seines US-Büros und müssen häufig für Meetings oder Gespräche mit Kunden nach San Diego kommen.
"Wir arbeiten noch recht altmodisch und treffen uns gern persönlich. Wir könnten natürlich auch skypen und machen das auch manchmal. Aber es ist etwas anderes, ob man darauf angewiesen ist, oder ob man das einfach mal macht, weil es bequemer ist. Es wird also nicht mehr so leicht sein, Teammeetings zu halten. Wir müssen abwarten, welche Konsequenzen das haben wird, ob unsere Qualität darunter leiden wird. Man möchte ja meinen, dass es durchaus seinen Sinn hat sich persönlich zu treffen."
Nicht nur für Treffen könnte es in Zukunft schwieriger werden, auch der Warenfluss könnte gestört werden, fürchtet José.
"Einige unserer Materialien kommen aus Tijuana. Zum Beispiel, wenn wir einen Kunden haben, der 10.000 Flyer drucken lassen will, dann holen wir auch Angebote von Druckereien in Tijuana ein. Und das sind meist die besseren Preise. Das mag aber in Zukunft nicht mehr gehen, weil es vielleicht zu schwierig wäre, sie von dort rüberzubringen. Falls die Regeln verschärft werden, würde uns das also viele Möglichkeiten und Vorteile kosten."
Und, was vielen Unternehmen auf US-Seite vielleicht nicht bewusst ist: Wenn der Grenzverkehr beschränkt würde, würde sie das sehr viele Kunden kosten, sagt José.
"Wir bieten unseren Klienten an, auch drüben in Mexiko Werbung zu schalten, aber viele sagen:" Ach auf die paar Kunden von da bin ich nicht angewiesen"; ich denke mir dann: "Ehrlich? Du würdest dich wundern, wie viele deiner Kunden von dort kommen."
Adriana Eguía leitet die Tijuana Economic Development Corporation
Adriana Eguía leitet die Tijuana Economic Development Corporation© Foto: Nicole Graaf
Würde man die Grenze entfernen, würden Tijuana und San Diego zu einem großen Ballungszentrum verschmelzen. Ähnlich sieht es etwa 180 Kilometer weiter westlich aus, wo Mexicali, die Hauptstadt des mexikanischen Bundesstaates Baja California, direkt an ihre Schwesterstadt Calexico grenzt. Ihre Namen spiegeln die Verbindung zwischen Mexiko und Kalifornien wieder. Und auch Ciudad Juarez und El Paso weiter im Inland des Kontinents sind geographisch, wirtschaftlich und kulturell eng miteinander verknüpft.
In Tijuana kümmert sich Adriana Eguía um die wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der Schwesterstadt San Diego. Eguia leitet die Tijuana Economic Development Corporation, eine Nonprofit Organisation, die Investoren hilft, in der Region Produktionsstätten aufzubauen. Viele internationale Konzerne unterhalten in und um Tijuana Fabriken, die für den US-Markt produzieren, so genannte Maquiladoras. Dort werden Teile, die in den USA und Übersee gefertigt wurden, zusammengebaut. Eguía sieht viele Vorzüge für Tijuana als Wirtschaftsstandort.
"Zum einen ist es die günstige Lage, zum anderen die Fähigkeiten. Am Anfang gab es ein paar Visionäre, die begannen, mit recht einfachen Arten von Fabrikproduktion: Textilien, Plastik und Elektronik. Dann entwickelten wir uns weiter, die Universität brachte mehr Ingenieure hervor. Jetzt bieten wir Produktionsstätten für sehr komplexe Produkte an. Unser wichtigster Sektor sind Medizinprodukte und medizinisches Gerät. Wir sind eines der größten Zentren weltweit für diese Produktion. Danach kommen die Luftfahrttechnik, Automobile und Elektronik."

Was ein Einfuhrzoll bedeuten würde

Die Maquiladoras, in denen diese Produkte hergestellt werden, sind deshalb so profitabel, weil sie ihre Produkte bisher zollfrei in die USA exportieren können. Das funktioniert dadurch, dass die Komponenten von dort nach Mexiko eingeführt und dort nur zusammengebaut wurden. Wenn Trump nun wie angekündigt die Einfuhrzölle für Waren aus Mexiko verschärft, dann wären sie besonders betroffen. Er sprach von 20 Prozent als Zollwert.
"Wir arbeiten gerade an einer Studie, um herauszufinden, wie hoch unsere Preisvorteile bisher sind. Wir schätzen, dass man hier zwischen 25 und 40 Prozent billiger produzieren kann als in den USA. Wenn man dann also die 20 Prozent Zölle darauf erheben würden, dann hätten wir zwar nicht mehr den Preisvorteil wie bisher, wären aber immer noch konkurrenzfähig. Und dann untersuchen wir, wie sich das auf den Endkunden auswirken würde; denn wer am Ende für höhere Zölle bezahlt, wären die Kunden in Mexiko und den USA, denn die Firmen würden das einfach einpreisen. Das würde natürlich dem Markt sehr schaden. Von daher, ja, das sind die Befürchtungen. Einige Firmen, mit denen wir gesprochen haben, machen weiter wie bisher und haben auch neue Projekte besiegelt, aber andere haben sie gecancelt. Es kommt auf die Projekte an und auch auf die Branche. Große Firmen machen meist weiter, kleinere, für die Kosten ein wichtiger Faktor sind, warten erst einmal ab."
Trumps Rhetorik richtet sich aber nicht nur gegen mexikanische Unternehmen und Arbeitskräfte, sondern vor allem gegen illegale Einwanderer. Er wirft ihnen zum Beispiel vor, die Kriminalitätsrate der USA hochzutreiben – was nicht stimmt. Trumps Vorgänger Obama hatte sich bereits – wenn auch unter dem Druck der republikanischen Opposition – auf illegale Einwanderer konzentriert, die straffällig geworden sind. Zwischen 2009 und 2015 hat die Obama-Regierung 2,5 Millionen illegale Einwanderer abgeschoben, mehr als alle anderen US Präsidenten des 20. Jahrhunderts zusammen.
Viele der Abgeschobenen bleiben in Grenzstädten wie Tijuana hängen. Die mexikanische Seite des Zauns am Ende der Uferpromenade gilt als beliebtes Ausflugsziel. Der Zaun ist dort etwa vier Meter hoch und besteht aus eng aneinander stehenden, dreieckigen Gitterstäben. Sie reichen etwa hundert Meter weit hinaus ins Meer. Auf mexikanischer Seite liegt ein schmaler mit Blumen und Büschen bepflanzter Grünstreifen, der Freundschaftspark. An dieser Grenze haben viele Träume begonnen und viele sind zerschmettert worden. Graffitis, die den Zaun zieren, erzählen davon:
"También de este lado hay sueños" (Auch auf dieser Seite gibt es Träume)
"Caminemos el mundo sin fronteras" (Lasst uns die Welt ohne Grenzen durchwandern)
Der "Freundschaftspark" in Tijuana liegt direkt am Grenzzaun.
Der "Freundschaftspark" in Tijuana liegt direkt am Grenzzaun.© Foto: Nicole Graaf
Der Ort erinnert an die Berliner Mauer vor der Wende. Von einer Aussichtsplattform kann man hinüberschauen auf die amerikanische Seite. Alles was man dort sieht, ist noch ein zweiter Zaun und dahinter ein paar Meilen Ödland, bevor in der Ferne die schachbrettartig angelegten Wohngebiete von San Diegos Vororten beginnen. Grenzpolizei patrouilliert zwischen den beiden Zäunen mit Pferden, Motorrädern und Jeeps.

Wo viele Tränen fließen

Im Freundschaftspark treffen jeden Sonntag Familien aufeinander, die durch die Grenze getrennt sind. Meist sind das Mexikaner, die in den USA auf ihre Einbürgerung warten und sich daher nicht trauen, das Land zu verlassen. Denn das könnte bei den Behörden zu Zweifeln führen, ob sie doch noch in ihrem Heimatland einen Wohnsitz unterhalten. Die Einbürgerungsprozedur kann jedoch viele Jahre dauern, in denen Familien getrennt bleiben.
An einem abgetrennten Abschnitt am Grenzzaun dürfen sie sich Sonntags etwa eine Stunde unterhalten. Der Zaun ist dort von US-Seite aus zusätzlich durch ein wabenartiges Gitter gesichert, durch den nicht einmal ein Finger passt. Tony Soria hat hier viele Tränen fließen sehen und auch selbst welche vergossen.
Der 46-jährige dirigiert ein Auto in eine der Parklücken entlang des Zauns, obwohl sie groß genug wären für einen Kleinlaster. Eine Einparkhilfe braucht da eigentlich kein Mensch. Aber Soria verdient sich ein paar Pesos damit, die Autos zu bewachen. Er gehört zu jenen, die unter Obama abgeschoben wurden, dabei hatte er unbeschränktes Aufenthaltsrecht, die Greencard. Er wirkt ziemlich durch den Wind. Man merkt ihm an, dass er eine harte Zeit hinter sich hat. Er kam als Kind in die USA. Seine Freundin und die gemeinsamen Kinder haben die US-Staatsbürgerschaft, aber er hat sich nie um eine Einbürgerung gekümmert. Und dann machte er einen folgenschweren Fehler.
"Ich wurde mit Alkohol am Steuer erwischt. Der Fall landete vor Gericht und ich wurde für sieben Monate eingesperrt. Sie setzten meinen Einwanderungsstatus aus; egal ob du Kinder hast, eine Familie, wenn du kein Staatsbürger bist, dann stecken sie dich in dieses Gefängnis für Einwanderer, und ein Richter für Immigrationsrecht entscheidet, was mit dir passiert. Ich war es irgendwann leid und hab gesagt, ich will hierher nach Mexiko. Denn ich bin lieber hier und frei als in den Staaten eingesperrt."
Obama konzentrierte sich zwar eigentlich darauf, Einwanderer abzuschieben, die ein schweres Strafdelikt begangen haben, aber das Absurde ist: Die zuständigen Gefängnisse bekamen Belegungsquoten vorgegeben. Pro Tag müssen sie 34.000 Einwanderer unterbringen. Um die Quoten zu erfüllen, kassieren die Einwanderungsbehörden auch Leute wie Tony, die kein Verbrechen begangen, sondern nur gegen die Straßenverkehrsordnung verstoßen haben.
Während wir uns unterhalten, rast drüben auf US-Seite ein Krankenwagen mit Leuchtsirene Richtung Ufer. Die Grenzbehörden haben zwei Jungs aus dem Wasser gefischt, die versucht hatten, am Ende des Zauns hinüberzuschwimmen. Sanitäter haben sie in Decken gepackt und in den Krankenwagen gesetzt. Diese Jungs erwartet auch die Abschiebungshaft. Ein Paar wie sie würde eine neue Mauer vielleicht abhalten. Aber mit schärferen Einwanderungsgesetzen, mehr Kontrollen und Strafzöllen stünde viel auf dem Spiel: für die Pendler, für die Wirtschaft der Grenzstädte und für Amerika und Mexiko insgesamt.
(Online-Bearbeitung: cre)
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