Triebfeder des Hasses

Von Tobias Mayer · 11.08.2013
Seit dem Tod Osama Bin Ladens ist es ruhig um das Terrornetzwerk Al-Kaida geworden. Eine funktionierende Kommandostruktur scheint es nicht mehr zu geben. Die Ideen des Netzwerks sind allerdings so lebendig wie zur Zeit der Gründung am 11. August 1988.
2002 fand die bosnische Polizei in Sarajewo bei der Durchsuchung von Büros einer islamistischen Vereinigung brisante Dokumente. Sie gaben Aufschluss über die Frühzeit des Terrornetzwerks Al-Kaida. Man fand unter anderem ein Protokoll über die Zusammenkunft Osama Bin Ladens mit Weggefährten am 11. August 1988 in Peschawar im Norden Pakistans. Dies gilt heute als Gründungsdatum, denn der Name "Al-Kaida" tauchte hier erstmals prominent auf. Der arabische Begriff hat viele Bedeutungen, eine davon ist: "die Basis". Osama Bin Laden erklärte das später in einem Interview.

"Der Name ist schon ziemlich alt. Ein Bruder hat eines der Lager aufgebaut, wo junge Männer für den Kampf trainiert wurden gegen das arrogante, brutale, terroristische Sowjetregime. Ohne Hintergedanken nannte er damals diesen Ort 'Al-Kaida‘, eine 'Trainingsbasis‘. Später hat sich der Name eingebürgert."

1988 hatten die Mudschahedin die sowjetische Armee zum Abzug aus Afghanistan gezwungen, unterstützt von arabischen Jihadisten, unter ihnen viele Saudis und Ägypter. Osama Bin Laden, ursprünglich ein reicher Geschäftsmann aus Riad, schwor die Afghanistan-Veteranen auf spätere Aufgaben ein – mit dem fernen Ziel, alle Ungläubigen von islamischem Territorium zu vertreiben. Die so genannten "arabischen Afghanen" kehrten zunächst in ihre Heimatländer zurück, um dort für ihre Sache zu werben. Bin Laden ging daher nach Saudi-Arabien. Dort erlebte er 1990 den Überfall des Irak auf das kleine Nachbarland Kuwait. Der saudische König Fahd befürchtete, Saddam Hussein wolle vielleicht weiter expandieren und gestattete amerikanischen Truppen, den Boden Saudi-Arabiens zu betreten.

"Das war für Bin Laden ein ganz einschneidendes Erlebnis, eine tiefe Kränkung, dass Saudi-Arabien, das Mutterland des Islam, der heiligste Ort der islamischen Welt, es nötig hat, sich von den Amerikanern schützen zu lassen."

Der Journalist Yassin Musharbash ist Al-Kaida-Experte. Ursprünglich hatte Osama Bin Laden gehofft, mit dem saudischen König paktieren zu können. Doch der ließ ihn abblitzen.

"Das hat letztlich zum Bruch mit seinem Heimatland geführt, dazu geführt, dass er Saudi-Arabien dann wieder den Rücken gekehrt hat, und auch dazu geführt, dass er später kein Problem damit hatte, Saudi-Arabien als Angriffsziel für Al-Kaida auszuwählen."

Nach diesen Ereignissen radikalisierten sich die militanten Islamisten mehr und mehr. Sie machten die Vereinigten Staaten als größte Bedrohung des Islams aus und ließen den Mythos von der "jüdischen Weltverschwörung" wieder aufleben. Bin Laden ging zurück nach Afghanistan und erklärte den Jihad gegen die USA. 1998 unterzeichnete er – zusammen mit anderen militanten Islamisten-Führern – als Chef der bis dahin kaum bekannten "Organisation Al-Kaida" die so genannte "Erklärung der Internationalen Islamischen Front für den Heiligen Krieg gegen die Juden und Kreuzfahrer".

"Die Amerikaner und ihre Verbündeten zu töten, ob Zivilisten oder Soldaten, ist eine Pflicht für jeden Muslim, der es tun kann, in jedem Land, wo er sich befindet, bis die al-Aqsa-Moschee und die große Moschee von Mekka von ihnen befreit sind, bis ihre Armeen alle muslimischen Gebiete verlassen, mit gelähmten Händen, gebrochenen Flügeln, unfähig, einen einzigen Muslim zu bedrohen."

Wenige Monate später machte Al-Kaida ernst. Der Doppelanschlag auf die US-Botschaften in Daressalam und Nairobi war vermutlich der erste Anschlag im direkten Auftrag von Bin Laden. Die arabischen Terroristen standen in Afghanistan unter dem Schutz der Taliban. Sie konnten frei operieren und betrieben zahlreiche Ausbildungslager. Al-Kaida war in jenen Jahren eine straff organisierte Kaderorganisation.

"Da wurden Gehälter gezahlt, da wurde Urlaub gewährt, das war alles geregelt, bis ins letzte Detail. Es gibt eine ungefähr 30-seitige Verfassung von Al-Kaida, wo drinsteht, was passiert, wenn der Emir stirbt, was passiert, wenn der Vize-Emir stirbt, wer muss wann seinen Haushaltsplan vorlegen."

Dieser Organisationsgrad ermöglichte es Bin Laden, persönlich die Anschläge des 11. Septembers 2001 zu planen. Wenige Wochen später intervenierten die Amerikaner in Afghanistan. Das Taliban-Regime wurde beseitigt, die Infrastruktur von Al-Kaida weitgehend zerschlagen. Spätestens seit dem Tod Osama Bin Ladens 2011 existiert vermutlich keine zentral gesteuerte Organisation mehr. Jeder militante Islamist kann sich Al-Kaida-Anhänger nennen und seinen eigenen Kampf gegen den Westen kämpfen.